6. Oktober 2011

Kurioses, kurz kommentiert: Wieso eigentlich jetzt eine rot-schwarze Koalition in Berlin?

Der jüngste Eindruck: Klaus Wowereit wollte gar keine rot-grüne Koalition in Berlin, er war und ist auf ein rot-schwarzes Bündnis aus, weil dieses für ihn viel bequemer ist.
Heribert Prantl in sueddeutsche.de

Kommentar: Kurioserweise ist dies der Tenor der gestrigen Berichterstattung über die Entwicklung in Berlin gewesen; ebenso wird es wohl derjenige der Printmedien am heutigen Donnerstag sein. "Berliner SPD strebt nun eine große Koalition an" titelt beispielsweise die "Berliner Morgenpost". Auch im Ausland sieht man das so. "In Berlin stehen die Zeichen auf Rot-Schwarz" überschreibt beispielsweise die "Neue Zürcher Zeitung" ihren Bericht.

Aber stehen sie in der Tat so, die Zeichen? Ist Rot-Schwarz, wie es der Münchener Beobachter Heribert Prantl meint, wirklich für Wowereit "viel bequemer"?

"Wer hat euch dessen so gewiß gemacht?" möchte man Prantl mit den Worten des Königs Philipp II. im "Don Karlos" fragen.

Denn ein Bündnis mit der CDU würde Wowereit nur Scherereien in seiner von der Linken beherrschten Berliner SPD bringen. Es würde darüber hinaus in der Bundes-SPD seinen Ruf als Herold der Linken gefährden. Und daß die CDU in Berlin, gerade von Grabenkämpfen halbwegs genesen, ein so pflegeleichter Partner wäre wie bisher die Kommunisten, darf füglich bezweifelt werden. Wie bisher jene Kommunisten, die andererseits mit ihrer Verankerung im Osten der Stadt eine sehr unangenehme Opposition sein könnten.

Warum eigentlich sollte es Wowereit aus allen diesen Gründen nicht vorziehen, weiter mit den Kommunisten zu regieren? Weil die beiden roten Parteien ja keine Mehrheit haben? Sie hätten aber eine komfortable Mehrheit, wenn man die Piraten mit ins Boot holte; mit dann 83 von 152 Mandaten.

"Piraten ins Boot holen"; das klingt freilich nun auch wieder kurios. Aber so, wie diese Piraten sich bisher präsentieren - heute zum Beispiel auf ihrer Pressekonferenz - scheinen sie doch eher bereit zu sein, das Boot sittsam über den Anleger zu betreten, statt es mit Enterhaken zu stürmen.

Ein paar Bonbons müßten die jungen Leute freilich schon bekommen. Wie wäre es zum Beispiel damit, daß in Berlin künftig der Studentenausweis zur kostenlosen Benutzung des Öffentlichen Nahverkehrs berechtigt? Oder damit, daß das Land Berlin im Bundesrat die Initiative zu einer Novellierung des Urheberrechts ergreifen wird?



Klaus Wowereit ist ein Meister des Scheiternlassens von Koalitionsverhandlungen. Das hat er jetzt nicht zum ersten Mal inszeniert.

Nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von 2001 hatte der Landesvorstand der Berliner SPD Verhandlungen zur Bildung einer Ampelkoalition beschlossen. Wowereit ließ sie scheitern und koalierte dann mit der PDS; trotz Widerstands der damaligen Bundesregierung Schröder. Aber es gab ja nach dem Scheitern keine Alternative mehr; die Große Koalition unter Eberhard Diepgen war gerade erst im Juni 2001 zerbrochen, was zu diesen vorgezogenen Neuwahlen geführt hatte.

Damals war eine Große Koalition also ausgeschlossen. Jetzt nicht. Natürlich muß seitens der SPD also zunächst mit der CDU verhandelt werden; so wurde es gestern beschlossen. An den Gedanken einer Regierungsbeteiligung der Piraten - oder auch einer Tolerierung durch sie - muß die SPD, muß die Berliner Öffentlichkeit erst herangeführt werden. So wie 2011 an den Gedanken, daß Gregor Gysi, der letzte Vorsitzende der SED, Berliner Senator werden würde.

Klaus Wowereit, der fast so lieb lächeln kann wie der Berliner Bär, ist hinter dieser Fassade ein ausgekochter Taktiker. Die nächsten Wochen werden in Berlin spannend werden.
Zettel



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