In einigen – nämlich den östlichen – Bundesländern ist der heutige 31. Oktober gesetzlicher Feiertag: Gedenktag der Reformation, weil an diesem Tage im Jahr 1517 Martin Luther seine 95 Disputationsthesen über den Ablass veröffentlicht und wahrscheinlich ortsüblich an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen hat. Obwohl es sich dabei eigentlich um eine bloß universitäre Angelegenheit handelte, wurde dieser Thesenanschlag zum Ausgangspunkt der lutherischen Reformation.
Zettel hat in den vergangenen Jahren jeweils am 31. Oktober der Person des Reformators Martin Luther Beiträge in Zettels Raum gewidmet (2006: Zum Reformationstag: Mein Luther; 2007: Randbemerkung: Was wird am 31. Oktober gefeiert?; 2009: Zum Reformationstag: D. Martin Luther, der deutscheste aller deutschen Denker. Nebst Anmerkungen zum deutschen Michel; 2010: Zum Reformationstag: Von der Freiheit eines Christenmenschen). Diese Tradition möchte ich in diesem Jahr fortsetzen.
Martin Luther ist als Reformator, Theologe, Christ und profilierte Persönlichkeit auf der Grenze von Mittelalter und Neuzeit nicht unumstritten. Weniger umstritten ist, was er für die Entwicklung der deutschen Sprache geleistet hat. Das möchte ich heute würdigen.
Wer Luthers Lieder, Gedichte, Tischreden, seine Katechismen und seine zahlreichen Traktate und Streitschriften in deutscher Sprache liest, bekommt den Eindruck eines sprachgewaltigen und sprachgewitzten Mannes. Derb und volkstümlich, immer das passende Sprichwort zur Hand, oder aber auch sensibel und einfühlsam kommt er daher, je nachdem.
Für das durch seine eindringliche Schlichtheit Berührende mag das bekannte Weihnachtslied “Vom Himmel hoch, da komm ich her” stehen.
Für die gewitzte Polemik zitiere ich einen Abschnitt aus Luthers Sendbrief vom Dolmetschen (1530):
In mehrfach revidierter Fassung (zuletzt 1984, einzelne Änderungen 1999) ist die Lutherbibel bis heute die in den evangelischen Kirchen im deutschen Sprachraum allgemein gebräuchliche Übersetzung der Heiligen Schrift geblieben. Ihre Kraft und Schönheit verspürt jeder, der einen so bekannten Text wie die Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2 oder den 23. Psalm laut liest.
Zur Illustration stelle ich dem Psalm 23 nach Luther zwei neuere Übersetzungen gegenüber:
Die Textfassung der "Bibel in gerechter Sprache" kann dagegen nur als Katastrophe bezeichnet werden. Die Sprache ist künstlich, aber nicht poetisch ("Lebendigkeit", "gerechte Spuren"), manchmal schlechter als Umgangssprache ("direkt vor denen, die mich bedrängen"). Sie steht insgesamt für das gescheiterte Projekt einer politisch korrekten Bibelübersetzung (wo denn auch statt "Adonaj" für den Gottesnamen auch schon mal "die Ewige" stehen kann).
Luther hat dagegen fast immer den richtigen Ton getroffen. Das ist um so erstaunlicher, als er von Kind auf gelernt hatte, sich in der lateinischen Sprache auszudrücken, nicht aber in der deutschen. Erst als er nach 1517 in eine breitere Öffentlichkeit hinein zu wirken begann, machte er sich die deutsche Muttersprache richtig zueigen und wurde schnell deren Meister. Wahrscheinlich hatte er sich bereits bei seinen langen Fußreisen als Mönchsgelehrter vieles vom einfachen Volke abgelauscht, so wie es denn auch zu den bekannten Lutherzitaten gehört, dass man dem Volk aufs Maul schauen müsse.
Richtig heißt dieses Zitat:
Wer aber meint, Luther im Namen der Volkstümlichkeit für Flachheiten und Stillosigkeiten in Anspruch nehmen zu können, liegt völlig falsch. Luther hat eben keineswegs in die einfache Sprache des Volkes übersetzt, sondern hat das Besondere der Bibel auch in einem besonderen Sprachstil ausgedrückt, der seinerseits auf die Volkssprache zurückgewirkt hat. So sind manche Satzstellungen, die uns heute altertümlich erscheinen, vor allem das Vorziehen des Verbes, schon damals ungewöhnlich gewesen. Hirsch zeigt an vielen Beispielen, wie solche Satzstellungen den Sprachrhythmus beeinflussen und entsprechende Affekte transportieren.
Denn das ist Luther auch: ein Meister der Einfühlung, der Einfühlung in die Erlebniswelt der Bibel und die Sinnwelt des Glaubens, aber auch der Einfühlung in die Lebens- und Sprachwelt seiner deutschen Gegenwart. So hat die Sprache seiner Bibelübersetzung es vermocht, eine Brücke zu schlagen über den später beklagten "garstigen Graben der Geschichte" (Lessing).
Mit dieser sprachlichen Leistung hat Luther weit über den Sprachraum seiner mitteldeutschen Heimat hinaus sprachprägend gewirkt und damit entscheidend zur Herausbildung einer einheitlichen deutschen Hochsprache beigetragen.
Schon allein um des Gefühls für die Muttersprache willen gehört Luthers Bibelübersetzung (neben Grimms Märchen) für mich zum deutschen Bildungskanon.
Zettel hat in den vergangenen Jahren jeweils am 31. Oktober der Person des Reformators Martin Luther Beiträge in Zettels Raum gewidmet (2006: Zum Reformationstag: Mein Luther; 2007: Randbemerkung: Was wird am 31. Oktober gefeiert?; 2009: Zum Reformationstag: D. Martin Luther, der deutscheste aller deutschen Denker. Nebst Anmerkungen zum deutschen Michel; 2010: Zum Reformationstag: Von der Freiheit eines Christenmenschen). Diese Tradition möchte ich in diesem Jahr fortsetzen.
Martin Luther ist als Reformator, Theologe, Christ und profilierte Persönlichkeit auf der Grenze von Mittelalter und Neuzeit nicht unumstritten. Weniger umstritten ist, was er für die Entwicklung der deutschen Sprache geleistet hat. Das möchte ich heute würdigen.
Wer Luthers Lieder, Gedichte, Tischreden, seine Katechismen und seine zahlreichen Traktate und Streitschriften in deutscher Sprache liest, bekommt den Eindruck eines sprachgewaltigen und sprachgewitzten Mannes. Derb und volkstümlich, immer das passende Sprichwort zur Hand, oder aber auch sensibel und einfühlsam kommt er daher, je nachdem.
Für das durch seine eindringliche Schlichtheit Berührende mag das bekannte Weihnachtslied “Vom Himmel hoch, da komm ich her” stehen.
Für die gewitzte Polemik zitiere ich einen Abschnitt aus Luthers Sendbrief vom Dolmetschen (1530):
Es heist / Wer am wege bawet / der hat viel meister. Also geht mirs auch. Die jhenigen die noch nye haben recht reden ko(e)nnen / schweige den(n) dolmetschen / die sind allzumal meine meister / vnd ich mus yhr aller junger sein. Vnd wenn ich sie hette sollen fragen / wie man die ersten zwey wort Matthei .1. Liber Generationis sollte verdeutschen / so hette yhr keiner gewist gack dazu zu sagen / Vnd vrteilen mit nu das gantze werck / die feinen geselle(n). [...] Darumb geho(e)ret grosse gedult dazu / so yema(n)d etwas offentlich guts thun will / denn die wellt wil meister klu(e)glin bleiben / vnd mus ymer das Ros vnter dem schwantz zeumen / alles meistern /vnnd selbs nichts ko(e)nnen / das ist yhr art / dauon sie nicht lassen kan. (zitiert nach Martin Luther, Studienausgabe, Bd. 3)Mit dem hier angesprochenen Thema, dem Dolmetschen, sind wir bei Luthers größter Leistung für die deutsche Sprache, seiner Bibelübersetzung. "Ein Mann, der von Gott zu besonderem Werk gerufen war wie nach den Aposteln keiner, und der zugleich ein Dichter und Sprachmeister von sonderlicher Gewalt war, hat uns die Bibel auf Deutsch neu geboren", rühmt zum Beispiel der Lutherforscher Emanuel Hirsch (1888 - 1972) und erörtert Luthers Sprachsensibilität an zahllosen Beispielen.
In mehrfach revidierter Fassung (zuletzt 1984, einzelne Änderungen 1999) ist die Lutherbibel bis heute die in den evangelischen Kirchen im deutschen Sprachraum allgemein gebräuchliche Übersetzung der Heiligen Schrift geblieben. Ihre Kraft und Schönheit verspürt jeder, der einen so bekannten Text wie die Weihnachtsgeschichte nach Lukas 2 oder den 23. Psalm laut liest.
Zur Illustration stelle ich dem Psalm 23 nach Luther zwei neuere Übersetzungen gegenüber:
Luther (1545):Sie werden mir gewiss zustimmen, dass die durchaus treffende Fassung der Einheitsübersetzung hinter der poetischen Qualität Luthers zurückbleibt. Der ruhig fließende Rhythmus des Lutherpsalms wird nicht erreicht. Auch die Wortwahl ist schwächer als bei Luther. Vor allem das Wort "Ruheplatz" ist nach meinem Empfinden für die Bildwelt des Psalms viel zu prosaisch.
Ein Psalm Dauids. DER HERR ist mein Hirte / Mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auff einer grünen Awen / Vnd füret mich zum frisschen Wasser.
Er erquicket meine Seele / er füret mich auff rechter Strasse / Vmb seines Namens willen.
VNd ob ich schon wandert im finstern Tal / fürchte ich kein Vnglück / Denn du bist bey mir / Dein Stecken vnd Stab trösten mich.
DV bereitest fur mir einen Tisch gegen meine Feinde / Du salbest mein Heubt mit öle / Vnd schenckest mir vol ein.
Gutes vnd Barmhertzigkeit werden mir folgen mein leben lang / Vnd werde bleiben im Hause des HERRN jmerdar.
Einheitsübersetzung (die verbindliche Übersetzung der Röm.-kath. Kirche):
[Ein Psalm Davids.] Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.
Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
Er stillt mein Verlangen; er leitet mich auf rechten Pfaden, treu seinem Namen.
Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.
Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl, du füllst mir reichlich den Becher.
Lauter Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit.
Bibel in gerechter Sprache (2006):
Ein Psalm. Von David.
Adonaj weidet mich, mir fehlt es an nichts.
Auf grüner Wiese lässt Gott mich lagern,
zu Wassern der Ruhe leitet Gott mich sanft.
Meine Lebendigkeit kehrt zurück.
Gott führt mich auf gerechten Spuren –
so liegt es im Namen Gottes.
Wenn Finsternis tief meinen Weg umgibt,
Böses fürchte ich nicht.
Ja, du bist bei mir,
dein Stab und deine Stütze – sie lassen mich aufatmen.
Du bereitest einen Tisch vor mir,
direkt vor denen, die mich bedrängen.
Mit Öl salbst du mein Haupt.
Mein Becher fließt über.
Nur Gutes und Freundlichkeit
werden mir alle Tage meines Lebens folgen,
und zurückkehren werde ich in das Haus Adonajs
für die Dauer meines Lebens.
Die Textfassung der "Bibel in gerechter Sprache" kann dagegen nur als Katastrophe bezeichnet werden. Die Sprache ist künstlich, aber nicht poetisch ("Lebendigkeit", "gerechte Spuren"), manchmal schlechter als Umgangssprache ("direkt vor denen, die mich bedrängen"). Sie steht insgesamt für das gescheiterte Projekt einer politisch korrekten Bibelübersetzung (wo denn auch statt "Adonaj" für den Gottesnamen auch schon mal "die Ewige" stehen kann).
Luther hat dagegen fast immer den richtigen Ton getroffen. Das ist um so erstaunlicher, als er von Kind auf gelernt hatte, sich in der lateinischen Sprache auszudrücken, nicht aber in der deutschen. Erst als er nach 1517 in eine breitere Öffentlichkeit hinein zu wirken begann, machte er sich die deutsche Muttersprache richtig zueigen und wurde schnell deren Meister. Wahrscheinlich hatte er sich bereits bei seinen langen Fußreisen als Mönchsgelehrter vieles vom einfachen Volke abgelauscht, so wie es denn auch zu den bekannten Lutherzitaten gehört, dass man dem Volk aufs Maul schauen müsse.
Richtig heißt dieses Zitat:
… den man mus nicht die buchstaben inn der lateinische(n) sprachen frage(n) / wie man sol Deutsch rede(n) / wie diese esel thun / sondern / man mus die mutter jhm hause / die kinder auff der gassen / den gemeinen ma(n) auff dem marckt drumb fragen / vn(d) den selbige(n) auff das maul sehen / wie sie reden / vnd darnach dolmetzschen / so verstehen sie es den / vn(d) mercken / das man Deutsch mit jn redet.Das ist ein Hauptprinzip der Luther’schen Bibelübersetzung: Er übersetzt konsequent ins Deutsche. Es geht ihm nicht darum, das Fremde als solches stehen zu lassen oder erlebbar zu machen, nicht darum, philologisch exakt und nachvollziehbar zu sein, sondern es geht ihm darum, den erfassten Sinn sprachlich und inhaltlich ins Deutsche hinüberzutragen. Und zwar in ein Deutsch, das man sprechen, also vorlesen und zitieren kann. Denn das Wort Gottes soll immer lebendige Rede sein.
Wer aber meint, Luther im Namen der Volkstümlichkeit für Flachheiten und Stillosigkeiten in Anspruch nehmen zu können, liegt völlig falsch. Luther hat eben keineswegs in die einfache Sprache des Volkes übersetzt, sondern hat das Besondere der Bibel auch in einem besonderen Sprachstil ausgedrückt, der seinerseits auf die Volkssprache zurückgewirkt hat. So sind manche Satzstellungen, die uns heute altertümlich erscheinen, vor allem das Vorziehen des Verbes, schon damals ungewöhnlich gewesen. Hirsch zeigt an vielen Beispielen, wie solche Satzstellungen den Sprachrhythmus beeinflussen und entsprechende Affekte transportieren.
Denn das ist Luther auch: ein Meister der Einfühlung, der Einfühlung in die Erlebniswelt der Bibel und die Sinnwelt des Glaubens, aber auch der Einfühlung in die Lebens- und Sprachwelt seiner deutschen Gegenwart. So hat die Sprache seiner Bibelübersetzung es vermocht, eine Brücke zu schlagen über den später beklagten "garstigen Graben der Geschichte" (Lessing).
Mit dieser sprachlichen Leistung hat Luther weit über den Sprachraum seiner mitteldeutschen Heimat hinaus sprachprägend gewirkt und damit entscheidend zur Herausbildung einer einheitlichen deutschen Hochsprache beigetragen.
Schon allein um des Gefühls für die Muttersprache willen gehört Luthers Bibelübersetzung (neben Grimms Märchen) für mich zum deutschen Bildungskanon.
Herr
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Vignette: Lucas Cranach d. J., Titelholzschnitt der Ausgabe der Lutherbibel von 1541. Die Bilddatei ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist.