29. Oktober 2011

Dem Journalisten Zucker geben

Das Flagschiff der deutschen "Qualitätspresse" hat wieder zugeschlagen. Es geht um gesunde Ernährung, es geht um Kinder, also ein wichtiges Thema für die Volkserziehung.

Konkret geht es um die vor allem bei Kindern beliebten Frühstücksflocken, im Spiegel-Jargon "Bomben" genannt. Diese gibt es in einer Vielzahl von Varianten, die meisten davon enthalten eine ordentliche Portion Zucker. Wieviel Zucker, ist auf der Packung genau angegeben. Wer sich die genaue Zusammensetzung seiner Nahrung interessiert, oder gar seine komplette Ernährung über den Tag hinweg planen will, der bekommt alle ausreichenden Informationen. Es ist sogar eine Umrechnungshilfe angegeben, ausgehend von einem normierten Tagesverbrauch.

Für den Spiegel-Autor sind es aber nicht genug Informationen. Denn der Tagesverbrauch ist "nur" für Erwachsene angegeben. Genauer gesagt, für eine durchschnittliche erwachsene Frau. Keine Angaben gibt es nun konkret für den 4-jährigen Sohn des Autors. Also fragt er die Hersteller.

Und es ist vom Start an klar, daß die Hersteller bei der Antwort nur verlieren können.

Denn zum Einen sind solche Ernährungsempfehlungen ohnehin eine unsichere Sache. Eine wissenschaftlich wasserfeste Herleitung, wieviel Zucker ein Mensch ohne Gesundheitsschäden zu sich nehmen kann, die gibt es nicht. Es gibt nur - heftig differierende - Einschätzungen verschiedener Expertengremien.

Und zum Anderen ist es für einen Hersteller angesichts einer völlig überdrehten Haftungsgesetzgebung viel zu riskant, Ernährungsempfehlungen für ein unbekanntes Kind abzugeben, dessen Gewicht, medizinischer Zustand und sonstige Ernährungsgewohnheiten unbekannt sind. Die seriöseste Antwort kommt von Dr. Oetger und empfiehlt dem Frager, sich in Sachen Ernährung und Gesundheit seines Kindes an den Arzt zu wenden.

Natürlich kritisiert der Spiegel diese Antwort genauso wie die übrigen Antworten, weil diese ihm nicht die gewünschte, aber juristisch unmögliche konkrete Angabe geben, wieviel Cornflakes sein Filius essen soll. Seine Zielstellung war von Anfang an, die geldgierigen und gewissenlosen Konzerne an den Pranger zu stellen. Und angesichts seiner unseriösen Vorgehensweise bekommt er natürlich die gewünschten Belege. Also der übliche Schmuddel-Journalismus, es geht nur um die Bestätigung der politisch angesagten Vorurteile.

Aber der Artikel hat noch eine andere Komponente. Denn wie sollten denn die Angaben auf der Packung seiner Meinung nach sein?

Wenn man seiner Argumentation folgt, dann müßte die wesentlich ausführlicher sein. Dann müßten die Hersteller für jede Altersklasse und jedes Geschlecht und jeden Nahrungsbestandteil die empfohlene Tagesdosis ausrechnen und in einer großen Tabelle abdrucken. Die vom Spiegel empfohlenen DGE-Referenzen unterscheiden 12 Altersklassen!

Das würde dem Verbraucher natürlich Arbeit ersparen. Falls er es wirklich darauf anlegt, alle über den Tag genossenen Nahrungsmittel (die dann alle mit so umfangreichen Tabellen geliefert werden müßten) für alle Komponenten zusammen zu rechnen und damit überprüfen zu können, ob er so gesund lebt, wie die Experten es empfehlen.
Man kann wohl bezweifeln, daß das wirklich jemand machen würde. Wer wirklich so akribisch Arbeit in die Planung seiner Ernährung steckt, ist ohnehin keine Fertiggerichte.

Aber eigentlich will der Autor gar keine kompletten Informationen. Sein Artikel soll nur "beweisen", daß die derzeitigen Angaben unzureichend sind und durch eine "Ampel" ersetzt werden sollen. Wahrscheinlich geht er davon aus, daß die "Bomben" dann alle eine rote Ampel hätten und de facto aus den Regalen verschwinden würden.

Aber in Wirklichkeit ist sein Beispiel instruktiv dafür, daß die "Ampel" völlig ungeeignet ist. Denn die Daten zeigen ja, daß man sehr wohl täglich Frühstücksflocken essen kann und sich dabei nach Expertenansicht gesund ernährt - wenn man nicht übertreibt. Also die je nach Alter, Geschlecht etc. empfohlenen Grenzen einhält. Ein Teller Cornflakes ist völlig ok, fünf Teller wären ungesund.

Also müßten die Produkte in erster Linie eine grüne Ampel bekommen. Oder aber eine große Tabelle, in der für alle Altersklassen etc. kleine rote/gelbe/grüne Ampeln angezeigt werden. Jeweils mit einer Gewichtsangabe, wie groß die Cornflakesportion sein darf, um noch grün zu sein.

Und selbst diese Ampeln wären völlig gelogen. Denn es kommt natürlich immer auf den Gesamt-Tagesverbrauch an. Wer seine süßen Gelüste auf das Frühstück beschränkt, kann problemlos die zweite Portion Cornflakes vertilgen. Wer noch vorhat, diverse Nachtische oder Süßgetränke zu konsumieren, sollte wohl besser schon auf die erste Portion verzichten. Die Ampel ist völlig ungeeignet, das abzubilden.

Ich glaube nicht, daß der Spiegel-Autor grundsätzlich zu dumm ist, um diesen Widerspruch zu verstehen. Aber er ist mit einer vorgefaßten Meinung an das Thema herangegangen und arrangiert die Fakten so, daß sie diese Meinung zu bestätigen scheinen. Er tritt als Agitator auf, nicht als Journalist.
R.A.



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