26. Oktober 2011

Zitat des Tages: "Bionadebourgeoisie". Ein Politikwissenschaftler über die Partei "Die Grünen"

Die Grünen sind also eine Partei der Satten, Saturierten und Abgesicherten, die sich einen Lebensstil leisten können, der vorrangig auf Fragen des "guten Lebens" abzielt: Authentizität, Selbstverwirklichung, kulturelle Reichhaltigkeit, unbedingter Schutz der Natur und der Lebenswelt. (...)

Auf der Basis geregelter und gesättigter Lebensentwürfe wird die grüne Lebensweise zu einem Luxuslifestyle.
Der Politikwissenschaftler Matthias Zimmer über die Partei "Die Grünen", zitiert in der heutigen Frankfurter Lokalausgabe der FAZ.

Kommentar: Originell ist diese Einsicht nicht; aber Zimmer hat sie schön formuliert. Wie auch der Begriff "Bionadebourgeoisie" von griffiger Eleganz ist, den Zimmer verwendet. Oder nehmen Sie diese Passage über das grüne Denken:
Hier drängt sich der Verdacht auf, dass jeder Molch und Lurch geschützt wird, aber die Verfügbarkeit des ungeborenen menschlichen Lebens einer Lifestyle-Entscheidung unterliegt.
Hat er sich das in seiner Studierstube an der Uni Köln ausgedacht, der Politikwissenschaftler?

Nein. Denn der habilitierte Politologe Dr. Matthias Zimmer ist nicht nur das, sondern auch Politiker der CDU: Im Frankfurter Rathaus Leiter der Stabsstelle Wirtschaft; seit den Wahlen von 2009 Abgeordneter des Bundestags und dort Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales.

Die zitierten Äußerungen entstammen einem Text, der laut Zimmer "nach Diskussionen in der Bundestagsfraktion entstanden" ist. Demnächst wollen in Berlin CDU-Abgeordnete aus den großen Städten darüber beraten, wie mit den "Grünen" auf lokaler Ebene umzugehen ist. Der Vorbereitung dieses Treffens dient offenbar der Text.



Und das macht die Sache interessant.

Die Grünen sind der parteigewordene "Lange Marsch durch die Institutionen", wie ihn einst Rudi Dutschke propagierte. Sie begannen als Protestpartei und sind heute die Partei der Besserverdienenden (mit einem höheren durchschnittlichen Einkommen als die FDP-Wähler).

Aus denen, die das System verändern wollten, wurden mit ihrem beruflichen und sozialen Aufstieg diejenigen, die wie kein anderes soziales Milieu die Vorteile des Systems genießen - einen ruhigen Job beim Staat, ein gutes Einkommen, feines Essen beim Italiener, Reisen in exotische Länder. Und als Draufgabe ein prächtiges Gewissen.

Was in aller Welt sollte einen solchen bürgerlichen Hedonisten dazu motivieren, die Welt als so komplex, so widersprüchlich und an vielen Stellen so häßlich wahrzunehmen, wie sie nun einmal ist?

Viel schöner ist es doch, wenn man stets für das Gute ist und gegen das Böse. Für den Schutz der Natur und überhaupt für alles, was "bedroht" ist. Immer auf der richtigen Seite; also mal heftiger Gegner einer militärischen Intervention gegen einen Diktator und mal deren engagierter Befürworter (siehe Libyen, der Irak und die Welt der Gutmenschen: Wie wird aus schwarz weiß und aus weiß schwarz?; ZR vom 21. 10. 2011).

So zu denken gibt das schöne Gefühl, nicht nur wohlhabend und gesichert zu leben, sondern auch edel und gut zu sein.

Die Herausbildung dieses Milieus hat die Grünen groß gemacht und sie zeitweilig in die Nähe einer dritten Volkspartei gebracht. Sie konkurrieren inzwischen längst mit der Union um die bürgerlichen Wähler. Das macht sie zwar - wie in Frankfurts Rathaus, in dem Zimmer seiner Arbeit nachgeht - zu einem potentiellen Partner der Union; aber vor allem ziehen sie damit von der Union Stimmen ab.

Nimmt man Zimmers Text nicht als die Analyse eines Politologen, sondern als das Arbeitspapier eines Politstrategen, dann lautet die Botschaft: Die Union sollte sich gegen dieses hedonistische Milieu profilieren und sich an ihre Wurzeln erinnern, die - auch - im gar nicht hedonistischen Milieu der katholischen Arbeiterschaft liegen. Zimmer ist Mitglied im Landesvorstand Hessen der CDA, der Organisation des Arbeitnehmerflügels der Union.
Zettel



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