Wie konnte sich eigentlich Griechenland fröhlich und offenbar ohne Gewissensbisse bis über beide Ohren verschulden; wohl wissend, daß es seine Schulden niemals würde zurückzahlen können?
Eine Antwort findet man vielleicht in der griechischen Geschichte. Darauf macht heute Stratfor aufmerksam. Auf diesen Artikel (nur Abonnenten zugänglich) stütze ich mich im Folgenden hauptsächlich, aber nicht ausschließlich.
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte Griechenland, wie der ganze Balkan, zum Osmanischen Reich, das es im 15. Jahrhundert bei seinem Vorstoß in Richtung Europa erobert hatte. Griechenland leistete über die Jahrhunderte anhaltenden, aber erfolglosen Widerstand gegen die Okkupanten.
Eine neue Situation entstand mit den Napoleonischen Kriegen, als Napoleon 1797 Venedig und damit auch dessen Besitzungen im östlichen Mittelmeer, die von Griechen besiedelten Ionischen Inseln, eroberte. Griechenland geriet damit in den Fokus Europas. Schriftsteller und Künstler reisten in das Land; es kam zu der Bewegung der "Philhellenen", der Freunde Griechenlands.
Dabei spielte auch die Erinnerung an das klassische Griechenland eine große Rolle. "Das Land der Griechen mit der Seele suchend" steht Goethes Iphigenie am Strand von Tauris. Die Zeile wurde zum geflügelten Wort.
In Griechenland bildete sich vor diesem Hintergrund in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine Unabhängigkeitsbewegung, die Filiki Eteria, die in ihrem Kampf von zahlreichen euopäischen Mächten unterstützt wurde; schließlich in Form einer gemeinsamen militärischen Intervention von England, Frankreich und Rußland. Diese führte zur Unabhängigkeit Griechenlands im Jahr 1832; besiegelt durch den Vertrag von Konstantinopel.
Nun waren dies die politische unruhigen 1830er Jahre. Um zu verhindern, daß in Griechenland eine Republik enstand, die auf ihre Länder hätten ausstrahlen können, etablierten die europäischen Großmächte dort eine absolute Monarchie unter dem Bayernprinzen Otto von Wittelsbach.
Zunächst regierte er das Land mit Hilfe von mitgebrachten Bayern; anfangs - da Otto noch nicht volljährig war - mit dem Regenten Josef Ludwig von Armansperg. Otto gab sich viel Mühe, kam aber bei den Griechen nicht gut an. 1864 wurde er gestürzt und durch einen neuen Import-Herrscher ersetzt, den aus Dänemark stammenden Georg I, der mit einer konstitutionellen Monarchie einverstanden war.
So war Griechenland schon ab seiner Geburt ein Ziehkind Europas. Das galt auch für das Finanzielle.
Denn während des Unabhängigkeitskriegs gegen die Osmanen hatten die Griechen eine große Schuldenlast angesammelt. Noch vor der Deklaration der Unabhängigkeit, schon im Jahr 1826, gab es den ersten Bankrott. England, Frankreich und Rußland halfen mit 600 Millionen Francs aus.
Als Gegenleistung verlangten die drei Mächte - das klingt vertraut, nicht wahr? - daß ihre Gesandten in Athen die neu einzusetzende Regierung würden überwachen dürfen. So geschah es, bis 1832 Otto und sein Regent von Armansperg das Land in die Hand nahmen.
Die Großmächte bestanden auf einer schnellen Rückzahlung ihrer Kredite. Griechenland war aber damals - wie auch heute noch weitgehend - ein Agrarland. Um ihre Erträge zu steigern, nahmen die Bauern Kredite auf; hauptsächlich von reichen Griechen im Inland und in der Diaspora.
Damals begann die chronische Verschuldung der Griechen. Es begann der Teufelskreis, in dem Griechenland internationale Kredite zurückzuzahlen versucht, was zu einer wachsenden Inlandsverschuldung führt und damit wiederum den Bedarf an Krediten aus dem Ausland erzeugt.
Bis in die 1870er Jahre änderte sich daran nichts. Griechenlands ökonomischer Erfolg blieb bescheiden; und damit seine Möglichkeiten, Gelder im Ausland zu leihen. Es drohte erneut eine Finanzkrise, und wieder half der Westen.
Das Osmanische Reich war im Niedergang begriffen. Die Westmächte wollten verhindern, daß Rußland und Österreich-Ungarn sein Erbe in der Region antraten. Nach dem Berliner Kongreß von 1878 schalteten sich England, Frankreich und Deutschland ein und erreichten, daß Griechenland Kredite aus dem Ausland erhielt.
Teils nutzte Griechenland diese Kredite, um - wie von den Westmächten gewünscht - zur Bewahrung seiner Unabhängigkeit aufzurüsten. Vor allem aber versuchte es damit Altschulden zu tilgen. Es half nichts. 1893 war das Land wieder pleite.
Griechenland mußte seine Finanzsouveränität an ein Konsortium von Vertretern aus England, Frankreich, Deutschland, Italien, Rußland und Österreich-Ungarn abtreten. Diese verordneten dem Land eine strikte fiskalische Disziplin. Klingt vertraut, nicht wahr?
Bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinein wurde Griechenlands Geld- und Fiskalpolitik von diesem Gremium bestimmt; was Fortschritte beispielsweise bei der Haushaltsdisziplin und im Bankwesen mit sich brachte. Aber für die Entwicklung der griechischen Wirtschaft, vor allem der Infrastruktur, wurde wenig getan. Es kamen die Balkankriege, der Erste Weltkrieg, die große Depression der Zwanziger Jahre. Im Jahr 1932 gab es die nächste griechische Staatspleite.
Griechenland hing wieder am Tropf des Auslands. Diese Lage wurde aber nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend komfortabel; denn ein kommunistischer Aufstand drohte das Land in den Ostblock zu führen. Um das zu verhindern, gab es reichlich Finanzhilfe aus den USA. Dann, 1981, wurde Griechenland das 10. Mitglied der EU; und von nun an wurde aus dem Tropf sozusagen eine Maschine, aus der Milch und Honig floß.
Mit dem Ergebnis, das wir kennen. Wie seit 1826 hat Griechenland auch als Mitglied der EU wenig für die Entwicklung seiner eigenen Wirtschaft getan und sich umso freudiger aus dem Ausland alimentieren lassen. Diesmal in wirklich großem Stil.
Die Probleme sind damit dieselben wie vor fast zwei Jahrhunderten: Hohe Auslandsschulden, exorbitante Militärausgaben, ein auf Patronage statt auf Wettbewerb basierendes Wirtschaftssystem, ein marodes Steuerwesen. Wieder muß Griechenland seine Finanzsouveränität an diejenigen abtreten, die es auch diesmal wieder retten sollen.
Und wieder werden sie das tun. Auch diesmal nicht aus Freundlichkeit gegenüber den Hellenen, sondern weil man es sich nicht leisten kann, daß Griechenland zusammenbricht.
Das erwarten die Griechen wohl so. Sie haben es in diesen beiden Jahrhunderten gelernt, daß sie über ihre Verhältnisse leben können, und daß dann schon das Ausland sich rechtzeitig einfindet und sie heraushaut.
Eine Antwort findet man vielleicht in der griechischen Geschichte. Darauf macht heute Stratfor aufmerksam. Auf diesen Artikel (nur Abonnenten zugänglich) stütze ich mich im Folgenden hauptsächlich, aber nicht ausschließlich.
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte Griechenland, wie der ganze Balkan, zum Osmanischen Reich, das es im 15. Jahrhundert bei seinem Vorstoß in Richtung Europa erobert hatte. Griechenland leistete über die Jahrhunderte anhaltenden, aber erfolglosen Widerstand gegen die Okkupanten.
Eine neue Situation entstand mit den Napoleonischen Kriegen, als Napoleon 1797 Venedig und damit auch dessen Besitzungen im östlichen Mittelmeer, die von Griechen besiedelten Ionischen Inseln, eroberte. Griechenland geriet damit in den Fokus Europas. Schriftsteller und Künstler reisten in das Land; es kam zu der Bewegung der "Philhellenen", der Freunde Griechenlands.
Dabei spielte auch die Erinnerung an das klassische Griechenland eine große Rolle. "Das Land der Griechen mit der Seele suchend" steht Goethes Iphigenie am Strand von Tauris. Die Zeile wurde zum geflügelten Wort.
In Griechenland bildete sich vor diesem Hintergrund in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine Unabhängigkeitsbewegung, die Filiki Eteria, die in ihrem Kampf von zahlreichen euopäischen Mächten unterstützt wurde; schließlich in Form einer gemeinsamen militärischen Intervention von England, Frankreich und Rußland. Diese führte zur Unabhängigkeit Griechenlands im Jahr 1832; besiegelt durch den Vertrag von Konstantinopel.
Nun waren dies die politische unruhigen 1830er Jahre. Um zu verhindern, daß in Griechenland eine Republik enstand, die auf ihre Länder hätten ausstrahlen können, etablierten die europäischen Großmächte dort eine absolute Monarchie unter dem Bayernprinzen Otto von Wittelsbach.
Zunächst regierte er das Land mit Hilfe von mitgebrachten Bayern; anfangs - da Otto noch nicht volljährig war - mit dem Regenten Josef Ludwig von Armansperg. Otto gab sich viel Mühe, kam aber bei den Griechen nicht gut an. 1864 wurde er gestürzt und durch einen neuen Import-Herrscher ersetzt, den aus Dänemark stammenden Georg I, der mit einer konstitutionellen Monarchie einverstanden war.
So war Griechenland schon ab seiner Geburt ein Ziehkind Europas. Das galt auch für das Finanzielle.
Denn während des Unabhängigkeitskriegs gegen die Osmanen hatten die Griechen eine große Schuldenlast angesammelt. Noch vor der Deklaration der Unabhängigkeit, schon im Jahr 1826, gab es den ersten Bankrott. England, Frankreich und Rußland halfen mit 600 Millionen Francs aus.
Als Gegenleistung verlangten die drei Mächte - das klingt vertraut, nicht wahr? - daß ihre Gesandten in Athen die neu einzusetzende Regierung würden überwachen dürfen. So geschah es, bis 1832 Otto und sein Regent von Armansperg das Land in die Hand nahmen.
Die Großmächte bestanden auf einer schnellen Rückzahlung ihrer Kredite. Griechenland war aber damals - wie auch heute noch weitgehend - ein Agrarland. Um ihre Erträge zu steigern, nahmen die Bauern Kredite auf; hauptsächlich von reichen Griechen im Inland und in der Diaspora.
Damals begann die chronische Verschuldung der Griechen. Es begann der Teufelskreis, in dem Griechenland internationale Kredite zurückzuzahlen versucht, was zu einer wachsenden Inlandsverschuldung führt und damit wiederum den Bedarf an Krediten aus dem Ausland erzeugt.
Bis in die 1870er Jahre änderte sich daran nichts. Griechenlands ökonomischer Erfolg blieb bescheiden; und damit seine Möglichkeiten, Gelder im Ausland zu leihen. Es drohte erneut eine Finanzkrise, und wieder half der Westen.
Das Osmanische Reich war im Niedergang begriffen. Die Westmächte wollten verhindern, daß Rußland und Österreich-Ungarn sein Erbe in der Region antraten. Nach dem Berliner Kongreß von 1878 schalteten sich England, Frankreich und Deutschland ein und erreichten, daß Griechenland Kredite aus dem Ausland erhielt.
Teils nutzte Griechenland diese Kredite, um - wie von den Westmächten gewünscht - zur Bewahrung seiner Unabhängigkeit aufzurüsten. Vor allem aber versuchte es damit Altschulden zu tilgen. Es half nichts. 1893 war das Land wieder pleite.
Griechenland mußte seine Finanzsouveränität an ein Konsortium von Vertretern aus England, Frankreich, Deutschland, Italien, Rußland und Österreich-Ungarn abtreten. Diese verordneten dem Land eine strikte fiskalische Disziplin. Klingt vertraut, nicht wahr?
Bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts hinein wurde Griechenlands Geld- und Fiskalpolitik von diesem Gremium bestimmt; was Fortschritte beispielsweise bei der Haushaltsdisziplin und im Bankwesen mit sich brachte. Aber für die Entwicklung der griechischen Wirtschaft, vor allem der Infrastruktur, wurde wenig getan. Es kamen die Balkankriege, der Erste Weltkrieg, die große Depression der Zwanziger Jahre. Im Jahr 1932 gab es die nächste griechische Staatspleite.
Griechenland hing wieder am Tropf des Auslands. Diese Lage wurde aber nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend komfortabel; denn ein kommunistischer Aufstand drohte das Land in den Ostblock zu führen. Um das zu verhindern, gab es reichlich Finanzhilfe aus den USA. Dann, 1981, wurde Griechenland das 10. Mitglied der EU; und von nun an wurde aus dem Tropf sozusagen eine Maschine, aus der Milch und Honig floß.
Mit dem Ergebnis, das wir kennen. Wie seit 1826 hat Griechenland auch als Mitglied der EU wenig für die Entwicklung seiner eigenen Wirtschaft getan und sich umso freudiger aus dem Ausland alimentieren lassen. Diesmal in wirklich großem Stil.
Die Probleme sind damit dieselben wie vor fast zwei Jahrhunderten: Hohe Auslandsschulden, exorbitante Militärausgaben, ein auf Patronage statt auf Wettbewerb basierendes Wirtschaftssystem, ein marodes Steuerwesen. Wieder muß Griechenland seine Finanzsouveränität an diejenigen abtreten, die es auch diesmal wieder retten sollen.
Und wieder werden sie das tun. Auch diesmal nicht aus Freundlichkeit gegenüber den Hellenen, sondern weil man es sich nicht leisten kann, daß Griechenland zusammenbricht.
Das erwarten die Griechen wohl so. Sie haben es in diesen beiden Jahrhunderten gelernt, daß sie über ihre Verhältnisse leben können, und daß dann schon das Ausland sich rechtzeitig einfindet und sie heraushaut.
Zettel
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