23. Oktober 2011

Zettels Meckerecke: Ist die deutsche Linke kommunistisch? Anmerkung zu einer Sprachverwirrung

In jedem demokratischen System gibt es eine Linke und eine Rechte; meist auch kleinere oder größere Parteien der Mitte dazwischen.

In Frankreich zum Beispiel umfaßt die Linke die Sozialisten, die Kommunisten und die Linksliberalen (Parti Radical de Gauche). Die Rechte wird vor allem von Sarkozys UMP gebildet, zu der sich 2002 Gaullisten, Rechtsliberale und Christdemokraten zusammenschlossen; außerdem gehören zur Rechten das in der rechten Mitte angesiedelt Nouveau Centre.

In der Mitte zwischen diesen beiden Blöcken gibt es eine (inzwischen) kleine Partei, das MoDem von François Bayrou. Und rechts von der Rechten gibt es die extreme Rechte; vor allem den Front National. Entsprechend gibt es links von der Linken die extreme Linke, die sich überwiegend aus allerlei trotzkistischen Parteien und Gruppen zusammensetzt.

So ist es in allen demokratischen Staaten. Es gibt rechte Parteien, es gibt linke Parteien und es gibt Parteien, die sich in der Mitte sehen; sowie Extremisten an den Rändern.

Im Prinzip gilt das auch für Deutschland. Rechts ist es zwar ein wenig leer. Immerhin gibt es eine rechte Mitte, zu der die Union und die FDP zählen. Zur Linken gehören die Sozialdemokraten, die "Grünen" und vermutlich auch die neu aufgetretenen Piraten. Die extreme Rechte wird derzeit vor allem von der NPD repräsentiert, die extreme Linke von der Partei "Die Linke" sowie der DKP und auch hier allerlei ultralinken Grüppchen.



Lesen Sie jetzt bitte, was seit heute um 11.28 Uhr in "Zeit-Online" steht:
Erstmals hat die gesamtdeutsche Linke inhaltliche Klarheit: Fast alle Delegierten des Parteitages bestätigten das neue Grundsatzprogramm. Nur die Urabstimmung fehlt noch.
Nanu? Die gesamtdeutsche Linke - also die SPD, die "Grünen", vielleicht noch die Piraten - haben sich ein gemeinsames Parteiprogramm gegeben?

Gut, geschenkt. Natürlich meint derjenige, der das geschrieben hat, nicht die gesamtdeutsche Linke, sondern er meint die SED, die seit 1989 wiederholt den Namen gewechselt hat und die sich im Augenblick "Die Linke" nennt; in eigener Schreibweise "DIE LINKE" (siehe zum Beispiel den Auszug aus dem jetzt verabschiedeten Grundsatzprogramm, den ich gestern zitiert habe: Die Partei "Die Linke" und die Medien. "Gesellschaftliche Umgestaltung" von "revolutionärer Tiefe"; ZR vom 22. 10. 2011).

Hat da also ein Redakteur, als er die zitierte Passage schrieb, nur die Anführungszeichen vergessen? Vielleicht. Aber ob beabsichtigt oder nicht - wer von der Partei "Die Linke" so spricht, als sei sie mit der gesamtdeutschen Linken identisch, der betreibt deren Geschäft.



Diese jahrzehntelange Umbenennerei, der sich die SED unterzogen hat, ist zutiefst unredlich. Unredlich war bereits der Name "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands"; denn 1946 schlossen sich nicht die SPD und die KPD der Ostzone zu einer Einheitspartei zusammen, sondern die KPD schluckte einen Teil der SPD, während die Sozialdemokraten, die sich nicht schlucken lassen wollten, verfolgt und inhaftiert, oft auch in Lager der Sowjets eingeliefert wurden.

Bereits die Umbenennung der KPD in "SED" war also lügenhafte Propaganda. Sie sollte eine Vereinigung vortäuschen, wo es sich in Wahrheit um die Zerschlagung der Sozialdemokratie in der Ostzone handelte.

Es folgten beim Untergang der DDR und danach die Umbenennungen in "SED-PDS" (Dezember 1989), "PDS" (Februar 1990), "Die Linkspartei PDS" (Juli 2005) und schließlich "Die Linke" (Juni 2007).

Am Charakter und an den Zielen dieser Partei hat sich kaum etwas geändert. Als KPD war sie Teil der internationalen kommunistischen Bewegung; als "Die Linke" ist sie das immer noch (siehe "Das ist ein sehr klares linkes Programm". Sahra Wagenknecht vor dem Erfurter Parteitag. Massenlinie, Kaderlinie; ZR vom 20. 10. 2011).

Keine deutsche Partei hat so oft das Namensschild abgeschraubt und ein neues an ihr Büro geheftet wie die Kommunisten; die Namen "DKP" und "SEW" wären noch zu den genannten hinzuzunehmen. Die Absicht dieses Verwirrspiels liegt auf der Hand: Je nach taktischen Erfordernissen (nach "Kampfbedingungen", wie es im kommunistischen Jargon heißt) soll manchmal hervorgehoben und manchmal verschleiert werden, daß es sich um eine kommunistische Partei handelt.

Die Bezeichnung "Die Linke" ist innerhalb dieser Taktik ein geradezu genialer Streich. Zum einen verdeckt sie für den deutschen Hausgebrauch, daß es sich um eine kommunistische Partei handelt; man muß auf die Europaebene gehen, um das deutlich zu erkennen. Zweitens aber suggeriert dieser Name so etwas wie einen Vertretungsanspruch dieser Partei für die gesamte Linke; er läßt die kommunistische Partei als die eigentliche, die einzige wirklich linke Partei erscheinen.

Und die Redaktion von "Zeit-Online" fällt darauf herein, indem sie die Tüttelchen vergißt.

Oder "vergißt"?
Zettel



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