5. Oktober 2011

Marginalie: Der Hintergrund von Putins Plan einer "Eurasischen Union". Das Ende der "Selbstverstümmelung" des russischen Reichs

Präsident ist Wladimir Putin noch nicht wieder, aber er benimmt sich schon ganz präsidial. In der Iswestija, zu Sowjetzeiten Sprachrohr der Regierung, legte er gestern einen Plan für eine "Eurasische Union" vor, von dem der Moskauer Politologe Alexei Portansky sagte, er sei das "Manifest eines Präsidenten". So heute zu lesen in den Moscow News.

Zunächst sollen laut Putin dieser Eurasischen Union Rußland, Weißrußland und Kasachstan angehören; als nächste dann Kirgisistan und Tadschikistan. Der Beitritt weiterer Länder sei "willkommen" (zu Rußlands Machtanspruch in Kirgisistan siehe Demographie, Geographie, Stalins Erbe; ZR vom 17. 6. 2010).

Als Präsident werde Putin eine "härtere" Außenpolitik betreiben als gegenwärtig, meint dazu die Politologin Tatyana Stanovaya; mit Schwerpunkt bei der "Entwicklung der postsowjetischen Region". Mit anderen Worten: Das Sowjetreich soll in Form einer neuen Föderation wiedererstehen.



Den Hintergrund des Putin-Plans analysiert heute Charles Clover in der Financial Times.

Den Begriff "Eurasien" benutzte Putin nicht zufällig. Er verweist auf die sogenannte "Eurasische Bewegung", deren Anführer Alexander Dugin sich gestern glücklich über den Artikel Putins zeige. Fünfundzwanzig Jahre lang habe man auf so etwas gewartet.

Das Wort "Eurasien" als politischer - und nicht nur geographischer - Begriff geht auf Orwells "1984" zurück. Dort ist Eurasien eines der drei großen Reiche, neben Ozeanien und Ostasien. Die "Eurasische Bewegung" strebt eine Wiedergeburt Rußlands als eine, wie Clover es formuliert, "slightly retooled version of the Soviet Union" an - eine leicht umgerüstete Version der Sowjetunion.

Alexander Dugin hat beste Kontakte zu Putin, zu dessen Getreuen er seit 2000 gehört. Er rühmte sich gestern sogar, daß seine Organisation an Putins Artikel in der Iswestija (Titel: "Eurasien - die Zukunft, die heute geboren wird") mitgearbeitet hätte; allerdings habe man dann manche ihrer Formulierungen abgeschwächt.



Nach dem Ende der Sowjetunion gab es eine Zeit, in der viele Beobachter Rußland auf dem Weg in die westliche Gemeinschaft sahen; es war ja gar von einem Beitritt zur NATO die Rede. Jeltzin mag solche Vorstellungen gehabt haben. Mit dem Amtsantritt Putins als Staatspräsident vor elf Jahren war das vorbei.

Die "Eurasische Bewegung" sieht Rußland nicht als Teil des Westens, sondern als dessen Konkurrenten; als einen Konkurrenten, der in Asien ebenso seine Interessen hat wie im östlichen Europa. Es spricht vieles dafür, daß dies auch Putins Sicht ist, der den Zerfall der Sowjetunion die "größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts" nannte.

Zu den einflußreichsten politischen Theoretikern in Moskau gehört der frühere Gesandte an der sowjetischen Botschaft in Ostberlin und jetzige Leiter des Bereichs "Europäische Sicherheit" am Europa- Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften, Igor Maximytschew. Über sein Geschichts-bild und seine geopolitischen Vorstellungen habe ich in zwei Artikeln aus der Zeit des Georgienkriegs berichtet:
Georgien und der russische Imperialismus (2): "Mit dem Rückzug ist es vorbei". Igor Maximytschew stellt die Frage von Leben und Tod; ZR vom 10. 10. 2008

Georgien und der russische Imperialismus (4): Entkolonialisierung oder "Selbstverstümmelung"? Rußlands auf dem Weg zurück zu einer imperialen Politik; ZR vom 16. 11. 2008.
Für Maximytschew war der Zerfall der Sowjetunion die "Selbstverstümmelung" des Landes; ja seine "Teilung". Wenn Wladimir Putin vom kommenden März an wieder Präsident Rußlands ist, dann wird er planmäßig daran arbeiten, diese Teilung rückgängig zu machen. Das hat er gestern mit seinem "Eurasien"-Artikel angekündigt.
Zettel



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