7. Oktober 2011

Marginalie: Agitprop bei "Spiegel-Online". Donald Rumsfeld "fassungslos" und "wütend"? Keine Spur. Urteilen Sie selbst. Lektion in Zeitgeschichte

Von einem "Reporter-Schreck Rumsfeld" kann man seit gestern Mittag in "Spiegel-Online" lesen, und weiter:
Für seinen knallharten Politikstil war er gefürchtet, jetzt bekam ein Reporter den Furor von Donald Rumsfeld zu spüren: Der Journalist des arabischen Senders al-Dschasira stellte dem früheren US-Verteidigungs-minister unbequeme Fragen - und das Gespräch eskalierte vor laufender Kamera.
Ähnlich gestern die "Süddeutsche Zeitung" unter der Überschrift "Interview-Zoff mit früherem US-Verteidigungs-minister - Donald rumst bei al-Dschasira":
"Wollen Sie mich anbrüllen?" Ex-Pentagon-Chef Donald Rumsfeld gerät mit einem Journalisten des arabischen TV-Senders al-Dschasira aneinander. Dass der Interviewer bei einer Frage nach den zivilen Opfern des Irakkrieges nicht locker lässt, macht Rumsfeld fassungslos - und wütend.
Wer Interviews mit Donald Rumsfeld kennt, der weiß, daß dieser Mann nicht aus der Ruhe zu bringen ist. Er hat eine Art, sich mit eiserner Freundlichkeit, nicht selten auch mit Sarkasmus zu äußern, die nachgerade ein Vorbild an Beherrschtheit ist.

Sollte er diesmal wirklich aus der Haut gefahren sein? Keine Spur.

Am Ende des Artikels in "Spiegel-Online" schreibt dessen Autorin Annett Meiritz: "Wie Reporter und Rumsfeld im Anschluss an das Gespräch auseinandergingen, ist nicht bekannt". Das ist sehr wohl bekannt. Frau Meiritz hätte sich nur das vollständige Interview von 28:37 Minuten ansehen müssen, statt den willkürlich herausgegriffenen Ausschnitt von 3:09 Minuten, den sie in ihrem Artikel verlinkt.

Sie hätte dann gesehen, daß Rumsfeld das ganze Interview über ruhig und beherrscht blieb, während der Interviewer Abderrahim Fouraka, Washington-Korrespondent von Al Jazeera, allerdings in der Tat gelegentlich laut wurde.

Das freilich eher aus Aufgeregtheit als in einer aggressiven Weise. Er lächelt fast das ganze Interview über; wie auch Rumsfeld. Man merkt, wie Fouraka seine Erregung zu zügeln versucht; und man kann allerdings einen bei aller Beherrschheit gegen Ende des Interviews vorübergehend verärgerten Rumsfeld sehen.

Verärgert, weil Fouraka nicht, wie das in den USA üblich ist, kurze, präzise Fragen stellt, sondern sich in lange Behauptungen verliert. Das kritisiert Rumsfeld, sehr ruhig und sehr sachlich. Fouraka wird noch aufgeregter, versucht sich aber zu beherrschen. Nach dieser kleinen Episode von weniger als drei Minuten setzen die beiden das Interview mit Ruhe fort.



Wenn Sie eine knappe halbe Stunde Zeit haben: Sehen Sie sich dieses Interview an! Es ist interessant nicht nur wegen dieses sehr unterschiedlichen Stils von Interviewer und Interviewtem, sondern auch als eine kleine Geschichtsstunde in Sachen Irakkrieg.

Abderrahim Fouraka reiht nämlich einen der Vorwürfe, die während des Irakkriegs gegen die Regierung Bush erhoben wurden, an den anderen. Rumsfeld widerlegt sie mit Fakten, Klarstellungen und gelegentlichen Hinweisen auf Selbstverständlichkeiten; auf diejenige zum Beispiel, daß Terroristen für die meisten Opfer in den Jahren nach dem Krieg verantwortlich waren, und nicht die Soldaten der Koalition.



Ach ja, und wie ging das Gespräch nun zu Ende? So, wie Gespräche unter gesitteten Menschen zu Ende zu gehen pflegen: Abderrahim Fouraka streckt Rumsfeld die Hand entgegen, lächelt und sagt: "Mr. Secretary, thank you very much". Rumsfeld ergreift seine Hand, lächelt ebenfalls und sagt: "Thank you".
Zettel



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