19. Oktober 2011

Zettels Meckerecke: Die Lächerlichkeit der "Occupy"-Bewegung

Anne Applebaum ist eine - so könnte man sie vielleicht nennen - amerikanisch-europäische Journalistin. Gebürtige Amerikanerin, aber meist in Europa lebend; vor allem in Polen (sie ist mit dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski verheiratet) und in England (sie ist Direktorin an einem Londoner Think Tank).

Als am Wochenende die Occupy-Bewegung auch in London ihre Demonstration veranstaltete, hat Anne Applebaum sich dieses Theater angesehen, diese Inszenierung. Sie berichtet darüber mit den Augen der Amerikanerin, gerichtet auf diese kuriosen Briten. Was sie sah (auch hörte), kann man in ihrer aktuellen Kolumne im Online-Magazin Slate lesen.

Das Ganze nannte sich Occupy the London Stock Exchange und spielte sich vor der St. Paul's-Kathedrale ab. Es war der Versuch, sozusagen eine Broadway-Inszenierung nach London zu holen; mit teilweise bizarren Effekten.

Beispielsweise waren bei der Original-Inszenierung von Occupy Wall Street im New Yorker Zucotti-Park Megaphone verboten gewesen. Als Reaktion darauf hatten die Veranstalter damals die Methode ersonnen, daß die vorn Stehenden jeden Satz des Sprechers im Chor wiederholten, so daß die weiter hinten Stehenden ihn verstehen konnten; human mic nennt sich das, menschliches Mikrophon.

In London nun waren Megaphone gar nicht verboten; aber dennoch äffte man dieses Verfahren nach. Sie können sich das auf diesem Video ansehen.

Man hätte auch das gute alte Megaphon nehmen können. Aber es ist ja irgendwie gemeinschaftsbildend, wenn alle etwas im Chor aufsagen. Wir kennen das vom gemeinsamen Gesang, dem gemeinsamen Gebet, dem unisonen Sprechen von Bekenntnissen und Verpflichtungen. Dieses Mittel hat man in die Londoner Inszenierung übernommen. Der eine Regisseur lernt halt vom anderen.

Anne Appelbaum erinnerte das in diesem Fall allerdings eher an den Monty-Python-Film "Leben des Brian". Dort spricht Brian zu einer Menge, der er zuruft: "Ihr seid alle Individualisten". Und diese antwortet wie ein Mann im Chor: "Wir sind alle Individualisten".



Das ist die Lächerlichkeit dieser Bewegung, sozusagen von außen betrachtet.

Was in New York begann, wird nun in nationalen Produktionen herausgebracht. In London wird am Rande des Events porridge gekocht; in Rom gibt es ein wenig Randale alla italiana. In Frankfurt hat man ein Protestcamp à la Gorleben mit Pfadfinder-Romantik aufgeschlagen.

Die Ziele der Bewohner dieses Frankfurter Camps faßte gestern stern.de so zusammen: "Sie wollen nicht viel mehr als Mitgefühl und Liebe, aber auch nicht weniger als eine globale Revolution". Sehr deutsch, nicht wahr. So ganz in unserer Tradition romantischer Verstiegenheit.

Das ist die äußere Lächerlichkeit. Aber lächerlich ist diese Occupy-Bewegung noch in zwei weiteren Hinsichten: Was das politische Mittel der Demonstration angeht; und bezüglich der Ziele dieser Demonstranten und ihrer Regisseure.



Zum Mittel der Demonstration schreibt Anne Applebaum:
In New York, marchers chanted, "This is what democracy looks like," but, actually, this isn't what democracy looks like. This is what freedom of speech looks like. Democracy looks a lot more boring. Democracy requires institutions, elections, political parties, rules, laws, a judiciary, and many unglamorous, time-consuming activities, none of which are nearly as much fun as camping out in front of St. Paul's cathedral or chanting slogans on the Rue St. Martin in Paris.

In New York riefen die Marschierer "So sieht Demokratie aus". Aber in Wahrheit sieht so nicht Demokratie aus; so sieht Redefreiheit aus. Demokratie sieht viel langweiliger aus. Demokratie verlangt Institutionen, Wahlen, politische Parteien, Regeln, Gesetze, eine Justiz und viele gar nicht glamouröse, zeitaufwendige Tätigkeiten. Keine davon macht soviel Spaß, wie vor der St. Pauls-Kathedrale zu campieren oder in der Rue St. Martin in Paris Slogans zu rufen.
Freilich sind die Konsumenten von Events heute anspruchsvoll, was ihren Spaß angeht. Es wäre lächerlich, anzunehmen, daß eine solche "Bewegung" wie dieses Occupy spontan ist. Sie ist es so wenig wie ein Rockkonzert, das ähnliche Bedürfnisse erfüllt: Etwas zu erleben, unter Gleichgesinnten zu sein, gemeinsam Spaß zu haben.

Das ist die subjektive Seite. Es gibt allerdings auch eine objektive: Was den Teilnehmern Spaß machen soll, das soll den Medien Futter liefern. Vorgestern hat das in einem ausgezeichneten Artikel in B.L.O.G. Rayson analysiert:
Denn Demonstrationen haben in den heutigen Tagen vor allem nur eine Funktion: in den Massenmedien vorzukommen. Eine Demonstration ohne Fernsehkamera hat bundespolitisch gar nicht stattgefunden, egal, wie viele tausend Menschen sich vielleicht doch haben dort hintreiben lassen., während hundert einsame Streiter für die gerechte Sache sofort Relevanz erlangen, wenn man sie in Fernsehbildern sieht. (...)

Den medialen Gesetzen zufolge kann es sich bei Demonstrationen nur um Instrumente handeln, derer sich Personen bemächtigen, denn Personen sind das Objekt der Medien schlechthin. Also tritt als neues Phänomen der Wortführer auf. Manche Demonstranten, die für ihre aus meiner Sicht etwas bizarre Freizeitgestaltung auch nur kognitiv relativ unberührte Motive ins Feld führen, wie z.B. Wut, Ohnmachtsgefühl oder Ignoranz, merken sogar erst hinterher, wessen Talkshow-Auftritte sie da gerade ermöglicht und unterstützt haben.
Da endet dann freilich die Lächerlichkeit. Man kann sich durchaus lächerlicher Mittel bedienen, um gar nicht lächerliche Ziele zu erreichen.



Und welches sind nun die Ziele der Occupy-Demonstranten? Da sind wir bei der dritten, der größten Lächerlichkeit: Erstens haben sie keine, und zweitens liegen diese neben der Sache.

Sie haben keine, wenn man konkrete politische Ziele meint, wie sie in den USA die Tea Party vertritt; also etwa eine Verringerung der Staatsausgaben, Steuersenkungen, weniger staatliche Regulierung. Konkrete, realisierbare politische Ziele dieser Art kommen in diesen Occupy-Events so gut wie nicht vor (siehe dazu Wutbürger im Frankfurter Bankenviertel?; ZR vom 16. 10. 2011).

Sie haben keine Ziele, sondern vielmehr ein Zielobjekt: "Das internationale Finanzsystem". Gegen das sind, sie, irgendwie. So, wie sie irgendwie gegen die Globalisierung sind (obwohl die "Globalisierungskritik" ja leiser geworden ist, seit deutlich wird, daß als Folge der Globalisierung einst arme Länder wie China, Indien und Brasilien immer reicher werden).

Aber was hat das Bankensystem mit der jetzigen Schuldenkrise zu tun? Schulden hat in den USA die Regierung Obama gemacht, und zwar in einem unerhörten Ausmaß. Schulden haben die Regierungen Griechenlands und Italiens gemacht; und in nicht ganz so dramatischem Umfang viele europäische Regierungen.

Vor deren Regierungssitzen und Botschaften wäre zu demonstrieren, wenn man denn schon demonstrieren will. Die Banken sind die Gläubiger, nicht die Schuldner (siehe Occupy Frankfurt: "Die Steuerzahler lassen Dampf ab"; ZR vom 16. 10. 2011).

Insofern ist diese Bewegung von ihrer Zielsetzung her derart verfehlt, daß man das eigentlich auch nur als lächerlich bezeichnen kann. Aber bis in die Regierungen hinein erhält sie Beifall. In den USA hat Präsident Obama Verständnis geäußert, in Deutschland die Kanzlerin.

Warum? Der Grund liegt auf der Hand: Regierungen freuen sich, wenn für ein Übel nicht Regierungen verantwortlich gemacht werden, sondern andere. Einen Sündenbock kann man immer gut gebrauchen. So lächerlich es auch sein mag, ihn zu beschuldigen.
Zettel



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.