2. Februar 2011

Die FDP und die Frauenquote: Eine vertane Chance. Wie, wenn nicht bei solch einem Thema, will sich die FDP überhaupt noch gegen die CDU profilieren?

Auch wenn sie in den letzten Umfragen wieder fünf Prozent erreicht hat, steckt die FDP weiter in einer tiefen Krise. Diese Krise hat viele Ursachen, die ich (siehe die Links am Ende dieses Artikels) in Abständen zu analysieren versucht habe, seit im Februar 2010 der Niedergang der FDP in den Umfragen begann; noch kein halbes Jahr nach ihrem Triumph bei den Bundestagswahlen.

Einer dieser Faktoren ist, daß die FDP, anders als im Wahlkampf, als Regierungspartei kein eigenes Profil gegenüber der Union entwickeln konnte. Man warf ihr vor, ihre Wahlversprechen - vor allem das Versprechen von deutlichen Steuersenkungen - nicht zu erfüllen und sich von der Union unterbuttern zu lassen. Viele der Wähler von 2009 sehen nicht mehr, warum sie eigentlich die FDP wählen sollten und nicht gleich die Union. Oder auch die Grünen.

Ein kleiner Regierungspartner, der erfolgreich sein will, muß dem Wähler das vermitteln, was die französischen Politologen das oui, mais nennen; das ja, aber. Man sitzt - ja! - im selben Boot und steht zusammen. Es gibt - aber! - beim kleineren Partner Besonderheiten, die eben genügend viele Wähler veranlassen, ihn gegenüber dem großen Partner zu bevorzugen.

Geprägt wurde diese Formel Ende der sechziger Jahre von den französischen Républicains Indépendents unter Valéry Giscard d'Estaing, der später Staatspräsident wurde. Diese Liberalen waren damals der Koalitionspartner der konservativen Gaullisten, die ihnen in der Größe der Partei ebenso überlegen waren wie heute die Union der FDP.

Das Problem des kleineren Partners ist es, sich so zu verhalten, daß das mais vom Wähler nicht als ein njet vernommen wird. Differenzierung innerhalb der Regierung darf nicht den Eindruck der Zerstrittenheit erwecken. Das war ein Hauptproblem der christlich-liberalen Regierung vor allem in ihren ersten Monaten.



Die FDP hat diese Kunst, loyal zum Partner zu stehen und sich dennoch klar von ihm abgrenzen, in ihrer Geschichte unterschiedlich gut beherrscht und mit verschiedenen Inhalten gefüllt.

Zu Adenauers Zeit war sie vor allem die Partei des traditionellen liberalen Bürgertums; die Nachfolgerin sowohl der progressiven DDP/DStP als auch der nationalliberalen DVP der Weimarer Republik, die sich bei der Gründung der FDP im Dezember 1948 schon zusammengefunden hatten. Sie betonte vor diesem Hintergrund gegenüber der Union zum einen die Bedeutung der bürgerlichen Freiheiten, zum anderen - jedenfalls in den ersten Jahren - auch einen gesamtdeutschen Patriotismus, der sich in der rheinisch geprägten CDU nicht durchweg fand.

Später dann in der sozialliberalen Koalition profilierte sich die FDP als die Partei der Modernisierung Deutschlands; zunehmend dann auch als die Partei der wirtschaftlichen Vernunft, mit dem Lambsdorff-Papier als Höhe- und zugleich Schlußpunkt. Sie war auf der einen Seite die treibende Kraft bei der Strafrechtsreform; und sie bewahrte das Land auf der anderen Seite vor dem Abgleiten in einen demokratischen Sozialismus, wie er in den siebziger Jahren bei einer Alleinherrschaft der SPD gedroht hätte.

Aber jetzt? Was wäre anders, wenn die Union allein regierte, statt zusammen mit der FDP? Das fragen sich viele Bürger, und sie fragen sich das leider zu Recht.

Dabei liegt eigentlich auf der Hand, welches die Domänen sind, in denen liberales Denken gegen die Union behauptet, wo es gegen sie verteidigt und auch offensiv vertreten werden muß: Es sind diejenigen Politikbereiche, in denen der linksökologische Zeitgeist auch in der Union Fuß gefaßt hat.

Die FDP kann und sollte nicht alle Wähler ansprechen; auch keine Mehrheit. Aber sie sollte eine selbst denkende, kritische, nicht jeder Mode hinterherlaufende Minderheit ansprechen.

Dazu gehört der Bereich der Wirtschafts- und Steuerpolitik; aber nur als ein, und vielleicht nicht als der wichtigste Bereich. Die beiden anderen, mindestens gleichrangigen Bereiche sind die Umwelt- und die Gesellschaftspolitik.

Die Union ist dabei, röttgenisiert und leyenisiert zu werden. Norbert Röttgen, schon als dreißigjähriger Nachwuchspolitiker Mitglied der "Pizza Connection", in der sich Grüne und Unionspolitiker trafen, will die Union an grünes Denken heranführen und gibt sich manchmal grüner als die Grünen. Ursula von der Leyen, eine eminent intelligente, eine urbane und auch effiziente Politikerin, scheint von dem Gedanken besessen zu sein, die CDU zur Partei intelligenter, urbaner und effizienter Frauen zu machen.

Was sie ja gern sein darf; eine Volkspartei soll sich auch um diese Zielgruppe bemühen. Aber diese dürfte eigentlich nicht ihr Image bestimmen.

Da eröffnet sich also im bürgerlichen Lager - ein Begriff, der mir keineswegs überholt erscheint - Platz für mehr Liberalismus.

Die Umweltpolitik, wie sie heute von allen Parteien außer der FDP propagiert wird, ist zutiefst unliberal: Erstens, weil sie ideologische Züge trägt; zum zweiten, weil aus dem Humus der Ökologie immer kräftiger das Unkraut der Unfreiheit herauswächst. Die Öko-Diktatur, von der Wolfgang Harich einst träumte, ist zwar nicht da, aber ihre Umrisse dämmern am Horizont herauf (siehe die Serien Deutschland im Öko-Würgegriff und Überlegungen zur Freiheit).

Ebenso sind manche Züge der Gesellschaftspolitik, die in der Union inzwischen propagiert wird, illiberal, wenn nicht antiliberal. Man muß da allerdings die richtigen Akzente setzen.

Guido Westerwelle hatte Anfang 2010, als die Umfragewerte der Partei zu bröckeln begannen, die Idee, mit einem furiosen Artikel eine Debatte über Hartz IV zu eröffnen; so, als richte sich die Gesellschafts- und Sozialpolitik der FDP primär gegen diese Personengruppe. Das erwies sich, wie ich es damals befürchtet hatte, als Rohrkrepierer. Westerwelle hatte sich ein ganz unglückliches Thema ausgesucht.

Nein, die Gesellschafts- und Sozialpolitik der FDP sollte nicht primär gegen "Sozialschmarotzer" gerichtet sein; auch wenn dies ein Thema ist, wert, aus liberaler Sicht beleuchtet zu werden.

Aber vor allem sollte es doch darum gehen, die Freiheit des Einzelnen gegen den Zugriff des Staats zu verteidigen. Und dieser erschöpft sich ja nicht in dem, was die Liberalen des 19. Jahrhunderts vom Staat zu befürchten hatten - Spitzelei, Zensur, Datensammelei. Sondern der Zugriff des Staats auf das Leben des Einzelnen findet heute ganz wesentlich in Form "gestaltender" Elemente statt. Zum Beispiel im Bereich der "Nichtdiskriminierung". Zum Beispiel bei der sogenannten Frauenquote.



Diese Frauenquote ist gegenwärtig in der Diskussion. Die Ministerin von der Leyen hat hier einen Vorstoß gestartet, den man dreist wird nennen dürfen: Den deutschen Unternehmen soll vorgeschrieben werden, einen bestimmten Prozentsatz an Frauen in ihre Vorstände und Aufsichtsräte zu berufen. Die sonst eigentlich vernünftige Ministerin Kristina Schröder hat sich ihr, vielleicht nolens, volens, angeschlossen (siehe Der "Spiegel" und die Frauenquote; ZR vom 29. 1. 2011).

Das ist eine Herausforderung an den Liberalismus; und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen will der Staat mit dieser Frauenquote in die Personalentscheidungen von Unternehmen hineinregieren dürfen; wirtschaftlicher Etatismus reinsten Wassers. Zweitens geht es ja eben nicht primär um eine wirtschafts-, sondern um eine gesellschaftspolitische Weichenstellung.

Parteien haben bestimmte Vorstellungen davon, wer in welchen Berufen in welchen Proportionen vertreten sein sollte (daher ja das Wort "Proporz", wie die Quote ursprünglich genannt wurde). Diese Vorstellungen wollen sie mittels einer vorgeschriebenen Quote den freien Bürgern aufzwingen; ganz so, wie das der SED-Staat mit "unseren Menschen" gemacht hat.

Damals wurde in (vor allem den ersten Jahren) der DDR der Hochschulzugang nach sozialer Herkunft quotiert; Arbeiterkinder wurden bevorzugt. Jetzt sollen die Vorstände und Aufsichtsräte deutscher Unternehmen mit einem Proporz belegt werden; Frauen sollen bevorzugt werden (denn es ist eine Bevorzugung, wenn jemand trotz schlechterer Qualifikation aufgrund seines - ihres - Geschlechts eine bestimmte Position erhält).

Sowohl für die FDP als eine wirtschaftsliberale Partei als auch für die gesellschaftspolitisch liberale FDP hätte das somit ein zentrales Thema sein müssen. Es hätte ein Anlaß sein müssen, ganz laut "aber" zu sagen; sich eindeutig und öffentlichkeitswirksam gegen diese Pläne der Ministerin von der Leyen zu wenden, in ihrem Schlepptau die Ministerin Schröder.

Hier war ein Feld für die FDP, innerhalb der Koalition Profil zu gewinnen und liberale Flagge zu zeigen. Aber haben Sie etwas wahrgenommen von einer gehißten Flagge? Hat da jemand die Fahne des Liberalismus geschwungen? Allenfalls ein Mini-Wimpelchen flatterte.

Eine Woche lang war aus der FDP kaum etwas zu vernehmen. Jetzt hat sich
die FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger geäußert:
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), deren Haus für ein solches Gesetz federführend wäre, lehnt eine "starre und pauschale Quote" ab. "Es reicht nicht aus, mit dem Finger auf die Unternehmen zu zeigen und die Rahmenbedingungen nicht zu diskutieren", sagte sie der F.A.Z.
Keine starre und pauschale Quote. Also eine flexible und individualisierte? "Es reicht nicht aus"? Machen soll oder darf man es aber schon? Offenbar meint das die Ministerin; sie hat ja noch im August 2010, liberal wie sie ist, die Quote selbst gefordert (siehe "Zum Instrument der Quote greifen". Ein aktuelles Beispiel für liberale Gesellschaftspolitik; ZR vom 5. August 2010).

Aber es kommt noch erstaunlicher:
Der Vorstoß der Arbeitsministerin sei lediglich ein Diskussionsbeitrag und nicht Bestandteil der Verabredungen im Koalitionsvertrag, gab Leutheusser-Schnarrenberger den Ball zurück. "Gerade auch in der Regierung muss quer durch alle Ressorts der Anteil von Frauen in Führungsposition, beispielsweise auf Staatssekretärsebene, weiter gestärkt werden", ergänzte sie.
Wenn das eine Ablehnung der Frauenquote ist, dann ist Cindy aus Marzahn die deutsche Kanzlerin.

Die deutsche Kanzlerin aber hat das gemacht, was die FDP nicht wollte oder nicht konnte, oder vielleicht nicht wollen konnte: Sie hat den Plänen der beiden Ministerinnen eine klare Absage erteilt:
Eine verbindliche Frauenquote von 30 Prozent in Vorstand und Aufsichtsräten – das fordert Ursula von der Leyen. Nun bekommt die CDU-Arbeitsministerin eine Absage von ihrer Parteikollegin Angela Merkel. Eine gesetzlich festgelegte, einheitliche Frauenquote in der Wirtschaft werde es nicht geben. Das Vorhaben sei mit den Koalitionspartnern FDP und CSU nicht durchzusetzen, sagte Bundeskanzlerin Merkel in der Vorbesprechung der Kabinettssitzung, wie die Rheinische Post unter Berufung auf Teilnehmerkreise berichtete.
Ja so, mit der FDP nicht durchzusetzen? Und wo waren die FDP-Politiker, die zu diesem Thema auf die Barrikaden gestiegen sind, die Artikel geschrieben, die Interviews gegeben, die gezeigt haben, daß dies und warum es für die FDP ein zentrales Thema ist?

Ich habe von ihnen nichts bemerkt. Statt sich mit diesem wichtigen Thema zu profilieren, steht die FDP wieder einmal als die Partei der Obstruktion da. Es war halt mit ihr nicht durchzusetzen.




Hier sind einige der Artikel, in denen ich den Niedergang der FDP kommentiert habe; umfassendere Analysen sind durch einen Punkt gekennzeichnet:
FDP zurück ins Glied. Die unsichtbare Regierungspartei. Eine Hoffnung zerfällt; ZR vom 4. 1. 2010

Die schwarzgelben Lemminge; ZR vom 3. 2. 2010

  • Zur Strategie und Taktik der FDP; ZR vom 6. 2. 2010

    Westerwelles riskante Taktik. Steckt der Liberalismus in einer "geistig-moralischen Krise"?; ZR vom 16. 2. 2010

    Es wird Zeit, daß in der FDP über Guido Westerwelle diskutiert wird; ZR vom 4. 6. 2010

    "Der Staat darf keine Glücks- und Wohlfahrtsvorstellungen per Gesetz – und das heißt per Zwang – durchsetzen". Ein liberaler Aufbruch; ZR vom 13. 9. 2010

    "Die individuelle Freiheit nach vorn stellen". Frank Schäffler über den "Liberalen Aufbruch"; ZR vom 20. 9. 2010

  • Noch nie hatte sich ein Jahr nach einer Wahl die Parteinlandschaft so grundlegend verändert wie jetzt. Versuch einer Erklärung; ZR vom 27. 9. 2010

  • Deutschland im Herbst. Deutschland paradox. Anmerkungen zur Lage der Nation; ZR vom 13. 10. 2010

    Barack Westerwelle und der Niedergang der FDP; ZR vom 23. 12. 2011

  • Dreikönigstreffen. Aufstieg und Fall der FDP. Wie kam es eigentlich zu dem glänzenden Wahlergebnis von 2009?; ZR vom 4. 1. 2011



  • © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Friedrich Naumann. Skizze von Max Liebermann zu einem Porträt.