14. Februar 2011

Was ist die Ursache des Aufruhrs in Arabien? Die Klimakatastrophe! Sie glauben das nicht? Dann lesen Sie ...

In Rußland war es im Sommer 2010 sehr heiß. Was ist die Ursache? Natürlich der Klimawandel. In Australien gab es in den vergangen Monaten große Überschwemmungen. Warum? Selbstredend wegen des Klimawandels. Nordeuropa und Nordamerika erlebten einen der kältesten Winter seit langem, mit Schneestürmen in den USA. Woher kommt's? Vom Klimawandel, wie anders.

In Tunesien, dann in Ägypten fanden Revolutionen statt; die ganze arabische Welt scheint in Aufruhr zu geraten. Was steckt dahinter? Dies nun wird Sie vielleicht wundern: Auch der Klimawandel.

Das jedenfalls sagt der Herr, den Sie als Titelvignette sehen. Es ist Francesco Altini, ein Bühnenmagier und Freund der Esoterik. Besser bekannt ist er Ihnen wahrscheinlich unter seinem bürgerlichen Namen Dr. Franz Alt, langjähriger Redakteur des SWF (heute SWR) und Autor von Bestsellern wie "Liebe ist möglich", "Jesus, der erste neue Mann" und "Wege zur ökologischen Zeitenwende".

Alt betreibt einen Blog, der seinen Namen trägt, sowie den Untertitel sonnenseite.com. Dort kann man derzeit einen Artikel mit der Überschrift "Ägypten und Tunesien: Die ersten Klima-Revolutionen" lesen. Darin heißt es:
Dürre in ganz Afrika, Feuer in halb Russland, gewaltige Überschwemmungen in Australien, Pakistan und Lateinamerika, Trockenheit in Lateinamerika. Die Zeichen mehren sich. (...) Das alles hat riesige Ernteausfälle zur Folge. Die Lebensmittelpreise steigen weltweit so wie die Zahl der Hungernden. In Arabien hat der Hunger, die Arbeitsplatzmisere der vielen jungen Menschen und die Sehnsucht nach Freiheit die Lust zur Revolte bestärkt. (...) Wie rasch sich Hungeraufstände mit der Forderung nach mehr Demokratie und Freiheit verbinden können, erleben wir gerade.
Ein Gedanke, so einfach wie plausibel: Die globale Erwärmung bewirkt Wetterkatastrophen. Infolgedessen sinken die Ernteerträge. Das führt zu einem geringeren Angebot an Nahrungsmitteln und damit steigenden Preisen. Die davon betroffenen Menschen geraten in Aufruhr. Das erleben wir jetzt in Tunesien und Ägypten.

Das ist so plausibel, wie daß es deshalb in Australien Überschwemmungen gibt, weil durch die globale Erwärmung mehr Ozeanwasser verdunstet, das dann als Regen niedergeht.

Nur kann die globale Erwärmung ebenso zu Dürren führen; diese und nicht Überschwemmungen hatte der einflußreiche australische Klimaforscher Tim Flannery für seinen Kontinent vorhergesagt (siehe Die Todesopfer des Klimawahns, ZR vom 15. 1. 2011).

Postdiction - die "Nachhersage" - ist halt leichter als prediction, eine Vorhersage. Flannerys deutscher Kollege Mojib Latif hatte im Jahr 2000 prognostiziert: "Winter mit starkem Frost und viel Schnee wie noch vor zwanzig Jahren wird es in unseren Breiten nicht mehr geben"; siehe "Nie wieder Schnee". Erinnerung an eine Prognose von Mojib Latif; ZR vom 25. 11. 2010. Das entnahm er damals den im Prinzip selben Modellen, mit denen heute der kalte Winter erklärt wird.

Man sieht: Was plausibel ist, muß nicht schon deshalb stimmen. Der Zusammenhang, den Alt herstellt, klingt plausibel. Aber stimmt er auch?



Alt hat seine Theorie von dem amerikanischen Ökonomen Paul Krugman übernommen, der dazu in der New York Times zwei Artikel publiziert hat: Soaring food prices (Steil ansteigende Nahrungsmittelpreise) am 5. Februar und Droughts, Floods and Food (Dürren, Überschwemmungen und Nahrungsmittel) einen Tag danach.

Krugman freilich hat diese Theorie auch nicht erfunden, sondern sie kursiert schon seit dem Beginn der Unruhen in Tunesien; man findet sie zum Beispiel ausführlich, mit Zitaten und Links, am 30. Januar im - laut Time Magazine - "einflußreichsten Blog zum Klimawandel", Climate Progress. Über den Zusammenhang zwischen steigenden Lebensmittelpreisen und dem Aufruhr in Tunesien berichtete die Washington Post bereits am 14. Januar.

Jedenfalls für Tunesien ist dieser Zusammenhang auch plausibel; denn laut dem Bericht der Washington Post versprach Präsident Ben Ali vor seinem Rücktritt eine Senkung der Preise für Zucker, Milch und Brot. Aber wie plausibel ist es, daß die momentan hohen Weltmarktpreise für Nahrungsmittel eine Folge der globalen Erwärmung sind?

Das hat der Fachblog für Agrarwissenschaft big picture agriculture gründlich unter die Lupe genommen. Die Autorin Kalpa analysiert die Versorgung mit Getreide auf dem Weltmarkt und kommt zu folgenden Ergebnissen:
  • Die drei Grundnahrungsmittel im Weltmaßstab sind Reis, Weizen und Mais. Trotz des ungünstigen Wetters in einigen Teilen der Welt im Jahr 2010 ist die Versorgung mit Reis und Weizen gut; das Angebot an Mais ging zurück.

  • Die weltweite Produktion von Reis lag 2009/2010 um zwei 2 Prozent niedriger als im Jahr zuvor, das ein Rekordjahr gewesen war. Das geht im wesentlichen auf eine schlechte Reisernte in Indien zurück. Die USA, die der viert- bis fünftgrößte Exporteur von Reis sind, hatten 2009/2010 um 20 Prozent höhere Reisvorräte als im Vorjahr.

  • Die weltweiten Weizenvorräte waren von 2000/2001 an drastisch zurückgegangen und sind seit 2008/2009 wieder gestiegen; auch 2009/2010 gegenüber dem Vorjahr. Für 2010/2011 wird ein weltweiter Weizenvorrat von knapp unter 100 Tagen erwartet (in den letzten vier Jahrzehnten lag das Minimum bei ungefähr 70, das Maximum bei ungefähr 135 Tagen).

  • Die weltweite Weizenproduktion lag 2010 um 5 (in Worten: fünf) Prozent niedriger als 2009, wo es eine Rekordernte gegeben hatte. Das geht teils auf die Dürre in Rußland und der Ukraine zurück; teils darauf, daß die Produktion wegen des Überangebots im Jahr 2009 verringert worden war. Dürren auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion sind nichts Ungewöhnliches; sie kommen im Schnitt in zwei von fünf Jahren vor.

  • Was nun den Mais angeht, war die Ernte in den USA - dem größten Maisexporteur - im Jahr 2010 die dritthöchste überhaupt. Dennoch gingen die weltweiten Maisvorräte zurück. Ein wesentlicher Grund ist, daß inzwischen 40 Prozent der Produktion in den USA zur Gewinnung von Bio-Treibstoff verwendet wird.
  • Soweit die Fakten, wie sie big picture agriculture beschreibt. Und warum sind nun gegenwärtig die Preise für Nahrungsmittel so hoch? Paul Krugman nennt selbst einige der Gründe:

    Die weltweite Nachfrage steigt, weil in den sich entwickelnden Ländern immer mehr Menschen sich besser ernähren können. Ähnliche durch steigende Nachfrage bedingte Preissteigerungen findet man auch bei Rohstoffen von Aluminium bis Zink. Speziell steigt die Nachfrage nach Futtergetreide, weil immer mehr Menschen sich Fleischmahlzeiten leisten können. Das Angebot geht auf der anderen Seite teilweise zurück, weil die Anbauflächen zu anderem als zur Produktion von Nahrungsmitteln genutzt werden - Baumwolle beispielsweise; oder eben Mais für Biodiesel.

    Die hohen Preise sind also teils angebots- und teils nachfragebedingt. Krugman betont nun auf der Angebotsseite einen Rückgang des Weizenangebots aus Rußland und der Ukraine im Sommer 2010; aufgrund der Mißernte. So etwas löst Spekulationen aus. Wie erwähnt, lagen die weltweiten Weizenvorräte dennoch höher als im Vorjahr; aber die vorübergehende Verknappung führte via Spekulationen eben doch zu einem steilen Anstieg der Preise.

    Diese vorübergehende Verknappung lag am Wetter in Rußland und der Ukraine. Ob die Dürre eine normale Wetterschwankung war oder etwas mit einer globalen Erwärmung zu tun hat, kann niemand sagen. Daß die hohen Lebensmittelpreise bei der Revolution in Tunesien eine Rolle spielten, ist wahrscheinlich. Ob auch in Ägypten, weiß man nicht.



    Wir haben es mit drei jeweils hochkomplexen, nichtlinearen dynamischen Systemen zu tun (also Systemen mit sehr vielen Variablen, von denen jede den Effekt der anderen beeinflussen kann):
  • Dem System des Wetters und des Weltklimas;

  • dem System der Preisbildung an den weltweiten Börsen;

  • und mit dem chaotischen Geschehen, das Revolutionen kennzeichnet.
  • Aus dem Zusamenwirken dieser drei Systeme eine simple Kausalkette Klimawandel --> Teure Lebensmittel --> Aufruhr in Tunesien und Ägypten zu basteln, mag eine oberflächliche Plausibilität haben. Seriös ist es nicht.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Reiner aus dem Saarland. Titelvignette: Franz Alt. Vom Autor The weaver unter GNU Free Documentation License, Version 1.2 oder oder später, freigegeben. Bearbeitet.