18. Februar 2011

Marginalie: Kann Paragraph 10 der Bayreuther Jura-Promotionsordnung Guttenberg retten? Nein

In "Spiegel-Online" ist seit knapp zwei Stunden eine nachgerade abenteuerliche Idee zu lesen, um Guttenberg zu retten:
In CSU-Kreisen wird derzeit intensiv die Promotionsordnung der rechts- und wirtschafts-wissenschaftlichen Fakultät der Uni Bayreuth studiert. Dort heißt es in Paragraf 10: "Der Dekan kann die Dissertation dem Bewerber zur Verbesserung zurückgeben." Das überarbeitete Werk sei dann "binnen eines Jahres erneut vorzulegen". Wäre das ein Ausweg für Guttenberg? Nochmal rangehen an die Doktorarbeit? Als "Bewerber"? Manch christsozialer Jurist jedenfalls scheint davon ganz angetan.
Ich habe mir jetzt diese Promotionsordnung einmal angesehen. Der Paragraph 10, Absatz 4 lautet:
Der Dekan kann die Dissertation dem Bewerber zur Verbesserung zurückgeben; er muss dies tun, wenn einer der Berichterstatter die Rückgabe der Arbeit zur Verbesserung verlangt. Die überarbeitete Dissertation ist binnen eines Jahres erneut vorzulegen. Die Frist kann in begründeten Ausnahmefällen um ein weiteres Jahr verlängert werden. Wird die Dissertation nicht fristgerecht vorgelegt, so gilt sie als abgelehnt. Eine überarbeitete Dissertation ist nach dem Sach- und Wissensstand zur Zeit der Neuvorlage zu beurteilen.
Auf den ersten Blick mag das nach einem Ausweg aussehen: Guttenberg überarbeitet die Dissertation und kennzeichnet alle Zitate; dann legt er sie erneut vor, und alles ist gut.

Tatsächlich ist das aber überhaupt kein Ausweg. Warum nicht, versteht man, wenn man sich den Gang eines Promotionsverfahrens vergegenwärtigt.

Dessen einzelnen Schritte werden im Detail durch die Promotionsordnung geregelt. Die Bedeutung einer Bestimmung wie der zitierten im Paragraphen 10 ergibt sich wesentlich daraus, auf welchen Schritt sie sich bezieht.

Ein Promotionsverfahren besteht aus zwei Hauptteilen; der erste betrifft die Dissertation, der zweite ist die mündliche Prüfung (früher meist Rigorosum genannt, heute oft - wie auch in Bayreuth - Kolloquium).

Die Reihenfolge dieser beiden Teile - der schriftlichen und der mündlichen Promotionsleistung - ist strikt festgelegt: Erst wenn die Dissertation angenommen ist, kann der Kandidat zur mündlichen Prüfung zugelassen werden. Wird die Dissertation abgelehnt, dann kommt es gar nicht erst zu einer mündlichen Prüfung.

Der Paragraph 10 (Überschrift: "Berichterstattung über die Dissertation") nun bezieht sich auf den ersten Hauptteil des Verfahrens. Er regelt, wie zu verfahren ist, nachdem der Kandidat seine Arbeit eingereicht hat: Es werden (mindestens) zwei Gutachter ("Berichterstatter") bestellt; diese geben "in angemessener Frist" ihre Gutachten ab, einschließlich eines Notenvorschlags.

An dieser Stelle des Verfahrens nun kann das eintreten, was der Paragraph 10, Absatz 4 regelt: Aufgrund eigener Beurteilung oder auf Wunsch (mindestens) eines der Gutachter kann der Dekan dem Kandidaten die Dissertation zur Verbesserung zurückgeben. Das Verfahren wird damit gewissermaßen für maximal ein Jahr (in Ausnahmefällen für maximal zwei Jahre) angehalten.

Die verbesserte Fassung wird dann erneut begutachtet, und dann erst wird der Kandidat - falls die Gutachter die Annahme der Arbeit empfehlen - zur mündlichen Prüfung zugelassen.

Zu Guttenberg hat ja aber das ganze Verfahren bereits durchlaufen; einschließlich Aushändigung der Urkunde. Die Gelegenheit, den Paragraphen 10 zur Anwendung zu bringen, ist längst vorbei.



Da ich mir nun diese Promotionsordnung schon angesehen habe, zwei Funde, die vielleicht für die Causa Guttenberg von Interesse sind:
§ 8 Antrag auf Zulassung zur Promotion
Die Zulassung zum Promotionsverfahren ist schriftlich beim Dekan zu beantragen. Dem Antrag sind beizufügen: (...)
6. eine ehrenwörtliche Erklärung des Bewerbers darüber, dass er die Dissertation selbständig verfasst und keine anderen als die von ihm angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt hat; dass er die Dissertation nicht bereits einer anderen Hochschule zur Erlangung eines akademischen Grades eingereicht hat; dass er nicht bereits diese oder eine gleichartige Doktorprüfung an einer anderen Hochschule endgültig nicht bestanden hat.

§ 16 Ungültigkeit der Promotionsleistungen
(1) Ergibt sich vor der Aushändigung der Urkunde, dass sich der Bewerber im Promotionsverfahren einer Täuschung schuldig gemacht hat, so erklärt die Promotionskommission alle bisher erworbenen Berechtigungen für ungültig und stellt das Verfahren ein.
(2) Wird die Täuschung erst nach Aushändigung der Urkunde bekannt, so kann nachträglich die Doktorprüfung für nicht bestanden erklärt werden. Die Entscheidung trifft die Promotionskommission. (...)
(4) Wird die Prüfung für nicht bestanden erklärt, ist die Promotionsurkunde einzuziehen.
Wer ist diese Promotionskommission? Darüber gibt Paragraph 3, Absatz 2 Auskunft:
(2) Die Promotionskommission wird vom Prodekan als Vorsitzendem geleitet. Ihr gehören außerdem an: zwei Professoren der Rechtswissenschaft, je ein Professor für Betriebswirtschaftslehre und für Volkswirtschafts-lehre, sowie ein hauptberuflicher wissenschaftlicher Mitarbeiter, der nach den Vorschriften der Hochschulprüferverordnung in der jeweils geltenden Fassung zur Abnahme der Promotion berechtigt ist. Die Mitglieder der Promotionskommission nach Satz 2 werden für die Dauer von zwei Jahren vom Fachbereichsrat gewählt. Wiederwahl ist zulässig.
Die Entscheidung darüber, ob zu Guttenbergs Doktorprüfung nachträglich für nicht bestanden erklärt wird, trifft also nicht der Doktorvater, nicht der Dekan und nicht die gesamte Fakultät, sondern diese Kommission.

Sie wäre gut beraten, sich dabei nicht auf ihre eigene Kompetenz zu verlassen, sondern Gutachter - und zwar am besten externe, die mit dem Verfahren nichts zu tun hatten - zu beauftragen. Das sieht die Promotionsordnung zwar nicht ausdrücklich vor, sie schließt es aber auch nicht aus.



Weitere Artikel zu Guttenberg (die zu der jetzigen Affäre sind durch einen Punkt gekennzeichnet):
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  • Marginalie: Guttenberg muß gehen. Null Optionen. Nebst einem Nachtrag; ZR vom 18. 2. 2011

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