14. Februar 2011

Gedenken an die Luftangriffe auf Dresden 1945. Der demokratische Rechtsstaat, seine rechten Feinde, seine linken Feinde

In diesem Blog lesen Sie oft etwas zum Linksextremismus und Islamismus; eher selten finden Sie einen Artikel zum Rechtsextremismus. Das liegt keinesfalls daran, daß ich diese dritte Spielart des Totalitarismus weniger ablehnen würde als die beiden anderen. Der Grund ist, daß über die Ansichten der Rechtsextremen und ihre Taten in den Medien ausführlich berichtet wird; ich sehe da in der Regel keine Notwendigkeit, etwas zu ergänzen oder zu kommentieren.

Allerdings weise ich gelegentlich auf die Gemeinsamkeiten und bemerkenswerten Ähnlichkeiten zwischen allen drei Varianten des Totalitarismus hin; siehe zum Beispiel Mal wieder ein kleines Quiz; ZR vom 2. 1. 2007 (über die Ähnlichkeit zwischen Links- und Rechtsextremismus) und Die NPD und der Islamismus; ZR vom 24. 8. 2006 (über die Nähe zwischen der NPD und der Hisb ut-Tahir). Und siehe vor allem den Artikel, in dem ich nachzeichne, wie Horst Mahler von Marx über Hegel zu Hitler, dem Guru seines Lebensabends, gelangte: Horst Mahler - ein deutscher Denker, ein deutscher Täter: Ein Rückblick auf Hegel und Marx; ZR vom 9. 11. 2007.



Auf das Thema, mit dem ich mich jetzt befassen möchte, bin ich durch einen Beitrag im Blog "Stefanolix - Vermischtes aus Dresden" aufmerksam geworden. Gestern berichtete FAZ.Net ausführlich darüber; einen aktuelleren Bericht findet man zum Beispiel in "Welt-Online".

In der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945 und während des 15. Februar fanden alliierte Bombenangriffe auf Dresden statt, die überwiegend der Zivilbevölkerung galten ("Flächenbombardements"). Eine ausführliche Beschreibung findet man zum Beispiel in dem Buch "Brand" von Jörg Friedrich (2002). Viele Details enthält auch der Artikel "Luftangriffe auf Dresden" der Wikipedia.

Es handelte sich um Kriegsverbrechen. Ob Kriegsverbrechen gerechtfertigt waren, um die Nazis niederzuringen; ob sie vor allem im Februar 1945 noch gerechtfertigt waren, als das Ende des "Dritten Reichs" schon absehbar war, kann man diskutieren. Aus meiner Sicht war jedenfalls die Bombardierung Dresdens zu diesem späten Zeitpunkt des Kriegs nicht ethisch zu rechtfertigen.

Das ist jetzt 66 Jahre her; so lange, wie das Ende des Kaiserreichs her war, als 1984 Richard von Weizsäcker Bundespräsident wurde. Rund drei Generationen.

Jeder vernünftige und anständige Mensch wird auf das, was im Zweiten Weltkrieg an Entsetzlichem geschehen ist, vor allem unter dem Gesichtspunkt zurückblicken, daß wir glücklicherweise heute in einem völlig anderen Europa leben; einem Europa, in dem Kriege wie der Erste und der Zweite Weltkrieg nicht mehr möglich sein werden.

Das schließt Gedenken nicht nur nicht aus, sondern es verlangt nachgerade die Erinnerung.

Zum einen, weil die Verwundungen, die Hitlers Krieg mit sich gebracht hatte, ja nicht aus der Welt sind, auch wenn diejenigen wegsterben, die sie selbst erlitten haben. Es gibt oral history; das, was in den Familien, was manchmal auch in den Schulen von Generation zu Generation weitergegeben wird. Es gab im Dresden der DDR noch die sichtbaren Zeichen der Bombardements; erst nach der Wiedervereinung endete im Stadtbild Dresdens wirklich der Zweite Weltkrieg.

Und es gibt auch das Gedenken als Teil der nationalen Identität. Zu unserer deutschen Identität gehören eben nicht nur die Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, des besten Staats, den es jemals in Deutschland gegeben hat, und auf der anderen Seite die Mißerfolgsgeschichte der DDR. Nationale Identität ist in der gesamten Geschichte verwurzelt; mit ihren Großtaten, ihren kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen, aber auch mit ihren Verbrechen und dem Leiden der Menschen.



Jedes Jahr findet in Dresden ein Gedenken an die Bombardements des 13./14. und 15. Februar 1945 statt. Dieses Jahr hat der Zweite Bürgermeister Detlef Sittel angemessene Worte gefunden:
Mehr als 20 000 Menschen werden in der Nacht dieses 13. Februars umgekommen sein, und die Folgetage bringen immer neue Angriffe, immer neues Leid – der Tod frisst sich durch Dresden.

Viele versuchten, aus dieser Hölle zu entkommen, oder sie saßen schon wieder in Luftschutzkellern – am Vormittag des 14. Februar rollte der dritte Bomberangriff seit der vergangenen Nacht, ein Angriff auf eine Stadt, die lichterloh brannte und aus unzähligen Wunden blutete: Dresden ereilte jenes Schicksal, das zuvor so viele andere Städte Europas getroffen hatte. (...)

Wenn wir ihrer heute gedenken, dann tun wir das im Wissen um Nächte und Tage, in denen zuvor Warschau, Rotterdam und Coventry von deutschen Bombern in Schutt und Asche gelegt worden waren.

Meine Damen und Herren, angesichts Tausender ausgelöschter Leben, angesichts der Opfer, angesichts unwiederbringlicher Verluste an Kultur und Kunst in dieser Stadt verspüren wir noch heute Trauer und Schmerz.

Doch wir wissen auch – und niemand muss uns darüber belehren: In diesen Stunden vor 66 Jahren trieb die Gestapo die wenigen überlebenden Dresdner Juden zusammen, um sie in ein Vernichtungslager zu transportieren. In diesen Stunden vor 66 Jahren wurden in Dresden noch immer junge Deutsche für den Krieg gedrillt, wurden hier Waffen, Kriegsgerät, Granaten hergestellt.
Das Gedenken bedeutet für alle, die vernünftig sind und anständig, eben nicht, die eine Seite zu beschuldigen, ohne zu berücksichtigen, daß die andere Seite - die Verbrecherbande, die Deutschland zwischen 1933 und 1945 regiert hat - daran die Schuld trägt, daß es überhaupt zu diesem Krieg kam.



Damit wäre eigentlich alles gesagt. Wäre, wenn es in Deutschland nicht Neonazis gäbe, die aus der Geschichte nichts gelernt haben. Bornierte junge Leute und zynische Funktionäre und Ideologen, denen sie folgen.

Sie wollen die Angriffe auf Dresden nicht als etwas glücklicherweise Vergangenes sehen, das sich in Europa nicht wiederholen wird; sondern sie wollen das Gedenken nutzen, um ihren Haß zu artikulieren: Ihren Haß auf die westlichen Demokratien, auf den freiheitlichen Rechtsstaat; auf das "System". Auf das "System", das es ihnen freilich erlaubt, unbehelligt zu demonstrieren.

Denn das dürfen sie; unter dem Schutz des Grundgesetzes, das sie verachten. Sie haben für den kommenden Samstag einen Aufmarsch von Neonazis aus dem In- und Ausland angemeldet. Wie sollten sich Demokraten verhalten?

Gestern gab es eine Menschenkette von, wie es heißt, 17.000 Personen. Blockiert haben sie aber den Aufzug der Neonazis nicht; wie jedenfalls "Spiegel-Online" meldet:
Die Polizei hält alle Gegendemonstranten auf Abstand, so dass es gar nicht erst zu Blockaden kommt. In sechs Tagen soll es noch schlimmer werden. Für den 19. Februar haben die Neonazis europaweit mobilisiert.

Das Lager der Nazi-Gegner ist gespalten. Seit jeher zieht sich ein Riss durch die Stadt. Die konservative Stadt-CDU tut sich schwer, Seite an Seite mit der Linken zu protestieren. Blockaden lehnen die meisten Alt-Dresdner ebenso ab wie Solidaritätskonzerte. CDU-Kreischef Lars Rohwer kanzelte Unterstützer aus anderen Städten schon einmal mit den Worten ab, auf "Demonstrationstouristen" könne Dresden verzichten.
Da nun geht einiges durcheinander. Mit der Linken - also den Parteien links von der Mitte, vor allem der SPD - wird die CDU sicher gemeinsam demonstrieren wollen. Daß sie das mit der umbenannten SED nicht will, die nicht die Linke ist, sondern nur die Partei "Die Linke", hat seinen guten Grund: Denn wie kann man zusammen mit einer Partei gegen den rechten Totalitarismus demonstrieren, die vierzig Jahre lang die linke Variante des Totalitarismus zu verantworten hatte und deren Vorsitzende erst kürzlich, mit Berufung auf die revolutionäre Kommunistin Rosa Luxemburg, zur "Machteroberung" aufgerufen hat? (siehe Gesine Lötzsch und die Wege zum Kommunismus; ZR vom 7. 1. 2011).

Das ist ebenso abwegig, wie daß demokratische Parteien zum Instrument der "Blockade" greifen. Die Rechtsextremen haben in diesem demokratischen Rechtsstaat das Recht zu demonstrieren, so wie es auch die Partei "Die Linke" hat. Es ist undemokratisch, ihnen das zu verwehren.

Demokratisch ist es, durch eine große Gegendemonstration zu zeigen, wo die Dresdner stehen. Wenn die Neonazis 500 Menschen mobilisieren, dann sollten die Dresdner 50.000 auf die Beine bringen. Wenn die Neonazis es am kommenden Samstag auf 1000 Demonstranten bringen - warum sollte dann Dresden nicht in der Lage sein, dem 100.000 Demokraten entgegenzustellen?

Entgegenzustellen im Sinn einer zweiten Demonstration; so daß jeder sehen kann, wie die Mehrheitsverhältnisse sind. Aber nicht sich "entgegenzustellen" in dem Sinn, daß man das Demonstrationsrecht der anderen zu beschneiden versucht.

"Autonome" und andere Linksextreme mißbrauchen das Gedenken ebenso wie die Neonazis. Sie geben vor, die Demokratie gegen diese zu verteidigen, sind aber in Wahrheit wie ihre rechten Zwillinge Feinde des demokratischen Rechtsstaats. Mit ihnen kann es so wenig Gemeinsamkeiten geben wie mit den Nazis.

Sie sind keine Unterstützer in der Auseinandersetzung mit den Rechtsextremen, sondern sie helfen im Gegenteil diesen. Denn wie die Geschichte zeigt - in Deutschland diejenige der Weimarer Republik in großem Maßstab -, bedingen die linken und die rechten Feinde der Demokratie einander; linker und rechter Totalitarismus, die feindlichen Brüder, schaukeln sich gegenseitig hoch.

Noch einmal "Spiegel-Online":
Die Anti-Rechts-Aktivisten klagen, sie fühlten sich von Politik und Justiz verfolgt. Im vergangenen Jahr leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein und erwirkte Untersuchungsbeschlüsse. Plakate wurden beschlagnahmt, Unterlagen, Computer und Festplatten. "Die Kriminalisierung linker Demonstranten ist tödlich", sagt der Berliner Schriftsteller Ingo Schulze, der schon im vergangenen Jahr in Dresden gegen die Neonazis auf die Straße ging. Er hält es für unvermeidlich, das rechte Schaulaufen durch Blockaden zu verhindern. "Symbolpolitik genügt nicht. Wir müssen handeln."
Ingo Schulze mag ein bedeutender Schriftsteller sein; das weiß ich nicht. Diese Äußerung zeigt aber, daß er das Wesen des demokratischen Rechtsstaats nicht verstanden hat. Man kann den Totalitarismus nicht bekämpfen, indem man sich mit seinen Methoden der politischen Auseinandersetzung selbst außerhalb des Rechtsstaats stellt.

Wenn eine Demonstration nicht verboten wurde, dann muß sie auch stattfinden können; notfalls unter dem Schutz der Polizei. Wenn Ingo Schulze das durch eine Blockade zu verhindern versuchen will, macht er sich strafbar.

Mit einer solchen rechtswidrigen Aktion stellt er sich gegen den demokratischen Rechtsstaat, den er zu verteidigen vorgibt, so wie das der Bundestags-Vizepräsident Thierse im vergangen Jahr getan hat; siehe Wann tritt Wolfgang Thierse als Vizepräsident des Bundestags zurück?; ZR vom 2. 5. 2010.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Neonazi auf einer Demonstration am 15. Januar 1990 in Dresden; Bundesarchiv, Bild 183-1990-0115-032 (Ausschnitt).