Die Bilder des heutigen Tages aus Kairo, aus Alexandria und Suez, die wir im TV und am PC sehen konnten, zeigen das, was man die Oberfläche einer Revolution nennen mag. Es ist dieselbe Art von Bildern, wie man sie in den vergangenen Jahrzehnten wieder und wieder gesehen hat; zuletzt im Juni 2009 aus Teheran und jetzt erst im Januar aus Tunis.
Die Reporter von CNN und Al Jazeera, die heute diese Bilder kommentieren, betonen die große Einigkeit der Demonstranten und ihre Vielfalt: Menschen aus verschiedenen Schichten und jedes Alters, vereint in ihrer Entschlossenheit, Mubarak zu stürzen. Auch die Massendemonstrationen in Teheran 2009 zeigten dieses Bild; ebenso die im Tunis des Januar 2011.
Es ist eine negative Mehrheit, die sich da artikuliert (siehe Die (vorerst) gescheiterte (Fast-) Commune in der Kasbah von Tunis; ZR vom 30. 1.2011): Einig in dem, was sie nicht will; nämlich ein Fortdauern des Regimes. In diesem Sinn will man "Freiheit"; wobei aber dieses Konzept ganz leer bleibt. Es ist die Freiheit, die derjenige will, der heraus aus einem Gefängnis möchte; Freiheit als Befreiung. Was dann aus ihm "in der Freiheit" wird, ist eine ganz andere Frage.
Der gemeinsame Wille derer, die heute demonstriert haben, wird sich erschöpfen, sobald - und falls - ihre Revolution gelingt. Dann wird sich zeigen, daß man mit "Freiheit" sehr Verschiedenes meinen kann. Man kann darunter Freiheit im Sinn einer parlamentarischen Demokratie verstehen; aber auch die Freiheit, eine islamistische Gesellschaft zu errichten. Es wird, sobald sich derartige Alternativen stellen, vorbei sein mit der Einigkeit, die jetzt an der Oberfläche das Bild bestimmt.
Was aber findet unter dieser Oberfläche der Revolution statt? Welches sind die bestimmenden Kräfte? Wer sind die eigentlich Handelnden?
Gewiß nicht "das Volk". "Das Volk" handelt nicht; so wenig, wie "das Wetter" darüber bestimmt, ob es kalt oder warm ist, naß oder trocken. Politisch gehandelt wird nicht durch das Volk, sondern innerhalb des Volks. So, wie es innerhalb des Wetters warme und kalte Tage gibt; für die aber eben nicht "das Wetter" ursächlich ist, sondern Faktoren wie Sonneneinstrahlung und Luftströmungen.
Die Handelnden in einer Revolution sind diejenigen innerhalb dieses Volks, die sich organisiert haben, die Pläne ausgearbeitet haben, die über Machtmittel verfügen. Je besser sie organisiert sind, je weiter sie geplant haben, je effizienter sie ihre Machtmittel einsetzen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie es sind, die siegreich aus der Revolution hervorgehen.
In der vorausgehenden Folge dieser Serie habe ich, gestützt hauptsächlich auf Analysen von Stratfor, diejenigen drei Kräfte genannt, die im gegenwärtigen Machtkampf in Ägypten bestimmend sind: Der alte Machtapparat aus Regierung, Staatspartei und Geheimpolizei; das Militär; die Moslem-Bruderschaft (MB) (Die Machtsituation in Ägypten; ZR vom 31. 1. 2011).
Dr. Mohamed El Baradei, dessen Porträt jetzt ständig auf den Bildschirmen erscheint, ist nach dieser Analyse kein Faktor.
Er mag freilich von den MB in der ersten Phase der Machteroberung toleriert, vielleicht sogar gefördert werden. Das Drehbuch hierfür könnte die iranische Revolution von 1979 liefern, in der Ayatollah Chomeini nach der Flucht des Schahs zunächst den bürgerlich-liberalen Premierminister Mehdi Bazargan unterstützte.
Es ist in einer solchen Situation oft günstig, zur Einbindung möglichst vieler politischer Kräfte anfangs nicht einen eigenen Mann in die erste Reihe zu stellen, sondern einen (selbst aber politisch schwachen) Verbündeten. So haben es beispielsweise auch die Kommunisten bei den Machteroberungen in Ost- und Mitteleuropa gemacht. Der erste Ministerpräsident der DDR war der ehemalige Sozialdemokrat Otto Grotewohl. Nach ihrem Putsch in der Tschechoslowakei im Februar 1948 beließen die Kommunisten den bürgerlichen Präsidenten Benesch in seinem Amt und bildeten eine "Koalitionsregierung" mit bürgerlichen Parteien. Es gibt viele ähnliche Beispiele.
Die Moslem-Bruderschaft taktiert im Augenblick im Hintergrund. Sie hat keinen eigenen Mann ins Rampenlicht gestellt; sie tritt nicht mit Sprechern in Erscheinung. Das ist bemerkenswert für eine politische Kraft, der die meisten Beobachter einen Wahlsieg bei freien Wahlen vorhersagen. Was steckt hinter dieser Taktik, diesem nachgerade klandestinen Taktieren?
Man muß wissen, daß die MB eng mit der Hamas verbunden ist. Die Hamas, die den Gazastreifen regiert, ist Fleisch vom Fleische der MB. Die Hamas verhält sich zur MB ungefähr wie die PDS zur SED: Sie ist durch Umtaufen aus dieser hervorgegangen.
Die MB war, als der Gaza-Streifen nach 1948 von Ägypten besetzt war, dort ebenso tätig gewesen wie im übrigen Ägypten. Sie blieb dort auch nach 1967 aktiv, als der Gazastreifen von Israel erobert und besetzt worden war. Sie verfolgte eine Doppelstrategie: Eine Gegenmacht aufbauen, bestehend einerseits aus einem Netz von Moscheen, Wohlfahrtseinrichtungen, ärztlicher Versorgung und dergleichen; und auf der anderen Seite eine bewaffnete Miliz schaffen.
In den 1980er Jahren war die MB damit so erfolgreich geworden, daß sie ein ernstzunehmender Konkurrent der PLO wurde, die bis dahin uneingeschränkt dominiert hatte. Während die Moslembrüder in Ägypten im Gefängnis saßen oder im Untergrund agieren mußten, entwickelten sie sich im Gazastreifen zu einer bestimmenden politischen Kraft.
Diese unterschiedlichen Kampfbedingungen mögen ein Grund dafür gewesen sein, daß die MB des Gazastreifens sich 1987 in Hamas umbenannten ("Islamische Widerstandsbewegung").
Daß es sich eigentlich nur um einen umbenannten Teil der MB handelt, scheint heute bei vielen Journalisten in Vergessenheit geraten zu sein; jedenfalls spielt es in der Berichterstattung der deutschen Medien über die jetzigen Ereignisse in Ägypten so gut wie keine Rolle.
Es sollte aber eine Rolle spielen. Denn es mehren sich die Anzeichen dafür, daß die Hamas in Gestalt ihres militärischen Arms, der Al-Kassam-Brigaden, bei der ägyptischen Revolution bereits kräftig mitmischt.
In der vorausgehenden Folge dieser Serie habe ich einen Bericht von Stratfor zitiert, wonach Angehörige der Al-Kassam-Brigaden nach Ägypten eindringen. Ich habe auch auf einen Bericht von Al Jazeera aufmerksam gemacht, der junge Männer zeigte, die aus ägyptischen Gefängnissen entkommen waren: Sie befanden sich an der Grenze zum Gaza-Streifen, auf der Rückkehr dorthin. Und sie waren als Kämpfer der Hamas inhaftiert gewesen.
Es erschien also möglich, daß Hamas-Leute und nicht (jedenfalls nicht nur) Geheimdienstler es gewesen waren, die in den letzten Tagen Gefangene aus ägyptischen Gefängnissen befreiten. Heute nun gibt es weitere Informationen, die diese Interpretation stützen:
Zum einen strahlte heute Nachmittag Al Jazeera den Bericht einer Reporterin aus, die eines der betroffenen Gefängnisse aufgesucht hatte. Er zeigte ein völlig anderes Bild, als man es aufgrund der Berichterstattung in Deutschland erwarten würde:
Da hatten nicht Schlapphüte mit Nachschlüsseln heimlich die Tore geöffnet, sondern es hatte einen regelrechten militärischen Sturm auf das Gebäude gegeben, das teilweise in Schutt und Asche gelegt wurde. Man sah verwüstete Zellen und Gemeinschaftsräume. Viele Gefangene hatten sich offenbar geweigert zu fliehen. Sie saßen jetzt in dem, was von dem Gefängnis übriggeblieben war, und wurden nicht mehr versorgt.
Und wo war dieser militärische Angriff auf das Gefängnis hergekommen? Nach Aussage der Gefangenen, die von der Reporterin befragt wurden, kamen die Bewaffneten "vom Sinai". Dort ist bekanntlich Wüste, und dahinter liegt der von der Hamas kontrolliert Gaza-Streifen. Das sieht nicht nach einer Aktion von Geheimdienstlern aus. Es sieht danach aus, daß ein Kommando der Al-Kassam-Brigaden die einsitzenden Kameraden befreit hat; und daß dabei auch diejenigen von den Kriminellen fliehen durften, die das wollten.
Die zweite Meldung erschien gestern Nachmittag bei DEBKAfile, einem pro-israelischen Informationsdienst, dessen Informationen sich manchmal als überraschend richtig erweisen, manchmal aber auch arg unzutreffend sind. Ich gebe das also mit Vorbehalt wieder; aber es fügt sich in das Bild aus den anderen genannten Meldungen:
Es kann also sein, daß Mubarak sich gar nicht zurückzieht; daß er mit Unterstützung des Militärs weitermacht und dann die Geschäfte geordnet an Suleiman übergibt. Es kann sein, daß Ägypten im Chaos versinkt wie zeitweilig der Libanon. Es kann sein, daß ein (nach Maßstäben des Nahen Ostens) demokratischer Rechtsstaat entsteht, wie die Iraker ihn Präsident Bush zu verdanken haben.
Aber es kann auch sein, daß Ägypten in einigen Jahren ein von den MB und der Hamas beherrschter Staat sein wird. Indizien dafür gibt es; leider. Ich habe sie deshalb hier dargelegt, weil ich den Eindruck habe, daß sie in der Berichterstattung unserer Medien nicht den gebührenden Raum finden.
Die Reporter von CNN und Al Jazeera, die heute diese Bilder kommentieren, betonen die große Einigkeit der Demonstranten und ihre Vielfalt: Menschen aus verschiedenen Schichten und jedes Alters, vereint in ihrer Entschlossenheit, Mubarak zu stürzen. Auch die Massendemonstrationen in Teheran 2009 zeigten dieses Bild; ebenso die im Tunis des Januar 2011.
Es ist eine negative Mehrheit, die sich da artikuliert (siehe Die (vorerst) gescheiterte (Fast-) Commune in der Kasbah von Tunis; ZR vom 30. 1.2011): Einig in dem, was sie nicht will; nämlich ein Fortdauern des Regimes. In diesem Sinn will man "Freiheit"; wobei aber dieses Konzept ganz leer bleibt. Es ist die Freiheit, die derjenige will, der heraus aus einem Gefängnis möchte; Freiheit als Befreiung. Was dann aus ihm "in der Freiheit" wird, ist eine ganz andere Frage.
Der gemeinsame Wille derer, die heute demonstriert haben, wird sich erschöpfen, sobald - und falls - ihre Revolution gelingt. Dann wird sich zeigen, daß man mit "Freiheit" sehr Verschiedenes meinen kann. Man kann darunter Freiheit im Sinn einer parlamentarischen Demokratie verstehen; aber auch die Freiheit, eine islamistische Gesellschaft zu errichten. Es wird, sobald sich derartige Alternativen stellen, vorbei sein mit der Einigkeit, die jetzt an der Oberfläche das Bild bestimmt.
Was aber findet unter dieser Oberfläche der Revolution statt? Welches sind die bestimmenden Kräfte? Wer sind die eigentlich Handelnden?
Gewiß nicht "das Volk". "Das Volk" handelt nicht; so wenig, wie "das Wetter" darüber bestimmt, ob es kalt oder warm ist, naß oder trocken. Politisch gehandelt wird nicht durch das Volk, sondern innerhalb des Volks. So, wie es innerhalb des Wetters warme und kalte Tage gibt; für die aber eben nicht "das Wetter" ursächlich ist, sondern Faktoren wie Sonneneinstrahlung und Luftströmungen.
Die Handelnden in einer Revolution sind diejenigen innerhalb dieses Volks, die sich organisiert haben, die Pläne ausgearbeitet haben, die über Machtmittel verfügen. Je besser sie organisiert sind, je weiter sie geplant haben, je effizienter sie ihre Machtmittel einsetzen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie es sind, die siegreich aus der Revolution hervorgehen.
In der vorausgehenden Folge dieser Serie habe ich, gestützt hauptsächlich auf Analysen von Stratfor, diejenigen drei Kräfte genannt, die im gegenwärtigen Machtkampf in Ägypten bestimmend sind: Der alte Machtapparat aus Regierung, Staatspartei und Geheimpolizei; das Militär; die Moslem-Bruderschaft (MB) (Die Machtsituation in Ägypten; ZR vom 31. 1. 2011).
Dr. Mohamed El Baradei, dessen Porträt jetzt ständig auf den Bildschirmen erscheint, ist nach dieser Analyse kein Faktor.
Er mag freilich von den MB in der ersten Phase der Machteroberung toleriert, vielleicht sogar gefördert werden. Das Drehbuch hierfür könnte die iranische Revolution von 1979 liefern, in der Ayatollah Chomeini nach der Flucht des Schahs zunächst den bürgerlich-liberalen Premierminister Mehdi Bazargan unterstützte.
Es ist in einer solchen Situation oft günstig, zur Einbindung möglichst vieler politischer Kräfte anfangs nicht einen eigenen Mann in die erste Reihe zu stellen, sondern einen (selbst aber politisch schwachen) Verbündeten. So haben es beispielsweise auch die Kommunisten bei den Machteroberungen in Ost- und Mitteleuropa gemacht. Der erste Ministerpräsident der DDR war der ehemalige Sozialdemokrat Otto Grotewohl. Nach ihrem Putsch in der Tschechoslowakei im Februar 1948 beließen die Kommunisten den bürgerlichen Präsidenten Benesch in seinem Amt und bildeten eine "Koalitionsregierung" mit bürgerlichen Parteien. Es gibt viele ähnliche Beispiele.
Die Moslem-Bruderschaft taktiert im Augenblick im Hintergrund. Sie hat keinen eigenen Mann ins Rampenlicht gestellt; sie tritt nicht mit Sprechern in Erscheinung. Das ist bemerkenswert für eine politische Kraft, der die meisten Beobachter einen Wahlsieg bei freien Wahlen vorhersagen. Was steckt hinter dieser Taktik, diesem nachgerade klandestinen Taktieren?
Man muß wissen, daß die MB eng mit der Hamas verbunden ist. Die Hamas, die den Gazastreifen regiert, ist Fleisch vom Fleische der MB. Die Hamas verhält sich zur MB ungefähr wie die PDS zur SED: Sie ist durch Umtaufen aus dieser hervorgegangen.
Die MB war, als der Gaza-Streifen nach 1948 von Ägypten besetzt war, dort ebenso tätig gewesen wie im übrigen Ägypten. Sie blieb dort auch nach 1967 aktiv, als der Gazastreifen von Israel erobert und besetzt worden war. Sie verfolgte eine Doppelstrategie: Eine Gegenmacht aufbauen, bestehend einerseits aus einem Netz von Moscheen, Wohlfahrtseinrichtungen, ärztlicher Versorgung und dergleichen; und auf der anderen Seite eine bewaffnete Miliz schaffen.
In den 1980er Jahren war die MB damit so erfolgreich geworden, daß sie ein ernstzunehmender Konkurrent der PLO wurde, die bis dahin uneingeschränkt dominiert hatte. Während die Moslembrüder in Ägypten im Gefängnis saßen oder im Untergrund agieren mußten, entwickelten sie sich im Gazastreifen zu einer bestimmenden politischen Kraft.
Diese unterschiedlichen Kampfbedingungen mögen ein Grund dafür gewesen sein, daß die MB des Gazastreifens sich 1987 in Hamas umbenannten ("Islamische Widerstandsbewegung").
Daß es sich eigentlich nur um einen umbenannten Teil der MB handelt, scheint heute bei vielen Journalisten in Vergessenheit geraten zu sein; jedenfalls spielt es in der Berichterstattung der deutschen Medien über die jetzigen Ereignisse in Ägypten so gut wie keine Rolle.
Es sollte aber eine Rolle spielen. Denn es mehren sich die Anzeichen dafür, daß die Hamas in Gestalt ihres militärischen Arms, der Al-Kassam-Brigaden, bei der ägyptischen Revolution bereits kräftig mitmischt.
In der vorausgehenden Folge dieser Serie habe ich einen Bericht von Stratfor zitiert, wonach Angehörige der Al-Kassam-Brigaden nach Ägypten eindringen. Ich habe auch auf einen Bericht von Al Jazeera aufmerksam gemacht, der junge Männer zeigte, die aus ägyptischen Gefängnissen entkommen waren: Sie befanden sich an der Grenze zum Gaza-Streifen, auf der Rückkehr dorthin. Und sie waren als Kämpfer der Hamas inhaftiert gewesen.
Es erschien also möglich, daß Hamas-Leute und nicht (jedenfalls nicht nur) Geheimdienstler es gewesen waren, die in den letzten Tagen Gefangene aus ägyptischen Gefängnissen befreiten. Heute nun gibt es weitere Informationen, die diese Interpretation stützen:
Zum einen strahlte heute Nachmittag Al Jazeera den Bericht einer Reporterin aus, die eines der betroffenen Gefängnisse aufgesucht hatte. Er zeigte ein völlig anderes Bild, als man es aufgrund der Berichterstattung in Deutschland erwarten würde:
Da hatten nicht Schlapphüte mit Nachschlüsseln heimlich die Tore geöffnet, sondern es hatte einen regelrechten militärischen Sturm auf das Gebäude gegeben, das teilweise in Schutt und Asche gelegt wurde. Man sah verwüstete Zellen und Gemeinschaftsräume. Viele Gefangene hatten sich offenbar geweigert zu fliehen. Sie saßen jetzt in dem, was von dem Gefängnis übriggeblieben war, und wurden nicht mehr versorgt.
Und wo war dieser militärische Angriff auf das Gefängnis hergekommen? Nach Aussage der Gefangenen, die von der Reporterin befragt wurden, kamen die Bewaffneten "vom Sinai". Dort ist bekanntlich Wüste, und dahinter liegt der von der Hamas kontrolliert Gaza-Streifen. Das sieht nicht nach einer Aktion von Geheimdienstlern aus. Es sieht danach aus, daß ein Kommando der Al-Kassam-Brigaden die einsitzenden Kameraden befreit hat; und daß dabei auch diejenigen von den Kriminellen fliehen durften, die das wollten.
Die zweite Meldung erschien gestern Nachmittag bei DEBKAfile, einem pro-israelischen Informationsdienst, dessen Informationen sich manchmal als überraschend richtig erweisen, manchmal aber auch arg unzutreffend sind. Ich gebe das also mit Vorbehalt wieder; aber es fügt sich in das Bild aus den anderen genannten Meldungen:
Egyptian reinforcements reached northern Sinai Monday, Jan. 31 to hunt down Hamas gunmen from the Gaza Strip battling Egyptian forces for control of the territory. Two were captured. DEBKAfile's military sources report that the gunmen of Hamas's armed wing, Ezz e-Din al Qassam opened a second, Palestinian, front against the Mubarak regime on orders from Hamas' parent organization, the Egyptian Muslim Brotherhood, confirmed by its bosses in Damascus. The Muslim Brotherhood is therefore more aggressively involved in the uprising than it would seem.Informationen, wie gesagt, deren Zuverlässigkeit für sich genommen schwer zu beurteilen ist. Zusammen mit den anderen Informationen zeichnet sich aber doch ein Szenario ab, das nicht stimmen muß, das aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat:
DEBKAfile's military sources report that Sunday, Hamas gunmen attacked Egyptian Interior Ministry Special Forces (CFF) stationed in the southern Egyptian-controlled section of the border town of Rafah and the Sinai port of El Arish. Saturday, Bedouin tribesmen and local Palestinians exploited the mayhem in Cairo to clash with Egyptian forces at both northern Sinai key points, ransack their gun stores and free prisoners from the local jail. Officials in Gaza City confirmed Sunday, that Hamas's most notorious smuggling experts, including Muhammad Shaar, had broken out of the El Arish jail and reached Gaza City.
Militärische Quellen von DEBKAfile melden, daß Bewaffnete der Hamas am Sonntag Spezialkräfte des ägyptischen Innenministeriums (CFF) angriffen, die im südlichen, von Ägypten kontrollierten Teil der Grenzstadt Rafah und in der Hafenstadt El Arisch auf Sinai stationiert sind. Am Samstag nutzten Angehörige von Beduinenstämmen und ortsansässige Palästinenser das Chaos in Kairo, um sich an den beiden wichtigen Punkten des nördlichen Sinai Gefechte mit den ägyptischen Truppen zu liefern, ihre Waffenlager auszurauben und Gefangene aus dem dortigen Gefängnis zu befreien. Behördenmitglieder in der Stadt Gaza bestätigten am Sonntag, daß die bekanntesten Schmuggelexperten der Hamas, darunter Muhammad Shaar, aus dem Gefängnis in El Arisch ausgebrochen und in die Stadt Gaza gelangt sind.
Ägyptische Verstärkungen trafen am Montag, 31. Januar, auf dem Sinai ein, um gegen Bewaffnete der Hamas aus dem Gaza-Streifen vorzugehen, die gegen ägyptische Streitkräfte um die Kontrolle des Gebiets kämpfen. Es wurden zwei Gefangene gemacht. Militärische Quellen von DEBKA berichten, daß die Bewaffneten des militärischen Arms der Hamas, Ezz e-Din al Qassam [oben von mir Al-Kassam genannt; Zettel] eine zweite, palästinensische Front gegen das Regime Mubaraks eröffnet hätten. Dies sei auf Anweisung der Mutterorganisation der Hamas geschehen, der ägyptischen Moslem-Bruderschaft, und von deren Chefs in Damaskus genehmigt worden. Die Moslem-Bruderschaft ist hiernach aggressiver an dem Aufstand beteiligt, als es den Anschein hat.
Es sei nochmals der Gesichtspunkt betont, der die bisherigen Folgen dieser Serie durchzieht: Wie sich eine Revolution entwickelt, kann niemand vorhersagen. Eine Revolution ist, auf der sozialen Ebene, der Musterfall eines chaotischen Systems, dessen Verhalten offen ist.Falls Mubarak aufgibt (siehe Wirft Mubarak das Handtuch?; ZR vom 1. 2. 2011), dann wird es zunächst eine Übergangsregierung, eine Regierung der "nationalen Einheit", oder wie immer man das nennen wird, geben. Im Augenblick ist der einzige Kandidat für die Führung einer solchen Regierung Dr. Mohamed El Baradei. Er wird von der MB unterstützt werden; so, wie 1979 die Islamisten Chomeinis den bürgerlich-liberalen Ministerpräsidenten Mehdi Bazargan unterstützt hatten. Gemäß ihrer Doppelstrategie wird die MB dann ihre Gegenmacht ausbauen, militärisch unterstützt von den Kämpfern der Hamas. Das Weitere ist ungewiß. Natürlich ist die Hamas kein Gegner für das ägyptische Militär. Es kann, wenn es will, jeden Versuch der Hamas, in Ägypten eine Milizherrschaft aufzubauen wie im Gazastreifen oder wie die Hisbollah im Libanon, leicht unterbinden. Aber will es das? Wenn es stimmen sollte, daß Mubarak heute seinen Rückzug ankündigt, dann werden von den oben genannten drei relevanten politischen Kräften vermutlich nur zwei bleiben: Das Militär und die Moslem-Bruderschaft. Zwischen ihnen wird der Kampf um die Macht in Ägypten ausgetragen werden.
Es kann also sein, daß Mubarak sich gar nicht zurückzieht; daß er mit Unterstützung des Militärs weitermacht und dann die Geschäfte geordnet an Suleiman übergibt. Es kann sein, daß Ägypten im Chaos versinkt wie zeitweilig der Libanon. Es kann sein, daß ein (nach Maßstäben des Nahen Ostens) demokratischer Rechtsstaat entsteht, wie die Iraker ihn Präsident Bush zu verdanken haben.
Aber es kann auch sein, daß Ägypten in einigen Jahren ein von den MB und der Hamas beherrschter Staat sein wird. Indizien dafür gibt es; leider. Ich habe sie deshalb hier dargelegt, weil ich den Eindruck habe, daß sie in der Berichterstattung unserer Medien nicht den gebührenden Raum finden.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.