2. Februar 2011

Aufruhr in Arabien (6): Mit Kamelreitern gegen Demonstranten? Hier können Sie die Erklärung lesen. Wieder einmal paßt das Gut-Böse-Schema nicht

Die Bilder liefen immer wieder bei CNN und Al Jazeera; vermutlich werden sie auch im deutschen TV zu sehen sein: Diese seltsame, erschreckende Attacke von einer Art Kavallerie auf dem Tahrir-Platz. Szenen wie aus einer anderen Welt. Sie schien die Brutalität der Hilfstruppen von Präsident Mubarak zu beweisen.

Um 14.37 Uhr konnte man im Live-Ticker von "Spiegel-Online" diese Meldung lesen:
Mubaraks Unterstützer schrecken nach Augenzeugenberichten auch nicht davor zurück, Tiere gegen die Demonstranten einzusetzen. Auf Pferden und Kamelen sowie mit Pferdefuhrwerken seien laut Reuters und Associated Press Anhänger des Präsidenten in die Menge der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz geritten und gefahren. Sie hätten Stöcke und Peitschen geschwungen.
In der Tat sieht das furchterregend aus. Wie bei einer arabischen Fantasia sprengte plötzlich ein Trupp von mehreren Dutzend Berittenen in die Menge; vorn die Reiter auf Pferden, dahinter Kamelreiter.

Und sie schwangen Stöcke und Peitschen, das stimmt. Aber nicht gegen die Demonstranten, sondern um ihre Tiere anzutreiben. Sie schlugen nicht um sich, sondern auf ihre Pferde und Kamele ein, wie es leider im Orient Reiter oft tun.

Hat also die Geheimpolizei eine Art Kavallerie zur Verfügung, die sie jetzt perfiderweise gegen Demonstranten einsetzt? Aber soweit auf den Bildern zu erkennen ist, versuchte keiner der Reiter, Demonstranten umzureiten, zu schlagen oder ihnen sonstwie zu schaden. Diese bildeten vielmehr eine Art Gasse, durch welche dieses seltsame Kavallerie hindurchritt. Wer also war das, und was sollte der Aufzug?

Vor wenigen Minuten telefonierte Jim Clancy von CNN mit einem Gewährsmann in Kairo, der erklärte, was da geschehen war: Es handelte sich um ägyptische Fremdenführer, denen die Proteste ihre Existenzgrundlage nehmen, weil die Touristen ausbleiben. Mit ihren Tieren, auf denen sonst sie selbst und ihre Kunden reiten, waren sie nach Kairo gekommen, um auf diese Art gegen den Protest zu protestieren. Ungefähr so, wie notleidende Landwirte mit ihren Treckern in die Hauptstadt kommen, weil sie wegen irgendwelcher Maßnahmen um ihre Existenz fürchten.



Eine Marginalie, gewiß. Aber sie wirft ein Schlaglicht darauf, wie oberflächlich eine Berichterstattung ist, die nach dem Schema "Gute Demonstranten - böses Regime" funktioniert.

Ein weiteres Beispiel: Bis vor wenigen Minuten titelte "Spiegel-Online": "Hunderte Regimegegner verletzt" (Die Überschrift ist soeben ausgetauscht worden). Und was ist mit den Verletzten auf der anderen Seite? CNN berichtete, daß Anti-Mubarak-Demonstranten Reiter aus diesem erwähnten Trupp von ihren Tieren gezogen und sie brutal zusammengeschlagen hätten. Es wurde von "Geiselnahme" auf beiden Seiten gesprochen. Aus beiden Gruppen von Demonstranten flogen Molotow-Cocktails.

Es ist eben nicht einfach schwarz und weiß. Nicht, was die Demonstranten betrifft. Auch nicht, was die Haltung der Bevölkerung angeht.

Der Gewährsmann, mit dem Jim Clancy sprach, bezeichnete sich selbst als Anhänger von Reformen; eines friedlichen Übergangs zur Demokratie. Diesen sah er durch die Demonstrationen zunehmend gefährdet. Viele seiner Bekannten dächten so: Man sei mit den Zugeständnissen Mubaraks vorerst zufrieden, jetzt müßten sie umgesetzt werden. Die Regierung dürfe nicht gestürzt werden; das werde das Land nicht verkraften.

Und dieser Mann - er wurde von Clancy als Walid angesprochen - erwähnte noch etwas Weiteres, das uns TV-Konsumenten leicht in die Irre führt: Das Fernsehen berichtet, wie anders, von dort, wo die Action ist. Also gestern und heute vom Tahrir-Platz. Dieser sei, sagte Walid, so groß wie ein Fußballfeld. Vielleicht 50.000 Menschen hätten dort Platz. 50.000 von 84 Millionen, wie er anmerkte.

In der Tat: Was denken sie, diese 84 Millionen Ägypter? Während der gescheiterten Revolution im Juni 2009 im Iran haben zahlreiche Kommentatoren darauf hingewiesen, daß die protestierenden Einwohner Teherans nicht repräsentativ für den ganzen, ländlich geprägten Iran seien. Wie ist das eigentlich jetzt in Ägypten?



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.