Die Causa Guttenberg - man wird inzwischen sagen können: die Affäre Guttenberg - erregt bemerkenswert viel Interesse. Jedenfalls im Internet ist das so. In Zettels kleinem Zimmer erreichten die drei Threads zu diesem Thema bisher zusammen mehr als 25.000 Pageviews.
Gewiß kann man das nicht auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen. Unter den Lesern von Zettels kleinem Zimmer und von ZR dürften diejenigen, die als Studenten oder als Lehrende an Hochschulen Kontakt zur Wissenschft haben oder hatten, überrepräsentiert sein; da interessiert natürlich das Thema "Plagiat beim Abfassen einer wissenschaftlichen Arbeit" besonders. Ähnlich ist es sicherlich in B.L.O.G., wo es zu diesem Thema ebenfalls eine umfangreiche - und sehr lesenswerte - Diskussion gibt.
Aber auch in der gesamten Öffentlichkeit ist das Interesse offenbar groß. Warum? Ich meine, daß das etwas mit der besonderen Rolle zu tun hat, die der Freiherr zu Guttenberg bisher in der deutschen Politik gespielt hat. Es war, so scheint mir, eine Rolle, die es so in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben hatte.
Man kann mit Fug sagen, daß kein Land weit und breit so langweilige, so wenig glamouröse Politiker hat wie Deutschland; daß auf Glanz, Pathos, Zeremonien im politischen Deutschland in einem Maß verzichtet wird, wie sich das kein Staat unseres Rangs auch nur annähernd erlaubt.
Der amerikanische Präsident beispielsweise ist ein Monarch auf Zeit. Wie viel Glamour er entfaltet, hängt zwar vom persönlichen Stil des jeweiligen Amtsinhabers ab. Bei John F. Kennedy war das so viel, daß man von einem Hofstaat à la Camelot gesprochen hat, dem Hof des sagenhaften König Arthur. Präsident Obama möchte es ihm augenscheinlich gern nachmachen. Aber auch Lyndon B. Johnson, auch Ronald Reagan schätzten den Glanz des Amts und wußten ihn für ihre Ziele einzusetzen. Jeder Präsident versuchte auf seine Art, die Würde des Amts in seinem Verhalten sichtbar zu machen.
Bei jedem amerikanischen politischen Ereignis - der Amtseinführung eines Präsidenten, dessen jährlicher Ansprache zur Lage der Nation (state of the Union address), am Nationalfeiertag, ja bei jedem offiziellen Auftritt des Präsidenten vor der Presse; in jeder Sitzung des US-Senats geht es zeremonieller zu als in unserem Land bei einem auch noch so bedeutenden politischen oder staatlichen Anlaß.
Auch der russische Staatspräsident, auch der französische Präsident entfalten einen Glanz, den man sich in Berlin überhaupt nicht vorstellen kann. Da gibt es Zeremonien wie beim Zaren, wie einst bei Napoléon Bonaparte.
Sehen Sie sich beispielsweise einmal dieses Video an; es zeigt einen so banalen Vorgang wie die Amtsübergabe von Jacques Chirac an Nicolas Sarkozy am 16. Mai 2007. Was man in diesen drei Minuten sieht, das ist nur die eigentlich Übergabe im Hof des Palais de l'Élysée. Sie war umrankt von anderen Zeremonien während des ganzen Tags, einer Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten zum Beispiel. Ich war damals in Paris; die Zeremonien der passation des pouvoirs waren das beherrschende Thema des Tages.
Sehen Sie sich das Video an, und dann überlegen Sie sich bitte, wie die Amtsübergabe von Horst Köhler an Christian Wulff ablief; oder 2005 von Gerhard Schröder an Angela Merkel.
Nicht anders die Personen an der Spitze. Gerade unsere großen Kanzler - Konrad Adenauer, Helmut Schmidt, Helmut Kohl - waren Männer ohne jeden Glamour; ebenso alle Bundespräsidenten mit der Ausnahme vielleicht von Richard von Weizsäcker, der Wert darauf legte, eine gewisse distanziert-leutselige Würde zu vermitteln. Er war der bisher einzige Adlige in diesem Amt, wenn auch nicht von Uralt-Adel wie Guttenberg; ich komme darauf.
Theodor Heuß kehrte immer den bescheidenen Bürger hervor; Heinrich Lübke war das ohnehin. Gustav Heinemann war der Bürgerpräsident schlechthin, der fleischgewordene Anti-Glamour. Walter Scheel gab die rheinische Frohnatur und Roman Herzog den ironischen Intellektuellen. Karl Carstens zog als Wandersmann durch Deutschland. Johannes Rau war hauptsächlich dafür bekannt, gut Witze erzählen zu können; Horst Köhler verstand sich als so etwas wie der Obmudsmann des Volks.
Bürgerpräsidenten waren sie im Grunde alle; keiner versuchte den Glanz und die Würde auszustrahlen, mit der sich jeder amerikanische, jeder französische Präsident umgibt. Oder auch die höchsten Würdenträger Italiens, Polens, fast jeder Republik. Von dem Glanz der konstitutionellen Monarchien ganz zu schweigen, der die Spalten der einschlägigen Presse füllt.
Warum verbieten wir Deutschen uns das? Auch das mag mit der Nazi-Vergangenheit, dem damaligen Führerkult und den pompös-kitschigen Veranstaltungen des Dritten Reichs zusammenhängen. Die Bonner Republik wollte es in Absetzung davon bewußt bescheiden; und die Berliner Republik hat das weitgehend übernommen.
Zu bedenken ist aber, ob die Ursachen für diese Kargheit im staatlichen Leben der Bundesrepublik, für diese nachgerade ostentative Bescheidenheit, diese Dürftigkeit historisch nicht noch weiter zurückreichen. Wir haben eben keine der beiden deutschen Demokratien mit Glanz errungen.
Die erste deutsche Demokratie ging aus der Niederlage in einem Krieg hervor. Bei der zweiten war es nicht anders; eine noch vollständigere Niederlage. Beide Demokratien entstanden dadurch nun einmal in kargen Zeiten; buchstäblich in Hungertagen. Getragen nicht von großen Ideen, sondern aus der Not heraus geboren, einen Neuanfang versuchen zu müssen. Hätten die deutschen Revolutionäre von 1848 die Republik errungen - welch eine glanzvolle Republik wäre das vielleicht geworden!
Die deutschen Politiker, der deutsche Staat verbieten sich den Glamour; und wir Deutschen wollen ihn ja auch nicht. Der einzige Kanzler, der Eitelkeit hatte durchscheinen lassen - Gerhard Schröder - ist dafür gescholten und ironisiert worden. Das Haar gefärbt? Der Kaschmir-Mantel? - Wenn die Franzosen an Sarkozy eines nicht stört, dann sind es die hochhackigen Schuhe, die er trägt.
Aber dem Freiherrn zu Guttenberg hat man seine Eitelkeit nicht nur verziehen, seinen Hang zur Selbstdarstellung (siehe Guttenberg hier! Guttenberg da! Guttenberg oben! Guttenberg unten! Guttenberg hüben! Guttenberg drüben! Guhuhuttenberg!; ZR vom 18. 3. 2009). Es hatte vielmehr den Anschein, als hätte man geradezu darauf gewartet. Endlich ein wirklicher Herr als Chef eines Ministeriums! Endlich jemand, zu dem man aufblicken kann! Und es vor allem darf.
Guttenbergs eitle Pose und sein Gehabe störten nicht nur nicht; sie waren im Gegenteil ein Faktor für seinen Erfolg. Warum fand man bei ihm das gut, was man bei seinem Nachbarn, bei einem Kollegen als schwer zu ertragende Eitelkeit, als Gespreiztheit und Arroganz wahrnehmen würde?
Weil Guttenberg eben kein Nachbar ist, kein Kollege. Auch nicht der Nachbar, der Kollege, der es auch zum Abgeordneten, zum Kanzler hätte bringen können.
Guttenberg wurde nicht als ein Politiker wahrgenommen wie alle anderen, sondern als ein Herr aus der Sphäre des Glamour, der geruht hatte, sich in die Politik zu begeben. Für ihn galten andere Maßstäbe als für die anderen. Er hatte eine Rolle, die zwei Welten zusammenführt: Die der Politik und diejenige des Glamours. Guttenberg gehörte ebenso zu der Sphäre, die durch den "Spiegel" und die "Frankfurter Allgemeine" repräsentiert wird, wie zur Sphäre der "Bunten" und von "Bild der Frau".
Ihm verübelte man deshalb seine Attitüde so wenig, wie man dem spanischen oder dem belgischen König seine steife Würde verübelt. Denn er gehört ja zum Adel, der Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg.
Der Adel, das ist ein Anachronismus in unserer egalitären Gesellschaft. Daß jemand hohes Ansehen allein wegen seiner Abstammung genießt, das gibt es sonst nicht mehr; selbst die Nachfahren von großen Stars oder von erfolgreichen Geschäftsleuten müssen sich ihr Ansehen selbst erarbeiten.
Guttenbergs Ansehen war insofern ebenfalls ein Anachronismus; vielleicht sogar ein Atavismus. Er konnte etwas von dem auf sich ziehen, was in vordemokratischen Zeiten die Herrschenden auf sich zogen: Man unterwarf sich ihnen nicht nur, sondern sie genossen auch Verehrung. Das konnte so weit gehen, daß dem Herrscher Göttlichkeit zugeschrieben wird; wie den Pharaonen, wie dem japanischen und dem chinesischen Kaiser, wie Alexander dem Großen.
Nein, als göttlich wurde der Freiherr nun nicht unbedingt wahrgenommen. Aber man kann schon argumentieren, daß er von diesem atavistischen Mechanismus der Verehrung der Oberen profitierte.
Es war bei seinem Erfolg in der Öffentlichkeit wie so oft, wenn jemand sich selbst Askese verordnet: Man freut sich, wenn man sie guten Gewissens einmal durchbrechen kann. Die Aura des Edlen, die Guttenberg umgab, erlaubte es vielen Deutschen, ihn in einer Weise hochzuschätzen - vielleicht zu verehren -, die man sich bei normalen Politikern verboten hätte; es sei denn, sie konnten in die Rolle des elder statesman wechseln wie Helmut Schmidt.
So jemanden wie den Freiherrn läßt man nicht leichthin fallen; eine solche Verehrung wirft man nicht einfach ab. Es entstünde dann in heftiger Form das, was die Psychologen eine kognitive Dissonanz nennen: Man müßte zugleich Meinungen haben, die nicht zusammenpassen. Man kann den Freiherrn nicht wie bisher hochschätzen und zugleich glauben, daß er etwas so Ehrenrühriges getan hat, wie sich hemmungslos das geistige Eigentum anderer anzueignen.
Auch das mag eine Erklärung dafür sein, daß offenbar erstaunlich wenige Deutsche - jedenfalls nach der bisher einzigen Umfrage, die allerdings schon vom vergangenen Mittwoch datiert - einen Rücktritt Guttenbergs wollen; nicht weniger als 68 Prozent der Befragten wollten ihn weiter als Minister haben.
Freilich kann eine Verehrung auch in ihr Gegenteil umschlagen. Vom Ehrwürdigen zum Lächerlichen ist es eben nur ein kleiner Schritt. Und nicht nur zum Lächerlichen. Aus dem "Hosiannah!" kann auch ein "Kreuziget ihn!" werden. Öffentliche Gestalten vom Zuschnitt des Freiherrn zu Guttenberg verlieren nicht langsam und schrittweise an Ansehen. Entweder hält man ihnen trotz Verfehlungen die Treue; oder man kündigt sie ihnen auf, dann aber gründlich.
Man kann der kognitiven Dissonanz entgehen, indem man die Verfehlung herunterspielt; sie nicht ernst nimmt. Man kann der kognitiven Dissonanz aber auch entgehen, indem man sein Bild von dem einst Verehrten einer radikalen Revision unterwirft. Es ist zu hoffen, daß das bei Guttenberg der Fall sein wird.
Weitere Artikel zu Guttenberg (die zu der jetzigen Affäre sind durch einen Punkt gekennzeichnet):
Gewiß kann man das nicht auf die Gesamtbevölkerung hochrechnen. Unter den Lesern von Zettels kleinem Zimmer und von ZR dürften diejenigen, die als Studenten oder als Lehrende an Hochschulen Kontakt zur Wissenschft haben oder hatten, überrepräsentiert sein; da interessiert natürlich das Thema "Plagiat beim Abfassen einer wissenschaftlichen Arbeit" besonders. Ähnlich ist es sicherlich in B.L.O.G., wo es zu diesem Thema ebenfalls eine umfangreiche - und sehr lesenswerte - Diskussion gibt.
Aber auch in der gesamten Öffentlichkeit ist das Interesse offenbar groß. Warum? Ich meine, daß das etwas mit der besonderen Rolle zu tun hat, die der Freiherr zu Guttenberg bisher in der deutschen Politik gespielt hat. Es war, so scheint mir, eine Rolle, die es so in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben hatte.
Man kann mit Fug sagen, daß kein Land weit und breit so langweilige, so wenig glamouröse Politiker hat wie Deutschland; daß auf Glanz, Pathos, Zeremonien im politischen Deutschland in einem Maß verzichtet wird, wie sich das kein Staat unseres Rangs auch nur annähernd erlaubt.
Der amerikanische Präsident beispielsweise ist ein Monarch auf Zeit. Wie viel Glamour er entfaltet, hängt zwar vom persönlichen Stil des jeweiligen Amtsinhabers ab. Bei John F. Kennedy war das so viel, daß man von einem Hofstaat à la Camelot gesprochen hat, dem Hof des sagenhaften König Arthur. Präsident Obama möchte es ihm augenscheinlich gern nachmachen. Aber auch Lyndon B. Johnson, auch Ronald Reagan schätzten den Glanz des Amts und wußten ihn für ihre Ziele einzusetzen. Jeder Präsident versuchte auf seine Art, die Würde des Amts in seinem Verhalten sichtbar zu machen.
Bei jedem amerikanischen politischen Ereignis - der Amtseinführung eines Präsidenten, dessen jährlicher Ansprache zur Lage der Nation (state of the Union address), am Nationalfeiertag, ja bei jedem offiziellen Auftritt des Präsidenten vor der Presse; in jeder Sitzung des US-Senats geht es zeremonieller zu als in unserem Land bei einem auch noch so bedeutenden politischen oder staatlichen Anlaß.
Auch der russische Staatspräsident, auch der französische Präsident entfalten einen Glanz, den man sich in Berlin überhaupt nicht vorstellen kann. Da gibt es Zeremonien wie beim Zaren, wie einst bei Napoléon Bonaparte.
Sehen Sie sich beispielsweise einmal dieses Video an; es zeigt einen so banalen Vorgang wie die Amtsübergabe von Jacques Chirac an Nicolas Sarkozy am 16. Mai 2007. Was man in diesen drei Minuten sieht, das ist nur die eigentlich Übergabe im Hof des Palais de l'Élysée. Sie war umrankt von anderen Zeremonien während des ganzen Tags, einer Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten zum Beispiel. Ich war damals in Paris; die Zeremonien der passation des pouvoirs waren das beherrschende Thema des Tages.
Sehen Sie sich das Video an, und dann überlegen Sie sich bitte, wie die Amtsübergabe von Horst Köhler an Christian Wulff ablief; oder 2005 von Gerhard Schröder an Angela Merkel.
Nicht anders die Personen an der Spitze. Gerade unsere großen Kanzler - Konrad Adenauer, Helmut Schmidt, Helmut Kohl - waren Männer ohne jeden Glamour; ebenso alle Bundespräsidenten mit der Ausnahme vielleicht von Richard von Weizsäcker, der Wert darauf legte, eine gewisse distanziert-leutselige Würde zu vermitteln. Er war der bisher einzige Adlige in diesem Amt, wenn auch nicht von Uralt-Adel wie Guttenberg; ich komme darauf.
Theodor Heuß kehrte immer den bescheidenen Bürger hervor; Heinrich Lübke war das ohnehin. Gustav Heinemann war der Bürgerpräsident schlechthin, der fleischgewordene Anti-Glamour. Walter Scheel gab die rheinische Frohnatur und Roman Herzog den ironischen Intellektuellen. Karl Carstens zog als Wandersmann durch Deutschland. Johannes Rau war hauptsächlich dafür bekannt, gut Witze erzählen zu können; Horst Köhler verstand sich als so etwas wie der Obmudsmann des Volks.
Bürgerpräsidenten waren sie im Grunde alle; keiner versuchte den Glanz und die Würde auszustrahlen, mit der sich jeder amerikanische, jeder französische Präsident umgibt. Oder auch die höchsten Würdenträger Italiens, Polens, fast jeder Republik. Von dem Glanz der konstitutionellen Monarchien ganz zu schweigen, der die Spalten der einschlägigen Presse füllt.
Warum verbieten wir Deutschen uns das? Auch das mag mit der Nazi-Vergangenheit, dem damaligen Führerkult und den pompös-kitschigen Veranstaltungen des Dritten Reichs zusammenhängen. Die Bonner Republik wollte es in Absetzung davon bewußt bescheiden; und die Berliner Republik hat das weitgehend übernommen.
Zu bedenken ist aber, ob die Ursachen für diese Kargheit im staatlichen Leben der Bundesrepublik, für diese nachgerade ostentative Bescheidenheit, diese Dürftigkeit historisch nicht noch weiter zurückreichen. Wir haben eben keine der beiden deutschen Demokratien mit Glanz errungen.
Die erste deutsche Demokratie ging aus der Niederlage in einem Krieg hervor. Bei der zweiten war es nicht anders; eine noch vollständigere Niederlage. Beide Demokratien entstanden dadurch nun einmal in kargen Zeiten; buchstäblich in Hungertagen. Getragen nicht von großen Ideen, sondern aus der Not heraus geboren, einen Neuanfang versuchen zu müssen. Hätten die deutschen Revolutionäre von 1848 die Republik errungen - welch eine glanzvolle Republik wäre das vielleicht geworden!
Die deutschen Politiker, der deutsche Staat verbieten sich den Glamour; und wir Deutschen wollen ihn ja auch nicht. Der einzige Kanzler, der Eitelkeit hatte durchscheinen lassen - Gerhard Schröder - ist dafür gescholten und ironisiert worden. Das Haar gefärbt? Der Kaschmir-Mantel? - Wenn die Franzosen an Sarkozy eines nicht stört, dann sind es die hochhackigen Schuhe, die er trägt.
Aber dem Freiherrn zu Guttenberg hat man seine Eitelkeit nicht nur verziehen, seinen Hang zur Selbstdarstellung (siehe Guttenberg hier! Guttenberg da! Guttenberg oben! Guttenberg unten! Guttenberg hüben! Guttenberg drüben! Guhuhuttenberg!; ZR vom 18. 3. 2009). Es hatte vielmehr den Anschein, als hätte man geradezu darauf gewartet. Endlich ein wirklicher Herr als Chef eines Ministeriums! Endlich jemand, zu dem man aufblicken kann! Und es vor allem darf.
Guttenbergs eitle Pose und sein Gehabe störten nicht nur nicht; sie waren im Gegenteil ein Faktor für seinen Erfolg. Warum fand man bei ihm das gut, was man bei seinem Nachbarn, bei einem Kollegen als schwer zu ertragende Eitelkeit, als Gespreiztheit und Arroganz wahrnehmen würde?
Weil Guttenberg eben kein Nachbar ist, kein Kollege. Auch nicht der Nachbar, der Kollege, der es auch zum Abgeordneten, zum Kanzler hätte bringen können.
Guttenberg wurde nicht als ein Politiker wahrgenommen wie alle anderen, sondern als ein Herr aus der Sphäre des Glamour, der geruht hatte, sich in die Politik zu begeben. Für ihn galten andere Maßstäbe als für die anderen. Er hatte eine Rolle, die zwei Welten zusammenführt: Die der Politik und diejenige des Glamours. Guttenberg gehörte ebenso zu der Sphäre, die durch den "Spiegel" und die "Frankfurter Allgemeine" repräsentiert wird, wie zur Sphäre der "Bunten" und von "Bild der Frau".
Ihm verübelte man deshalb seine Attitüde so wenig, wie man dem spanischen oder dem belgischen König seine steife Würde verübelt. Denn er gehört ja zum Adel, der Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg.
Der Adel, das ist ein Anachronismus in unserer egalitären Gesellschaft. Daß jemand hohes Ansehen allein wegen seiner Abstammung genießt, das gibt es sonst nicht mehr; selbst die Nachfahren von großen Stars oder von erfolgreichen Geschäftsleuten müssen sich ihr Ansehen selbst erarbeiten.
Guttenbergs Ansehen war insofern ebenfalls ein Anachronismus; vielleicht sogar ein Atavismus. Er konnte etwas von dem auf sich ziehen, was in vordemokratischen Zeiten die Herrschenden auf sich zogen: Man unterwarf sich ihnen nicht nur, sondern sie genossen auch Verehrung. Das konnte so weit gehen, daß dem Herrscher Göttlichkeit zugeschrieben wird; wie den Pharaonen, wie dem japanischen und dem chinesischen Kaiser, wie Alexander dem Großen.
Nein, als göttlich wurde der Freiherr nun nicht unbedingt wahrgenommen. Aber man kann schon argumentieren, daß er von diesem atavistischen Mechanismus der Verehrung der Oberen profitierte.
Es war bei seinem Erfolg in der Öffentlichkeit wie so oft, wenn jemand sich selbst Askese verordnet: Man freut sich, wenn man sie guten Gewissens einmal durchbrechen kann. Die Aura des Edlen, die Guttenberg umgab, erlaubte es vielen Deutschen, ihn in einer Weise hochzuschätzen - vielleicht zu verehren -, die man sich bei normalen Politikern verboten hätte; es sei denn, sie konnten in die Rolle des elder statesman wechseln wie Helmut Schmidt.
So jemanden wie den Freiherrn läßt man nicht leichthin fallen; eine solche Verehrung wirft man nicht einfach ab. Es entstünde dann in heftiger Form das, was die Psychologen eine kognitive Dissonanz nennen: Man müßte zugleich Meinungen haben, die nicht zusammenpassen. Man kann den Freiherrn nicht wie bisher hochschätzen und zugleich glauben, daß er etwas so Ehrenrühriges getan hat, wie sich hemmungslos das geistige Eigentum anderer anzueignen.
Auch das mag eine Erklärung dafür sein, daß offenbar erstaunlich wenige Deutsche - jedenfalls nach der bisher einzigen Umfrage, die allerdings schon vom vergangenen Mittwoch datiert - einen Rücktritt Guttenbergs wollen; nicht weniger als 68 Prozent der Befragten wollten ihn weiter als Minister haben.
Freilich kann eine Verehrung auch in ihr Gegenteil umschlagen. Vom Ehrwürdigen zum Lächerlichen ist es eben nur ein kleiner Schritt. Und nicht nur zum Lächerlichen. Aus dem "Hosiannah!" kann auch ein "Kreuziget ihn!" werden. Öffentliche Gestalten vom Zuschnitt des Freiherrn zu Guttenberg verlieren nicht langsam und schrittweise an Ansehen. Entweder hält man ihnen trotz Verfehlungen die Treue; oder man kündigt sie ihnen auf, dann aber gründlich.
Man kann der kognitiven Dissonanz entgehen, indem man die Verfehlung herunterspielt; sie nicht ernst nimmt. Man kann der kognitiven Dissonanz aber auch entgehen, indem man sein Bild von dem einst Verehrten einer radikalen Revision unterwirft. Es ist zu hoffen, daß das bei Guttenberg der Fall sein wird.
Weitere Artikel zu Guttenberg (die zu der jetzigen Affäre sind durch einen Punkt gekennzeichnet):
Guttenberg hier! Guttenberg da! Guttenberg oben! Guttenberg unten! Guttenberg hüben! Guttenberg drüben! Guhuhuttenberg!; ZR vom 18. 3. 2009
Zitat des Tages: Kinderpornographie, Internetzensur und die "Betroffenheit" des Ministers zu Guttenberg; ZR vom 8. 5. 2009
Marginalie: Kanzler Guttenberg? Auch in dieser Diskussion zeigt sich ein Sarrazin-Effekt; ZR vom 24. 10. 2010
Marginalie: Guttenberg besuchte die kämpfende Truppe. Die Linke empört sich. Warum?; ZR vom 15. 12. 2010
Marginalie: Unfälle bei der Bundeswehr und zwei ungeklärte Vorwürfe. Mehr nicht. Der Rest ist politische Propaganda; ZR vom 22. 1. 2011Zettels Meckerecke: Es wird wohl nichts werden mit dem künftigen Bundeskanzler Doktor zu Guttenberg; ZR vom 16. 2. 2011 Marginalie: Guttenberg muß gehen. Null Optionen. Nebst einem Nachtrag; ZR vom 18. 2. 2011 Zitat des Tages: "Meine von mir verfasste Dissertation ist kein Plagiat". Warum Guttenbergs Erklärung unglaubhaft ist; ZR vom 18. 2. 2011 Marginalie: Kann Paragraph 10 der Bayreuther Jura-Promotionsordnung Guttenberg retten? Nein; ZR vom 18. 2. 2011 Zettels Meckerecke: Guttenberg der Blender. Plagiate auf 62,8 Prozent aller Seiten der Dissertation entdeckt (momentaner Stand); ZR vom 19. 2. 2011
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