1. Februar 2011

Zitat des Tages: "Was Sie sehen, ist eine Art Krankheit". Syriens Präsident Assad über die Lage im Nahen Osten und über Präsident Obama

WSJ: How do you see the region changing and eventually, what does that mean for Syria itself?

President Assad: It means if you have stagnant water, you will have pollution and microbes; and because you have had this stagnation for decades, let us say, especially the last decade in spite of the vast changes that are surrounding the world and some areas in the Middle East, including Iraq, Palestine, and Afghanistan, because we had this stagnation we were plagued with microbes. So, what you have been seeing in this region is a kind of disease. That is how we see it.


(WSJ: Wie sehen Sie die Region sich verändern und was bedeutet das letztendlich für Syrien?

Präsident Assad: Es bedeutet, daß es dort, wo ruhende Gewässer sind, Verschmutzung und Mikroben gibt; und weil es seit Jahrzehnten diese Stagnation gibt, sagen wir besonders im vergangenen Jahrzehnt, trotz der umfassenden Veränderungen, welche die Welt und einige Gegenden des Nahen Ostens wie den Irak, Palästina und Afghanistan umgeben, weil wir diese Stagnation hatten, leiden wir unter Mikroben. Also, was Sie in dieser Region sehen, ist eine Art Krankheit. So sehe ich es.)

Dr. Bashar al-Assad, studierter Mediziner und Präsident Syriens, über die Lage im Nahen Osten in einem Interview, das gestern im Wall Street Journal (WSJ) erschien.


Kommentar: Eine interessante Diagnose des Arztes Assad, von der allerdings nicht ganz klar ist, ob er sie auch auf sein eigenes Land und sein Regime bezieht.

Noch unklarer ist die Therapie, die der Doktor empfiehlt.

Das Interview ist sehr, sehr lang und so redundant, wie ich es noch nie bei einem solchen abgedruckten Gespräch erlebt habe; es scheint sich um das unredigierte Transskript zu handeln.

Aber das ist nicht der einzige Grund, warum die Lektüre nicht unbedingt vergnüglich ist. Assad sucht mit vielen Worten nichts zu sagen. Das Gespräch ist zwar so wortreich wie die Reden des Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah und noch länger als dessen Name; aber in der Substanz ist es so leer wie die syrische Wüste.

Hier und da gibt es eine kleine Oase. Offenbar wollte das WSJ es seinen Lesern nicht zumuten, diese Oasen bei der Wanderung durch das Gespräch selbst zu finden; also gibt es eine Art Zitatensammlung in einem Begleitartikel in derselben Ausgabe. Ja, er will - das ist die Essenz des Gesprächs - Reformen, der Doktor Assad, aber ganz vorsichtig. Ja, er will Frieden, natürlich; nur die Israelis und die USA wollen nicht kooperieren.

Die ganzen USA? Nein, da gibt es den Präsidenten Obama, der sich aus Assads Sicht sehr von den USA unterscheidet. Und das nun ist eine aus meiner Sicht interessante Passage:
Präsident Assad: The new thing since Obama came to office is that there is no more dictation from the U.S. and they are ready to listen. This is very important as a basis for any relation with any country, especially in a country like Syria which does not accept any dictates from the outside.

But the other question here is that it has been now two years since President Obama came to power, so what happened in reality? Actually nothing has changed in reality, even with regard to the bilateral relations, because what we have been doing for the last two years is just signals from Syria towards the U.S. and from the U.S. towards Syria.

But how can we translate those signals into reality. So far we cannot, for a simple reason. It is not because of President Obama, I think he is genuine as a person, and he believes in whatever he says. But in the end you have internal politics in the US; you have the Congress, you have many other institutions, whether before or after the elections, it was not a big difference for our situation. Those institutions do not see sometimes the interests of the US, at least in our region, in a very realistic way. That is why if you look at the situation in Iraq, in Afghanistan and in Pakistan, there is no success in the U.S. policy.

Das Neue seit dem Amtsantritt von Präsident Obama ist, daß es kein direktes Diktat der USA mehr gibt und daß man bereit ist zuzuhören. Das ist als Grundlage der Beziehung zu jedem Land sehr wichtig, vor allem in einem Land wie Syrien, das keinerlei Diktate von außerhalb akzeptiert.

Aber die andere Frage ist hier, daß es jetzt zwei Jahre her ist, daß Präsident Obama an die Macht kam, und was geschah tatsächlich? In Wahrheit hat sich tatsächlich nichts geändert, auch nicht hinsichtlich der bilateralen Beziehungen, denn was wir in den letzten beiden Jahren gemacht haben, das waren nur Signale von Syrien an die USA und von den USA an Syrien.

Aber wie können wir diese Signale in Realität umsetzen. Bisher können wir das nicht, aus einem einfachen Grund. Es liegt nicht an Präsident Obama, ich denke, daß er als Person aufrichtig ist, und er glaubt alles, was auch immer er sagt. Aber am Ende gibt es die Innenpolitik in den USA; da gibt es den Kongreß, es gibt viele andere Institutionen, ob vor oder nach den Wahlen, und es gab für unsere Lage keinen großen Unterschied. Diese Institutionen sehen manchmal die Interessen der USA, zumindest in unserer Region, nicht auf eine sehr realistische Weise. Deshalb gibt es, wenn man die Situation im Irak, in Afghanistan und in Pakistan betrachtet, keinen Erfolg der Politik der USA.
Tja, der gute Kalif Obama, der nur leider von bösen Wesiren und Muftis umgeben ist.

Wenn ein ausgekochter Machtpolitiker wie Assad, der auch durch dieses Interview beweist, daß Lügen für ihn die Grundlage des politischen Geschäfts sind (die Stabilität Syriens beispielsweise führt er auf die große Zustimmung durch das Volk zurück) - wenn einer der gerissensten Diktatoren des Nahen Ostens den Präsidenten Obama als jemanden bezeichnet, der "als Person aufrichtig ist" und der "alles glaubt, was auch immer er sagt", dann wird man unter diesem Lob den Subtext lesen dürfen: Der Mann ist ein naiver Tölpel, er ist der reine Tor.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.