Gestern habe ich mich mit der bizarren Situation befaßt, daß die Stadt Berlin zwar Karl Marx, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Rudi Dutschke mit Straßennamen ehrt, nicht aber Ronald Reagan. Dazu habe ich einige Informationen zu Rudi Dutschke gegeben; mit Bezug auf einen früheren Artikel, in dem ich das ausführlicher abgehandelt hatte ("So macht Kommunismus Spaß" (7): Dutschke und Genossen als Revolutionäre. Räteherrschaft in Westberlin. "Dieser revolutionäre Kampf ist furchtbar"; ZR vom 28. 2. 2009).
Dort hatte ich mich hauptsächlich auf die Recherchen von Götz Aly gestützt. Mir war aber eine weitere Quelle entgangen gewesen. In Zettels kleinem Zimmer bin ich gestern auf einen Artikel aufmerksam gemacht worden, der schon 2008 erschienen ist, den ich aber nicht gekannt hatte: "Der verhinderte Stadtguerrillero" von dem Bonner Politologen Gerd Langguth, der bereits 2001 eine Untersuchung über die Gewaltphilosophie von Rudi Dutschke veröffentlicht hatte; siehe auch diesen Text, den Langguth für das Goethe-Institut schrieb.
Angesichts des freundlichen Bilds von Rudi Dutschke, das weit verbreitet ist und ohne das es wohl nicht möglich gewesen wäre, in Berlin eine Straße nach ihm zu benennen, erscheint mir der Text von Langguth so wichtig, daß ich ihn ausführlich referieren, kommentieren und hier und da durch weitere Informationen ergänzen möchte.
Kein Kommunist? Dutschke, in der DDR aufgewachsen, war nach dem Ungarn-Aufstand 1956 zu einem Gegner des SED-Regimes geworden und 1961, kurz vor dem Bau der Mauer, mit 21 Jahren nach Westberlin gegangen, wo er an der FU ein Studium mit bemerkenswert vielen Studienfächern (Geschichtswissenschaft, Soziologie, Ethnologie, Philosophie) begann.
Sein Bruch mit dem SED-Regime wird oft mißverstanden. Er bedeutet keineswegs die Abkehr vom Kommunismus, auch nicht vom Leninismus. Langguth erwähnt Aufsätze, die Dutschke nach seinem Wechsel in den Westen in einer Zeitschrift mit dem hübsch doppeldeutigen Namen "Anschlag" schrieb, und erläutert::
Dutschke und der SDS. Als Schüler Lenins wußte Dutschke, daß eine entschlossene Minderheit viel mehr bewirken kann als eine unentschlossene Mehrheit. Anfang der sechziger Jahre hatte sich an der FU eine Gruppe von Kommunisten gebildet ("Subversive Aktion"), die nach politischer Betätigung suchte; dazu gehörten neben Dutschke, der sich ihr 1964 anschloß, Frank Böckelmann, Dieter Kunzelmann und Bernd Rabehl. Man beschloß Anfang 1965, in den SDS einzutreten und diesen für seine Zwecke zu nutzen.
Der SDS (Sozialistische Deutsche Studentenbund) war damals links - die SPD hatte sich deshalb 1961 von ihm getrennt -, aber alles andere als kommunistisch oder revolutionär. Das änderte sich bald nach dem Eintritt dieser Gruppe, die auch als "Viva-Maria-Gruppe" firmierte; sie nannte sich so nach dem Film von Louis Malle, der eine blutige Revolution als fröhliches Spektakel darstellt.
Die Richtung hatte Dutschke zuvor in einem Text vorgegeben, den Michael Frey in seiner Magisterarbeit an der Ruhr-Universität Bochum untersucht hat. In der Pressemitteilung über diese Untersuchung wird Dutschke so zitiert:
Im SDS bekam die "Viva-Maria"-Gruppe schnell das Heft in die Hand. Der SDS war wesentlich an dem beteiligt, was man bald die "Studentenbewegung" nannte und dann oft auch die "Rebellion der Studenten".
Im September 1967 hielt Dutschke zusammen mit Hans-Jürgen Krahl auf der Frankfurter Bundesdelegiertenkonferenz des SDS ein Referat, über das Langguth schreibt:
Stadtguerrilla. Das war nicht graue Theorie, sondern Dutschke war durchaus selbst gewaltbereit. Es gibt dazu zwei verbürgte Episoden: Die Sache mit dem Kinderwagen und die Sprengaktion in Saarbrücken.
Die Kinderwagen-Geschichte ist recht bekannt. Langguth berichtet über sie so:
Dutschke war ein gewaltbereiter Kommunist, der den demokratischen Pluralismus verachtete ("Die Freiheit des Andersdenkenden (...) meint die Freiheit der verschiedenen Fraktionen des sozialistischen Lagers"; wir erinnern uns an Rosa Luxemburg). Wie konnte es zu der Fehlwahrnehmung kommen, er sei ein Demokrat gewesen, gar "ein friedliebender, zutiefst jesuanischer Mensch", wie Walter Jens schrieb (zitiert nach Langguths Aufsatz beim Goethe-Institut)? Es spielte wohl verschiedenes eine Rolle.
Zum einen hat natürlich auch der Kommunist Dutschke zwischen Kaderlinie und Massenlinie unterschieden. Während er, wie gezeigt, intern den Guerrillakampf auch in Europa propagierte, gab er sich gegenüber der Öffentlichkeit friedfertig. Aus einem Interview, das im Juli 1967 Manfred W. Hentschel für den "Spiegel" mit ihm führte:
Und drittens war natürlich das Schicksal Rudi Dutschkes ein entscheidender Faktor. Das Attentat auf ihn fand am 11. April 1968 statt, als die Studentenbewegung auf ihrem Höhepunkt war. Danach war Dutschke nicht mehr in der Lage zu revolutionärem Kampf. Wie er sich in den 70er Jahren verhalten, welcher Form des Kampfs er sich angeschlossen hätte, läßt sich nicht sagen. Sein "Holger, der Kampf geht weiter" am Grab des Terroristen Holger Meins im November 1974 zeigt jedenfalls, daß er auch diese Kämpfer als seine Genossen ansah.
Dort hatte ich mich hauptsächlich auf die Recherchen von Götz Aly gestützt. Mir war aber eine weitere Quelle entgangen gewesen. In Zettels kleinem Zimmer bin ich gestern auf einen Artikel aufmerksam gemacht worden, der schon 2008 erschienen ist, den ich aber nicht gekannt hatte: "Der verhinderte Stadtguerrillero" von dem Bonner Politologen Gerd Langguth, der bereits 2001 eine Untersuchung über die Gewaltphilosophie von Rudi Dutschke veröffentlicht hatte; siehe auch diesen Text, den Langguth für das Goethe-Institut schrieb.
Angesichts des freundlichen Bilds von Rudi Dutschke, das weit verbreitet ist und ohne das es wohl nicht möglich gewesen wäre, in Berlin eine Straße nach ihm zu benennen, erscheint mir der Text von Langguth so wichtig, daß ich ihn ausführlich referieren, kommentieren und hier und da durch weitere Informationen ergänzen möchte.
Kein Kommunist? Dutschke, in der DDR aufgewachsen, war nach dem Ungarn-Aufstand 1956 zu einem Gegner des SED-Regimes geworden und 1961, kurz vor dem Bau der Mauer, mit 21 Jahren nach Westberlin gegangen, wo er an der FU ein Studium mit bemerkenswert vielen Studienfächern (Geschichtswissenschaft, Soziologie, Ethnologie, Philosophie) begann.
Sein Bruch mit dem SED-Regime wird oft mißverstanden. Er bedeutet keineswegs die Abkehr vom Kommunismus, auch nicht vom Leninismus. Langguth erwähnt Aufsätze, die Dutschke nach seinem Wechsel in den Westen in einer Zeitschrift mit dem hübsch doppeldeutigen Namen "Anschlag" schrieb, und erläutert::
Der DDR-Flüchtling war alles andere als ein SED-Gefolgsmann. Aber in diesen Aufsätzen verstand er sich als ein junger Kommunist, der die russische Oktoberrevolution leidenschaftlich verteidigte: Er forderte die Rehabilitierung der "besten Söhne der Revolution (Trotzki, Bucharin, Radek u.s.w.)" und verteidigte die Niederschlagung der Erhebung der Kronstädter Matrosen im März 1921. Lenin und Trotzki seien "gezwungen" gewesen, "die ehemaligen revolutionären Brüder, die Matrosen und Soldaten von Kronstadt und deren Aufstand niederzuschlagen".Soviel zu der Legende, Dutschke sei so etwas wie ein christlicher Sozialist gewesen. Er war als DDR-Bürger Kommunist gewesen; er war es danach. Nur entsprach die DDR nicht seinem Bild vom revolutionären Kommunismus.
Dutschke und der SDS. Als Schüler Lenins wußte Dutschke, daß eine entschlossene Minderheit viel mehr bewirken kann als eine unentschlossene Mehrheit. Anfang der sechziger Jahre hatte sich an der FU eine Gruppe von Kommunisten gebildet ("Subversive Aktion"), die nach politischer Betätigung suchte; dazu gehörten neben Dutschke, der sich ihr 1964 anschloß, Frank Böckelmann, Dieter Kunzelmann und Bernd Rabehl. Man beschloß Anfang 1965, in den SDS einzutreten und diesen für seine Zwecke zu nutzen.
Der SDS (Sozialistische Deutsche Studentenbund) war damals links - die SPD hatte sich deshalb 1961 von ihm getrennt -, aber alles andere als kommunistisch oder revolutionär. Das änderte sich bald nach dem Eintritt dieser Gruppe, die auch als "Viva-Maria-Gruppe" firmierte; sie nannte sich so nach dem Film von Louis Malle, der eine blutige Revolution als fröhliches Spektakel darstellt.
Die Richtung hatte Dutschke zuvor in einem Text vorgegeben, den Michael Frey in seiner Magisterarbeit an der Ruhr-Universität Bochum untersucht hat. In der Pressemitteilung über diese Untersuchung wird Dutschke so zitiert:
Die Möglichkeit, die sich durch größere Demonstrationen ergibt, ist unter allen Umständen auszunützen. Genehmigte Demonstrationen müssen in die Illegalität überführt werden. Die Konfrontation mit der Staatsgewalt ist zu suchen und unbedingt erforderlich.Geschrieben vor mehr als 45 Jahren; es liest sich wie eine Handlungsanweisung für die heutigen "autonomen" Politkriminellen.
Im SDS bekam die "Viva-Maria"-Gruppe schnell das Heft in die Hand. Der SDS war wesentlich an dem beteiligt, was man bald die "Studentenbewegung" nannte und dann oft auch die "Rebellion der Studenten".
Im September 1967 hielt Dutschke zusammen mit Hans-Jürgen Krahl auf der Frankfurter Bundesdelegiertenkonferenz des SDS ein Referat, über das Langguth schreibt:
Die beiden Studentenführer gingen darin von einer "bestimmten Negation" der parlamentarischen Ordnung aus. Gegen den Macht- und Sicherheitsapparat des Staates sollten illegale Kämpfer Schutz gewähren. Dutschke und Krahl riefen den SDS dazu auf, sich künftig als "Sabotage- und Verweigerungsguerilla" zu formieren: "Die Agitation in der Aktion, die sinnliche Erfahrung der organisierten Einzelkämpfer in der Auseinandersetzung mit der staatlichen Exekutivgewalt bilden die mobilisierenden Faktoren in der Verbreiterung der radikalen Opposition" hieß es da." "Der städtische Guerillero ist der Organisator schlechthinniger Irregularität als Destruktion des Systems der repressiven Institutionen."Soviel zu der Legende, Dutschke und seine Freunde hätten die Stadtguerrilla-Strategie der RAF und der "Bewegung 2. Juni" strikt abgelehnt. Dutschke wurde sogar sehr konkret, was diese Strategie angeht. Langguth:
Im zeitlichen Zusammenhang mit dem "Vietnam-Kongress" vom 17./18. Februar 1968, wo sich Dutschke auf "einen europäischen Cong", eine Art Stadtguerilla bezog, hatte er in den Niederlanden Überlegungen von Aktionen gegen die "schreckliche Kriegsmaschine" der USA geäußert und von "Angriffen gegen NATO-Schiffe" gesprochen. Dutschke schwebten "Stadtguerilla"-Kleingruppen von jeweils vier bis sechs Kämpfern vor, die eine regelrechte Doppelexistenz führen sollten.So machten es dann die Mitglieder der deutschen terroristischen Organisationen.
Stadtguerrilla. Das war nicht graue Theorie, sondern Dutschke war durchaus selbst gewaltbereit. Es gibt dazu zwei verbürgte Episoden: Die Sache mit dem Kinderwagen und die Sprengaktion in Saarbrücken.
Die Kinderwagen-Geschichte ist recht bekannt. Langguth berichtet über sie so:
Giangiacomo Feltrinelli (...) klopfte vor dem Vietnam-Kongress im Februar 1968 an die Tür der Dutschkes und zeigte die mit Dynamitstangen gefüllte Rückbank seines Autos. Im Schutz der Dunkelheit brachte er die Ladung in die Wohnung. Am nächsten Tag sollte das Dynamit im Kinderwagen von Dutschkes Sohn Hosea-Ché in eine konspirative Wohnung weitertransportiert werden. Feltrinelli habe, so Gretchen Dutschke, "befohlen", das Kind auf den hochexplosiven Stoff zu betten, damit man keinerlei Verdacht errege. Später begrub Dutschke seinen Plan, gemeinsam mit Feltrinelli mit dem Dynamit ein Schiff mit Kriegsmaterial für den Vietnamkrieg in die Luft zu sprengen.Ein Stück weiter, wenn auch nicht ganz bis zum Erfolg, gedieh der Plan, einen Sendemast bei Saarbrücken zu sprengen. Langguth:
Der aus Persien stammende Intellektuelle Bahman Nirumand berichtet, dass er im März 1968 gemeinsam mit Dutschke mit einer Bombe im Gepäck von Berlin nach Frankfurt und dann weiter nach Saarbrücken reiste. Ziel: die Sprengung eines Antennenmastes des US-Soldatensenders AFN in Saarbrücken, damit es "zu einer kurzen Unterbrechung der Sendung kommen konnte". Die Vorbereitungen durch einen Genossen waren so lückenhaft, dass der Anschlag abgebrochen wurde.
Dutschke war ein gewaltbereiter Kommunist, der den demokratischen Pluralismus verachtete ("Die Freiheit des Andersdenkenden (...) meint die Freiheit der verschiedenen Fraktionen des sozialistischen Lagers"; wir erinnern uns an Rosa Luxemburg). Wie konnte es zu der Fehlwahrnehmung kommen, er sei ein Demokrat gewesen, gar "ein friedliebender, zutiefst jesuanischer Mensch", wie Walter Jens schrieb (zitiert nach Langguths Aufsatz beim Goethe-Institut)? Es spielte wohl verschiedenes eine Rolle.
Zum einen hat natürlich auch der Kommunist Dutschke zwischen Kaderlinie und Massenlinie unterschieden. Während er, wie gezeigt, intern den Guerrillakampf auch in Europa propagierte, gab er sich gegenüber der Öffentlichkeit friedfertig. Aus einem Interview, das im Juli 1967 Manfred W. Hentschel für den "Spiegel" mit ihm führte:
SPIEGEL: (...) Predigen Sie Gewalt?Neben dieser bei Kommunisten üblichen Mimikry dürfte zweitens eine Rolle spielen, daß ja die Studentenbewegung als Ganzes, als deren Symbolfigur Dutschke galt, keineswegs die sozialistische Revolution wollte; man wollte einen besseren, freieren demokratischen Rechtsstaat. Das zeigte spätestens das Fiasko der K-Gruppen in den siebziger Jahren (siehe Wir Achtundsechziger (4): Entmischung in den siebziger Jahren. Warum es "die Achtundsechziger" eigentlich nicht gibt; ZR vom 21. 4. 2008).
DUTSCHKE: Aufruf zur Gewalt, zu Mord und Totschlag in den Metropolen hochentwickelter Industrieländer -- ich denke, das wäre falsch und geradezu konterrevolutionär. (...) Sondern wir müssen ganz klar sehen, daß unsere Chance der Revolutionierung der bestehenden Ordnung nur darin besteht, daß wir immer größere Minderheiten bewußt machen; daß das antiautoritäre Lager immer größer wird und damit beginnt, sich selbst zu organisieren, eigene Formen des Zusammenlebens findet -- in Berlin eine Gegen-Universität etwa, oder Kommunen oder was auch immer.
Und drittens war natürlich das Schicksal Rudi Dutschkes ein entscheidender Faktor. Das Attentat auf ihn fand am 11. April 1968 statt, als die Studentenbewegung auf ihrem Höhepunkt war. Danach war Dutschke nicht mehr in der Lage zu revolutionärem Kampf. Wie er sich in den 70er Jahren verhalten, welcher Form des Kampfs er sich angeschlossen hätte, läßt sich nicht sagen. Sein "Holger, der Kampf geht weiter" am Grab des Terroristen Holger Meins im November 1974 zeigt jedenfalls, daß er auch diese Kämpfer als seine Genossen ansah.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette; Rudi Dutschke; Fotoautomat-Aufnahme. Von GretchenD, in die Public Domain gestellt. Mit Dank an meyer.