13. Februar 2011

Zettels Meckerecke: Die Europäische Kulturstiftung Pro Europa und die Zivilcourage der Margot Käßmann. Eine Posse? Doch eher ein Skandal

Stiftungen verleihen gern Preise. Das dient nicht nur dem Geehrten, sondern auch der Stiftung. Dann nämlich, wenn ein Prominenter geehrt wird. Dann steht der Name der Stiftung in der Zeitung. Neben dem Namen des Prominenten. Es entsteht also das, was die Psychologen eine Assoziation nennen. Das, was dem Prominenten zugeschrieben wird, färbt ein wenig auch auf die Stiftung ab. Das dient der Imagepflege der Stiftung.

Bis gestern kannte ich die Stiftung nicht, von der hier die Rede sein wird. Es ist eine "Europäische Kulturstiftung". Da muß man nun freilich aufpassen; denn es gibt etliche Stiftungen dieses Namens.

Hier handelt es sich nicht um die Europäische Kultur Stiftung eines gewissen John G. Bodenstein, dessen Beitrag zur Kultur, soweit ich es recherchieren konnte, darin besteht, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Werke von Arnold Breker vermarktet zu haben. Es geht auch nicht um die European Cultural Foundation, eine europäische Mammut-Organisation, deren Geschichte Sie hier nachlesen können.

Sondern die Stiftung, von der hier die Rede sein wird, heißt Pro Europa. Europäische Kulturstiftung und wurde 1993 in Basel gegründet. Der Stiftungszweck:
Die Stiftung will dem lebendigen Dialog zwischen den europäischen Staaten und Regionen Impulse geben und zu einem politik-begleitenden, vertrauensbildenden und kommunikationsfördernden Kulturaustausch in Europa beitragen. Die Bedeutung der kulturellen Vielfalt und die schöpferische Eigenständigkeit der europäischen Staaten und Regionen sollen auf diese Weise verdeutlicht werden.
Diesen schönen Zielen dient die Verleihung der Europäischen Kulturpreise:
Alljährlich verleiht die Stiftung für herausragende Leistungen, Initiativen und Kulturwerke die Europäischen Kulturpreise. (...)

Bei der Vergabe der Auszeichnungen unterscheidet die Stiftung zwischen Persönlichkeiten, die sich mit ihrem Talent oder mit den geförderten oder geschaffenen Kulturwerken schon durchgesetzt und / oder sich für die Kultur Europas verdient gemacht haben und jungen, sehr begabten und genialen, aber noch unbekannten Künstlern.

Indem die Stiftung bei den Kulturpreisverleihungen bereits anerkannte, berühmte Persönlichkeiten und Kultur zusammen mit jungen, noch unbekannten Künstlern auszeichnet, leistet sie einen Beitrag zu deren Förderung und zum "Nachwuchs der Kultur" und der Kulturschaffenden Europas.



Die diesjährigen Kulturpreise werden zu verschiedenen Terminen an verschiedenen Orten verliehen

Die Liste ist beeindruckend. Da gibt es zum Beispiel einen "Europäischen Opern Kulturpreis" (so geschrieben; wir sind ja im Bereich der Kultur). Er wird am 4. März in der Frankfurter Paulskirche an Anja Silja verliehen; die Laudatio hält Luc Bondy. Da gibt es den "Europäischen Menschenrechtspreis", der in diesem Jahr an Joachim Gauck geht (Straßburg, 15. April; Laudator: Arnulf Baring).

Am 15. Juni wird in Paris der Deutsch-Französische Kulturpreis verliehen; an keinen Geringeren als Jacques Chirac. Und so fort; insgesamt sind es, wenn ich richtig gezählt habe, vierzehn Kulturpreise, verliehen bei fünf Events. Und das ist längst nicht alles; eine Liste der weiteren Preise dieser offenbar preisverliebten Stiftung finden Sie hier

Der Auftakt ist in diesem Jahr die Veranstaltung am 4. März in der Frankfurter Paulskirche. Im Programm wird als erste Preisträgerin die ehemalige Landesbischöfin Margot Käßmann genannt. Für welche der "herausragenden Leistungen, Initiativen und Kulturwerke", die laut Stiftung prämiert werden, wird man Frau Käßmann wohl ehren? Hat sie sich um die europäische Kultur verdient gemacht? Gehört sie zu den "anerkannten, berühmten Persönlichkeiten" oder doch eher zu den "jungen, noch unbekannten Künstlern"?

Man weiß es nicht. Fest steht nur, daß die Ehrung im Zusammenhang damit steht, daß sie betrunken Auto fuhr und deswegen von ihrem Amt als Landesbischöfin zurücktrat. Ja, sie haben richtig gelesen. In einer Vorabmeldung zum "Spiegel" der kommenden Woche steht es:
Zur Begründung heißt es, Käßmann habe sich zu ihrer persönlichen Verantwortung bekannt und die Konsequenzen gezogen. Damit habe sie erheblichen Mut bewiesen und sei zum Vorbild für andere Personen des öffentlichen Lebens geworden. Käßmann war im Februar vergangenen Jahres mit mehr als 1,5 Promille Alkohol im Blut am Steuer ihres Wagens gestoppt worden.
Wie heißt der Preis, den man dafür bekommen kann, daß man seinen Posten räumt, wenn man ihn nicht mehr glaubwürdig ausfüllen kann? Er heißt "Europäischer Kultur-Zivilcourage-Preis".



An dieser Preisverleihung ist zweierlei unerhört. Erstens die Ausweitung des Kulturbegriffs dadurch, daß man Zivilcourage als eine Kulturleistung wertet; wie Leistungen in der Wissenschaft, in den Künsten oder bei der Durchsetzung der Menschenrechte.

Gewiß kann man argumentieren, daß im weitesten Sinn auch Zivilcourage zur Kultur gehört; zumal zu unserer abendländischen Kultur. Aber wenn man "Kultur" so weit definiert, dann gehören dazu auch Hilfsbereitschaft, Gerechtigkeit, Toleranz und viele andere sozial erwünschte Eigenschaften und Verhaltensweise. Wie rechtfertigt es die Stiftung, derlei nicht zur Kultur - wenn man sie denn schon so weit fassen will - zu rechnen, aber ausgerechnet die Zivilcourage?

Zweitens: Wenn man denn schon Zivilcourage prämieren will - was in aller Welt versteht die Jury unter diesem Begriff, wenn sie den Rücktritt einer Amtsträgerin, die wegen ihrer persönlichen Verfehlung ihr Amt nicht länger überzeugend ausüben konnte, als einen Akt der Zivilcourage wertet?

Unter Zivilcourage verstand man es bisher, daß jemand beispielsweise sein Leben und seine Gesundheit riskiert, um anderen zu helfen; daß jemand den Mut besitzt, dem Recht Geltung zu verschaffen, auch wenn es ihn in Gefahr bringt. Dergleichen. Selbstlosigkeit gehört zur Zivilcourage; sonst handelt es sich um Egoismus. Mut gehört dazu; die Bereitschaft, sich für andere oder für die Durchsetzung von Werten einer Gefahr auszusetzen.

Mit derlei hat Margot Käßmanns Rücktritt nichts, aber wirklich nichts zu tun. Sie blieb Pfarrerin der Hannoverschen Landeskirche, mit den zugehörigen Versorgungsansprüchen. Sie mußte indes keineswegs wieder schlicht Gemeindearbeit machen, wie die meisten ihrer Amtsbrüder und -schwestern. Wenige Monate nach ihrem Rücktritt war sie Gastprofessorin an der amerikanischen Emory University; gegenwärtig ist sie Gastprofessorin an der Ruhr-Universität Bochum. Ihre Zivilcourage hat sich durchaus für sie gelohnt.

Einen Rücktritt wie den von Frau Käßmann als Zivilcourage zu ehren, ist ein Affront gegen alle, die wirklich Zivilcourage gezeigt haben und die einen solchen Preis, wenn es ihn denn nun schon einmal gibt, weit mehr verdient gehabt hätten.

Wie absurd diese Bewertung dieses Käßmann-Rücktritts als ein Beispiel für Zivilcourage ist, zeigt im übrigen auch der Vergleich mit anderen Rücktritten:

Der Minister Franz Josef Jung beispielsweise trat im November 2009 als Arbeitsminister zurück, weil ihm vorgeworfen wurde, sich während seiner vorausgehenden Amtszeit als Verteidigungsminister nicht korrekt verhalten zu haben. Im November 2000 trat der Bauminister Reinhard Klimmt zurück, weil er als ehrenamtlicher Präsident des 1. FC Saarbrücken für Unregelmäßigkeiten bei diesem Verein verantwortlich gemacht worden war. Jürgen W. Möllemann trat 1993 zurück, weil er eine Empfehlung für ein Produkt unterschrieben hatte, das von einem entfernten Verwandten vermarktet wurde.

Bundespräsident Köhler trat letztes Jahr zurück, nachdem seine Amtsführung öffentlich kritisiert worden war.

Wenn jemand solche Fälle mit der Bezeichnung "Zivilcourage" belegt hätte, dann hätte man das, nicht wahr, sehr, sehr verwunderlich gefunden.

Dabei hatte keiner der Genannten sich, als er zurücktrat, etwas zuschulden kommen lassen, das auch nur entfernt an die Schuld der damaligen Landesbischöfin Käßmann heranreichte, die nur ein gnädiges Schicksal - sie wird es vielleicht Fügung nennen - davor bewahrt hat, durch ihr verantwortungsloses Verhalten Menschen zu verletzen oder zu töten. Sie war so fahruntüchtig, daß sie eine rote Ampel übersah. Sie hätte in diesem Zustand ebenso einen Menschen übersehen können, der die Straße überquerte.

Bei 1,1 Promille beginnt die absolute Fahruntüchtigkeit, die mit Freiheitsentzug oder einer Geldstrafe bestraft wird. Margot Käßmann hatte bei ihrer Alkoholfahrt 1,54 Promille. Jörg Haider war am 11. Oktober 2008 - wie Käßmann nach einer Zecherei - mit 1,8 Promille Alkohol im Blut (umgerechnet auf das Körpergewicht einem vergleichbaren Wert) Auto gefahren und hatte einen Unfall verursacht, bei dem er ums Leben kam.

Angenommen, er hätte diesen Unfall nicht gehabt, wäre aber wie Käßmann von der Polizei angehalten worden und wäre dann wegen dieser Affäre zurückgetreten - können Sie sich vorstellen, daß irgendwer auf den absurden Gedanken gekommen wäre, dies als einen Akt der Zivilcourage zu werten? Und Jörg Haider ein Jahr später dafür mit einem europäischen Kulturpreis zu ehren?



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Uwe Richard, notquite und C.