24. Februar 2011

Belege dafür, daß Guttenberg lügt. Eine Handreichung. Das Messer im Rücken

Wer meine Artikel zu der Affäre Guttenberg verfolgt hat (Sie können sie lesen, wenn Sie auf diesen Link klicken) und wer in Zettels kleinem Zimmer mitliest, für den wird dieser Beitrag wenig Neues bringen. Ich schreibe ihn für Leser, die nur gelegentlich oder zum ersten Mal hier hereinschauen und/oder die den Blog lesen, aber die Diskussionen im kleinen Zimmer nicht verfolgen.

Der Artikel wendet sich zum einen an diejenigen, die schon davon überzeugt sind, daß Guttenberg lügt; für diese als, sagen wir, Argumentationshilfe. Diejenigen, die das noch nicht glauben, kann er vielleicht überzeugen; ihnen jedenfalls beim Nachdenken helfen.



Auf den ersten Blick erscheint der Fall sonnenklar: Guttenberg hat eine Doktorarbeit abgeliefert, die nicht irgendwo ein Plagiat enthält, sondern die aus Plagiaten buchstäblich zusammengeschustert ist. Es ist - auf den ersten Blick - ein Fall von Täuschung bei einer wissenschaftlichen Arbeit, wie ihn die Bundesrepublik bei einem Prominenten noch nicht erlebt hat (siehe Dokumentation des Zwischenberichts von GuttenPlag Wiki zu Guttenbergs Plagiaten; ZR vom 21. 2. 2011). Der Mann hat - vielleicht nicht im juristischen, aber im umgangssprachlichen Sinn des Wortes - nach Strich und Faden betrogen.

Jeder Student, jeder Inhaber eines Doktorgrads, der so eindeutig des Plagiats überführt werden würde, wäre ohne Diskussion den Sanktionen ausgesetzt, die für diesen Fall vorgesehen sind: Aberkennung des Doktorgrads, Nichtbestehen der jeweiligen Prüfung; bei Studierenden an den Hochschulen der Bundeswehr dienstrechtliche Konsequenzen bis hin zur Entfernung aus dem Dienst.

Nun argumentiert Guttenberg so, wie jeder in einer derartigen Situation argumentieren könnte, und wie vermutlich Unzählige argumentiert haben: Ihm sei das alles "passiert" (so in der Kelkheimer Rede), ohne daß er es beabsichtigt gehabt hätte.

Der Mörder hat sein Opfer nicht erstochen, sondern es hat sich ihm irgendwie ins Messer gedrängt.



Ja, das kann sein. Mancher fällt so unglücklich nach hinten, daß er plötzlich ein Messer im Rücken hat. Aber der Angeklagte, der sich mit dieser Erklärung retten möchte, muß das doch ein wenig begründen.

Bei Guttenbergs Einlassungen (in der Kelkheimer Rede wie auch bei seiner Erklärungsversuche gestern im Bundestag) fällt auf, daß er gar nicht erst versucht, konkret zu schildern, wie denn die Plagiate so in das Manuskript geraten sein könnten, daß er sie - versehentlich, wie das so geht - nicht als Zitate gekennzeichnet hat. Er konkretisiert das nicht, sondern er sagt einfach (so in der Kelkheimer Rede): "Ich habe diese Fehler nicht bewußt gemacht. Ich habe auch nicht bewußt oder absichtlich in irgendeiner Form getäuscht". Soll ihm doch einer mal das Gegenteil nachweisen. Sollen sich doch andere überlegen, wie die Plagiate denn in die Arbeit geraten sind.

Andere überlegen das in der Tat. Unterstützer von Guttenberg haben Theorien dazu ersonnen, wie denn dieser grundanständige, nur offenbar reichlich schusselige Mann ganz unbegründet in den Verdacht geraten ist, er hätte weite Passagen seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Die gängige Theorie geht so, wie das gestern in Zettels kleinem Zimmer Florian zusammengefaßt hat, ohne es sich zu eigen zu machen:
Nach dieser Erklärung war Guttenberg bei der Abfassung der Dissertation einfach überfordert. Er hat schludrig gearbeitet und Zitate, die er im Laufe der Diss-Erstellung eingebaut hat, nicht von Anfang an klar markiert. Als er dann ggf. erst lange Zeit später wieder an der gleichen Stelle weitergearbeitet hat, war ihm nicht mehr bewusst, dass es sich hierbei überhaupt um ein Fremd-Zitat handelte. Er glaubte, seinen eigenen Text vor sich zu haben und diesen dann natürlich auch verändern zu können.
Gegen diese Erklärung ist die Aussage des Mafioso Rinaldo Malvivente, der Francesco Vittima sei ihm ganz unglücklich ins Messer gefallen, ein Muster an Glaubwürdigkeit. Denn:

Erstens lernt jeder Student in den ersten Semestern, daß alle Zitate belegt werden müssen. Die Vorschriften, wie das zu machen ist, sind unterschiedlich.

Manchmal werden Fußnoten verlangt (die Zitate werden mit einer Nummer versehen, und am Ende der Seite steht, meist kleingedruckt, unter dieser Nummer die Quelle). Manchmal werden Endnoten verlangt (alle Zitate in einem Kapitel oder im ganzen Text werden durchnumeriert, und im Apparat - dem Anhang, der auf den eigentlichen Text folgt - findet man die Quelle unter der jeweiligen Nummer).

Verbreitet ist auch das Verfahren, die Belege im Literaturverzeichnis zu versammeln. Im Text steht dann zum Beispiel als Quelle "(Guttenberg, 2009)"; und im Literaturverzeichnis findet man unter "Guttenberg" die Monographie "Guttenberg, Karl-Theodor, Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU. Berlin: Duncker & Humblot, 2009".

Wenn man nun eine Arbeit schreibt - sei es eine Seminararbeit, eine juristische Hausarbeit, eine Diplomarbeit oder eine Dissertation -, dann hat man offenkundig das Problem, daß auch alle Zitate in der jeweils verlangten Form belegt werden. Also kennzeichnet man sie, sobald man sie ins Manuskript einträgt. Niemand, der eine wissenschaftliche Arbeit schreibt, verzichtet auf eine solche Markierung; es sei denn, er hätte einen IQ unter 80.

Wie man die Zitate, sobald man sie in das Manuskript einfügt, kennzeichnet, das wird unterschiedlich gehandhabt.

Die heutigen Texteditoren bieten dazu komfortable Funktionen: Man markiert das Zitat, klickt auf die entsprechende Option und trägt den Literaturnachweis ein. Den Rest erledigt das Programm.

Vor der Zeit der Texteditoren mußte man das per Hand machen. Manche schrieben das Zitat eingerückt, andere markierten es sofort mit einem gelben Marker. Wer eine Kugelkopf-IBM benutzte, der machte sich vielleicht auch die Mühe, den Kugelkopf auszutauschen, um das Zitat kursiv zu setzen.

Wie auch immer: Daß Zitate sofort - in dem Augenblick, in dem sie in das Manuskript gelangen - eindeutig markiert werden müssen, ist eine Selbstverständlichkeit, wenn man ein wissenschaftliches Manuskript schreibt. Es geht nicht anders - denn wie soll man denn später seine Fuß- oder Endnoten, sein Literaturverzeichnis zusammenstellen?

Natürlich kann es einmal passieren, daß man das Markieren vergißt. Es kann in einem umfangreichen Manuskript vielleicht auch zweimal passieren. Daß es auf den meisten Seiten passiert (gegenwärtig steht die Zählung bei GuttenPlag Wiki bei 72,8 Prozent aller Textseiten, in denen Plagiate entdeckt wurden), ist so unwahrscheinlich, wie daß Francesco Vittima nicht nur in das Messer von Rinaldo Malvivente gefallen ist, sondern daß er im Fallen auch noch dessen Fingerabdrücke am Messer abgewischt hat.



Der zweite Beweis dafür, daß Guttenberg lügt, ist ebenso eindeutig. Er betrifft den sogenannten Kontext der Zitate.

Warum zitiert man überhaupt in einer wissenschaftlichen Arbeit; warum schreibt man nicht alles selbst? Das kann verschiedene Gründe haben:
  • Man verweist auf eine Autorität. Man zitiert also, um zu belegen, daß andere dieselbe Meinung vertreten wie man selbst. Wer als Jurist zum Beispiel die Rechtsprechung der jeweils obersten Instanz zitiert, der braucht nicht mehr unbedingt zu begründen, warum er dieselbe Meinung vertritt.

  • Man führt etwas auf, weil man es selbst nicht besser formulieren könnte. Wenn zum Beispiel in einer Quelle viele Zahlen und Fakten aufgeführt sind, dann ist es einfacher, die Quelle zu zitieren, als das mit eigenen Worten zu sagen.

  • Man zitiert die Quelle, um sie zu kommentieren. Das ist ein sehr häufiges Motiv für Zitate. Der Autor hat eine bestimmte Meinung, aber andere sehen das anders. Also zitiert man einen von ihnen und erläutert dann, warum er - nach Ansicht des Autors - Unrecht hat; oder warum seine Meinung ergänzt, vertieft, modifiziert werden muß.
  • Es gibt auch noch andere Motive für das Zitieren (man kann, sagen wir, ein Zitat auch zur Auflockerung bringen, weil es lustig ist) - aber in jedem Fall macht der Autor in seinem Text deutlich, warum er zitiert.

    Es gibt das schlechterdings nicht, daß man ein Zitat einfach in den Text hineinmontiert, ohne daß man davor und/oder danach etwas zu diesem Zitat schreibt. Also beispielsweise "Zur amerikanischen Verfassungsgeschichte hat Barbara Zehnpfennig 1997 in der FAZ treffend notiert:". Oder "Wie sogar ein Student in seiner Ausarbeitung zu einem Einführungskurs richtig erkannt hat:". Dergleichen.

    Es ist völlig ausgeschlossen, daß ein Autor, der bei Sinnen ist, einfach dutzendweise Zitate in sein Manuskript hineinbefördert, ohne auf diese oder eine ähnliche Weise zu begründen, warum er jeweils zitiert.

    Auch wenn Guttenberg die hanebüchene Dummheit begangen haben sollte, seine Zitate nicht durch ein Mittel wie die Einrückung im Manuskript zu kennzeichnen, hätte ihm bei der Lektüre "nach Jahren" allein durch diesen Kontext klar sein müssen, daß es sich um Zitate handelt. Er hätte sie bei der Schlußredaktion seiner Arbeit also korrekt kennzeichnen können.



    Das sind die beiden Hauptbeweise dafür, daß Guttenberg gestern den Bundestag angelogen hat. Es gibt noch ein weiteres starkes Indiz: Jeder Autor überlegt sich genau und oft lange, wie er seine Arbeit beginnt. Daß Guttenberg unter einer derartigen Amnesie litt, daß er beim Wiederlesen nicht einmal mehr wußte, daß die einleitende Passage von Barbara Zehnpfennig war und nicht von ihm selbst, ist völlig unglaubhaft.

    Das Opfer des Mafioso ist nicht nur ins Messer gefallen und hat im Fallen die Fingerabdrücke abgewischt, sondern es hat im Fallen auch noch eine Erklärung unterzeichnet, daß Rinaldo Malvivente unschuldig ist.

    Dieser Mann, der schamlos lügt, ist eine Schande für das Bundeskabinett. Er ist eine Schande für unser Land.



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