Politik wird von den Medien gern auf's Menschliche heruntergebrochen. Italien verfolgt in Sachen Libyen eine andere Linie als die meisten Staaten der EU. Warum? Ja, das ist doch klar: Berlusconi ist Gaddafis Freund.
Beide Exzentriker, nicht wahr? Sogar geküßt haben sie sich! Und so schrieb denn beispielsweise gestern die "Rheinische Post", illustriert mit einem Kuß-Foto:
Über die tatsächlichen Hintergründe des besonderen Verhältnisses Italiens zu Libyen informiert, präzise und konkret wie stets, Stratfor. (Der Artikel ist nur Abonnenten zugänglich):
Am vergangenen Dienstag telefonierte Berlusconi mit Gaddafi. Es scheint kein sehr freundliches Gespräch gewesen zu sein; nach Berichten in der italienischen Presse ging es unter anderem um die (laut Berlusconi falsche) Behauptung Gaddafis, Aufrührer hätten Waffen italienischer Herkunft eingesetzt.
Nun gut, man kennt den Inhalt solcher Gespräche im allgemeinen nicht. Vorgestern jedenfalls erklärte der italienische Außenminister Franco Frattini, Gaddafi hätte unter der Bevölkerung Ostlibyens ein "entsetzliches Blutbad" angerichtet.
Daß der Außenminister Gaddafi so massiv angriff, nachdem sein Ministerpräsident gerade mit diesem telefoniert hatte, illustriert die widersprüchliche Interessenlage Italiens:
Es ist einerseits, aufgrund der historischen Verbindungen zu Libyen, dessen hauptsächlicher europäischer Partner (siehe zum Geschichtlichen Die aktuelle Lage in den arabischen Ländern und im Iran. Teil 3: Libyen; ZR vom 21. 2. 2011). Solange Gaddafi nun einmal an der Macht ist, darf man den Gesprächsfaden nicht gänzlich abreißen lassen. Das liegt auch im Interesse der EU, für die Italien in Bezug auf Libyen federführend ist.
Auf der anderen Seite muß auch Italien sich auf einen Sturz Gaddafis einstellen. Seine beiden Hauptinteressen sind, daß es dabei nicht zu einem massiven Exodus von Libyern nach Italien kommt (die Insel Lampedusa liegt nur 225 Kilometer von der libyschen Küste entfernt) und daß seine Investitionen in Libyen nicht gefährdet werden.
Diese sind beträchtlich. Italiens halbstaatlicher Energieriese ENI hat nirgends im Ausland mehr investiert als in Libyen. Gemeinsam mit der staatlichen libyschen Gesellschaft NOC betreibt es eine Erdgasleitung mit einer Kapazität von 11 Milliarden Kubikmetern im Jahr. Täglich produziert die ENI rund 250.000 Barrel Rohöl in Libyen; 15 Prozent ihrer gesamten Produktion.
Italien braucht also eine Doppelstrategie: Es muß weiter Kontakt zu Gaddafi halten (auch im Auftrag der EU) und zugleich diese seine eigenen Interessen für eine eventuelle Zeit nach Gaddafi wahren.
Diese Zeit könnte schwierig werden. In Ostlibyen ist inzwischen ein "Islamisches Emirat Bengasi" gegründet worden; einen wesentlichen Anteil am dortigen Aufstand dürfte die Kaida haben (siehe "Noch nie waren die Dschihadisten in Libyen so gut bewaffnet wie jetzt"; ZR vom 25. 2. 2011). Ein islamistischer Teilstaat vor den Toren Europas wäre eine Bedrohung nicht nur für Italien, sondern für die ganze EU.
Frattini hat darauf hingewiesen, daß im Fall einer Verschlimmerung der Lage in Libyen mit 200.000 bis 300.000 Flüchtlingen gerechnet werden müsse. Italien bleibt auch dann wieder vermutlich auf diesem Problem sitzen. Einerseits gibt es in anderen Staaten der EU wenig Bereitschaft, ihm einen Teil der Flüchtlinge abzunehmen; zuletzt vor allem aus Tunesien. Andererseits werden Maßnahmen zum Schutz vor einem Flüchtlingsstrom von anderen EU-Staaten hintertrieben; der deutsche Außenminister hat das bei den Flüchtlingen aus Tunesien vorexerziert.
Daß Frattini Albanien erwähnt, sei instruktiv, schreibt Stratfor. Denn als auch noch Jahre nach der Revolution gegen die kommunistische Herrschaft in Albanien im Jahr 1997 das Chaos drohte, war es Italien, das eine UN-Streitmacht von 7.000 Mann führte, die dort Ordnungsaufgaben übernahm.
Wäre so etwas auch bei einem Chaos in Libyen nach einem Sturz Gaddafis möglich? Stratfor ist skeptisch und verweist auf die schiere Größe des Landes. Andererseits werde Rom sich um eine internationale Lösung bemühen müssen, die möglichst viele Staaten der UN und der NATO mit einbezieht.
Beide Exzentriker, nicht wahr? Sogar geküßt haben sie sich! Und so schrieb denn beispielsweise gestern die "Rheinische Post", illustriert mit einem Kuß-Foto:
Die blutigen Unruhen in Libyen stellen im europäischen Ausland vor allem einen auf die Probe: Italiens Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Denn dieser bezeichnete den Machthaber Muammar al Gaddafi immer wieder als seinen Freund. Eine Freundschaft, die nicht nur durch bilaterale Verträge, sondern auch von exzentrischen Auftritten geprägt ist.Und seit heute um 15.56 Uhr ist bei "Spiegel-Online" dies zu lesen:
Das war eine wahre Männerfreundschaft! Muammar al-Gaddafi, der selbsternannte "Revolutionsführer" Libyens lud seinen "amico" aus Rom, Regierungschef Silvio Berlusconi, sogar in seinen Harem ein und lehrte ihn "Bunga Bunga"-Sexspielchen. Berlusconi revanchierte sich auf seine Weise. Er küsste beim Treffen arabischer Staatschefs im libyschen Sirte im vorigen Frühjahr dem "Rais" zur Begrüßung die Hand - eine Geste, wie sie sonst nur dem Papst widerfährt.Tja, so ist er eben, der Berlusconi. Und so stellt sich der kleine Moritz - Hans-Jürgen Schlamp ist diesmal sein Name, langjähriger "Spiegel"-Korrespondent, zuvor beim WDR - die Politik vor.
Lange hielt der Italiener seinem transmediterranen Kumpel die Treue. Noch vergangene Woche, als Gaddafi daheim schon demonstrierende Bürger niederschießen und bombardieren ließ, weigerte sich Berlusconi, ein kritisches Wort zu sagen.
Über die tatsächlichen Hintergründe des besonderen Verhältnisses Italiens zu Libyen informiert, präzise und konkret wie stets, Stratfor. (Der Artikel ist nur Abonnenten zugänglich):
Am vergangenen Dienstag telefonierte Berlusconi mit Gaddafi. Es scheint kein sehr freundliches Gespräch gewesen zu sein; nach Berichten in der italienischen Presse ging es unter anderem um die (laut Berlusconi falsche) Behauptung Gaddafis, Aufrührer hätten Waffen italienischer Herkunft eingesetzt.
Nun gut, man kennt den Inhalt solcher Gespräche im allgemeinen nicht. Vorgestern jedenfalls erklärte der italienische Außenminister Franco Frattini, Gaddafi hätte unter der Bevölkerung Ostlibyens ein "entsetzliches Blutbad" angerichtet.
Daß der Außenminister Gaddafi so massiv angriff, nachdem sein Ministerpräsident gerade mit diesem telefoniert hatte, illustriert die widersprüchliche Interessenlage Italiens:
Es ist einerseits, aufgrund der historischen Verbindungen zu Libyen, dessen hauptsächlicher europäischer Partner (siehe zum Geschichtlichen Die aktuelle Lage in den arabischen Ländern und im Iran. Teil 3: Libyen; ZR vom 21. 2. 2011). Solange Gaddafi nun einmal an der Macht ist, darf man den Gesprächsfaden nicht gänzlich abreißen lassen. Das liegt auch im Interesse der EU, für die Italien in Bezug auf Libyen federführend ist.
Auf der anderen Seite muß auch Italien sich auf einen Sturz Gaddafis einstellen. Seine beiden Hauptinteressen sind, daß es dabei nicht zu einem massiven Exodus von Libyern nach Italien kommt (die Insel Lampedusa liegt nur 225 Kilometer von der libyschen Küste entfernt) und daß seine Investitionen in Libyen nicht gefährdet werden.
Diese sind beträchtlich. Italiens halbstaatlicher Energieriese ENI hat nirgends im Ausland mehr investiert als in Libyen. Gemeinsam mit der staatlichen libyschen Gesellschaft NOC betreibt es eine Erdgasleitung mit einer Kapazität von 11 Milliarden Kubikmetern im Jahr. Täglich produziert die ENI rund 250.000 Barrel Rohöl in Libyen; 15 Prozent ihrer gesamten Produktion.
Italien braucht also eine Doppelstrategie: Es muß weiter Kontakt zu Gaddafi halten (auch im Auftrag der EU) und zugleich diese seine eigenen Interessen für eine eventuelle Zeit nach Gaddafi wahren.
Diese Zeit könnte schwierig werden. In Ostlibyen ist inzwischen ein "Islamisches Emirat Bengasi" gegründet worden; einen wesentlichen Anteil am dortigen Aufstand dürfte die Kaida haben (siehe "Noch nie waren die Dschihadisten in Libyen so gut bewaffnet wie jetzt"; ZR vom 25. 2. 2011). Ein islamistischer Teilstaat vor den Toren Europas wäre eine Bedrohung nicht nur für Italien, sondern für die ganze EU.
Frattini hat darauf hingewiesen, daß im Fall einer Verschlimmerung der Lage in Libyen mit 200.000 bis 300.000 Flüchtlingen gerechnet werden müsse. Italien bleibt auch dann wieder vermutlich auf diesem Problem sitzen. Einerseits gibt es in anderen Staaten der EU wenig Bereitschaft, ihm einen Teil der Flüchtlinge abzunehmen; zuletzt vor allem aus Tunesien. Andererseits werden Maßnahmen zum Schutz vor einem Flüchtlingsstrom von anderen EU-Staaten hintertrieben; der deutsche Außenminister hat das bei den Flüchtlingen aus Tunesien vorexerziert.
Daß Frattini Albanien erwähnt, sei instruktiv, schreibt Stratfor. Denn als auch noch Jahre nach der Revolution gegen die kommunistische Herrschaft in Albanien im Jahr 1997 das Chaos drohte, war es Italien, das eine UN-Streitmacht von 7.000 Mann führte, die dort Ordnungsaufgaben übernahm.
Wäre so etwas auch bei einem Chaos in Libyen nach einem Sturz Gaddafis möglich? Stratfor ist skeptisch und verweist auf die schiere Größe des Landes. Andererseits werde Rom sich um eine internationale Lösung bemühen müssen, die möglichst viele Staaten der UN und der NATO mit einbezieht.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.