6. Februar 2011

Zitat des Tages: Charles Krauthammer über die islamistische Gefahr in Ägypten

We are told by sage Western analysts not to worry about the Brotherhood because it probably commands only about 30 percent of the vote. This is reassurance? In a country where the secular democratic opposition is weak and fractured after decades of persecution, any Islamist party commanding a third of the vote rules the country.

(Kluge Analytiker im Westen belehren uns, daß wir uns wegen der [Moslem-]Bruderschaft keine Sorgen zu machen brauchen, weil sie nur ungefähr 30 Prozent der Stimmen hinter sich hat. Das soll Sicherheit bedeuten? In einem Land, in dem die säkulare demokratische Opposition nach Jahrzehnten der Verfolgung schwach und zersplittert ist, regiert jede islamistische Partei mit einem Drittel der Stimmen hinter sich das Land.)

Aus der aktuellen Kolumne von Charles Krauthammer in der Washington Post.


Kommentar: Krauthammers Analyse ist weitgehend deckungsgleich mit dem, was Sie in der Serie "Aufruhr in Arabien" lesen können.

Ich zitiere ihn, weil in den deutschen Medien immer wieder - auch heute wieder im "Presseclub" - argumentiert wird, die Situation in Ägypten sei anders als die vor gut dreißig Jahren im Iran, als die Islamisten des Ayatollah Chomeini die Macht übernahmen. Denn es gebe doch heute das Internet, Handys, einen gebildete Mittelschicht usw.

Diese Argumentation übersieht zweierlei:

Erstens brauchen Revolutionäre keine Mehrheit. Mit Ausnahme der Amerikanischen Revolution, die ja eigentlich eine Unabhängigkeitsbewegung war, hat kaum je die siegreiche Partei in einer Revolution die Mehrheit des Volks hinter sich gehabt. Die Wikipedia schreibt dazu:
It is almost unheard of for a revolution to involve as much as 1 percent of a country's population. The French Revolution of 1789, the Russian Revolution of 1917, perhaps the Romanian Revolution of 1989 - these may have passed the 1 percent mark. Yet in Iran, more than 10% of the country marched in anti-shah demonstrations on December 10 and 11, 1978.

Es ist fast unerhört für eine Revolution, auch nur 1 Prozent der Bevölkerung einzubeziehen. Die Französische Revolution von 1789, die Russische Revolution von 1917, vielleicht die Rumänische Revolution von 1989 - diese mögen die Marke von 1 Prozent überschritten haben. In Teheran jedoch nahmen mehr als 10% des Landes am 10. und 11. Dezember an Anti-Schah-Demonstrationen teil.
Zehn Prozent! Und hinter den Moslem-Brüdern stehen mindestens dreißig Prozent der Ägypter. (Andere Umfragen lassen einen noch größeren Anteil erwarten als die Analyse, auf die Krauthammer sich stützt).

Gewiß, Wähler sind nicht identisch mit aktiven Unterstützern und Demonstranten. Aber eine Revolution findet nun einmal nicht durch Mehrheitsentscheid statt, wie Rosa Luxemburg ebenso richtig wie zynisch erkannt hat.

Zweitens machen die so gern zitierten Internet-Nutzer, die twittern und einen Account bei Facebook haben, in einem Land wie Ägypten nur einen kleinen Teil der Bevölkerung aus. Kairo und Alexandrien sind nicht Ägypten; so wenig, wie Kabul Afghanistan ist oder Shanghai China.

In Ägypten nutzten noch im Jahr 2000 weniger als ein Prozent der Bevölkerung das Internet. Inzwischen ist die Zahl der Nutzer zwar sprunghaft gestiegen (13 Prozent im Jahr 2008; 21 Prozent 2009); aber noch immer hat die große Mehrheit der Bevölkerung vermutlich noch nie vor einem Bildschirm gesessen. Diese drei Viertel oder mehr der Ägypter werden aber bei freien Wahlen den Ausschlag geben.



Die USA, schreibt Krauthammer, sollten nicht auf ElBaradei setzen, sondern auf das ägyptische Militär. Auch er sieht ElBaradei als eine unbedeutende Figur, ganz und gar abhängig von den Moslem-Brüdern (siehe Aufruhr in Arabien (5): Die "Einigkeit" der Demonstranten und das Machtspiel in Ägypten. Welche Rolle spielt der bewaffnete Arm der Hamas?; ZR vom 1. 2. 2011). Nur das Militär könne - mit oder ohne Mubarak - eine Periode der Stabilität bis zu freien Wahlen sicherstellen, während deren sich die demokratischen Kräfte organisieren können.

Eine "period of stability during which secularists and other democratic elements of civil society can organize themselves for the coming elections and prevail", schreibt Krauthammer. Sich organisieren und dann die Oberhand gewinnen. Aber werden sie - Hervorhebung von mir - die Oberhand gewinnen können? Was, wenn die siebzig oder achtzig Prozent den Ausgang freier Wahlen bestimmen, die noch nie im Internet waren, die von westlicher Demokratie keine Vorstellung haben und die auf ihren Imam mehr hören als auf alles, was demokratische Politiker ihnen in einem eventuellen freien Wahlkampf im TV sagen?



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.