Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg. Nichts führt aber auch so schnell zu immer neuem Mißerfolg wie eine Serie von Mißerfolgen. Die FDP hat das in den vergangenen zwei Jahren erlebt. Anfang 2009 begann ein in der Geschichte dieser Partei beispielloser Höhenflug. Jetzt ist sie im freien Fall, und jeder Mißerfolg gebiert den nächsten.
In der aktuellen Quartalsumfrage für den "Spiegel" (1/2011 vom 3. 1. 2011, S. 12f) ist Guido Westerwelle der am wenigsten beliebte von 20 Politikern, fünf Plätze hinter Gregor Gysi. Der Partei geben die meisten Umfragen gerade noch fünf Prozent.
Auf dem Dreikönigstreffen der FDP, das morgen Abend mit dem "Dreikönigsball" eröffnet werden wird, dürfte viel von diesem demoskopischen Niedergang der Partei und ihres Vorsitzenden die Rede sein. Man sollte aber auch fragen, wie es eigentlich zum Aufstieg der FDP im Wahljahr 2009 gekommen war, der ihr am 27. September 2009 das herausragende Ergebnis von 14,6 Prozent bescherte.
Man hat darin oft ein Erstarken des Liberalismus gesehen, das Erschließen neuer Wählerschichten.
Detmar Döring, der Leiter des Liberalen Instituts der Friedrich-Naumann-Stiftung, konstatierte in einer Analyse zwei Wochen nach der Bundestagswahl ein "neues Freiheitsverständnis", das "Liberalität mit Reife verbindet" und als dessen Träger er die "nun selbstbewusstere 'gesellschaftliche Mitte'" der Leistungsträger ausmachte. Ich habe das damals zitiert und zustimmend kommentiert ("Gesellschaftliche Mitte" vs. "linke Bürgerlichkeit". Die Chance der FDP; ZR vom 11. 10. 2009).
Wo ist sie jetzt hin, diese gesellschaftliche Mitte der Leistungsträger? Hat sie sich aufgelöst? Hat sie der FDP den Rücken gekehrt? Aber warum hatte sie sich überhaupt ihr zugewandt?
Wie jedes Wahlergebnis hat er natürlich auch das vom 27. September 2009 viele Ursachen. Und wie bei jedem Wahlergebnis lassen sich diese nicht vollständig aufklären. Man ist immer auf Vermutungen angewiesen, auf das, was im Englischen educated guessing genannt wird; ein Raten mit guten Gründen, frei übersetzt. Ein Raten, das in Daten verankert ist, soweit man solche hat.
Und da gibt es nun ein Datum des Jahres 2009; ein Datum im doppelten Wortsinn: Ein Datum als eine empirische Gegebenheit; im Sinn des Singulars von "Daten". Ein Datum aber auch als ein bestimmter Zeitpunkt.
Sehen Sie sich bitte einmal diese Grafik an, die man auf der WebSite "Sonntagsfrage aktuell" findet. Sie zeigt die aggregierten (aus den Ergebnissen der verschiedenen Institute zusammenfassend ermittelten) Ergebnisse zur "Sonntagsfrage" zwischen den Bundestagswahlen von 2005 und 2009. Die gelbe Kurve steht für die FDP.
Für den größten Teil dieser vier Jahre lag die FDP in der Gegend von zehn Prozent; manchmal ein wenig darunter, oft leicht darüber. In der zweiten Hälfte 2006, als die Große Koalition erheblich schwächelte, hatte es einen vorübergehenden Aufschwung gegeben, mit dem es aber bald wieder vorbei gewesen war.
Und dann passierte etwas Seltsames: Ende Januar 2009 schossen die Umfragewerte für die FDP plötzlich nach oben; bis deutlich über 15 Prozent. Was war da passiert?
Passiert war, daß nach einem Jahr eines quälenden, würdelosen und intrigenreichen Koalitionsgeschachers die Hessen erneut zur Wahl gegangen waren. Diese Wahlen bescherten der FDP einen triumphalen Erfolg. Sie erreichte 16,2 Prozent; fast sieben Prozentpunkte mehr als ein Jahr zuvor.
Das war der Lohn dafür, daß sie unter ihrem Vorsitzenden Jörg-Uwe Hahn sich als einzige Partei keinen Augenblick an dem Geschacher beteiligt gehabt hatte. Hahn hatte vor den Wahlen 2008 erklärt, daß die FDP nur mit der CDU koalieren und daß sie in die Opposition gehen werde, falls es dazu nicht reichen sollte. Dabei blieb die Partei auch nach den Wahlen. Alle Avancen der Rotgrünen hatte Hahn souverän abgewiesen.
Unmittelbar nach diesem hessischen Wahlerfolg vom 18. Januar 2009 begann der demoskopische Höhenflug der FDP auf Bundesebene. Es ist eben nichts so erfolgreich wie der Erfolg. Die FDP war nach dem Triumph in Hessen die Partei der Stunde.
Wie gesagt: Für ein Wahlergebnis sind immer viele Faktoren verantwortlich. Natürlich wäre es falsch, das Ergebnis vom 27. September zur Gänze dem Erfolg vom 18. Januar zuzuschreiben. Aber dieser war die Initialzündung. Er eröffnete eine Chance.
Die FDP hat diese Chance genutzt. Sie konnte dank eines ausgezeichneten Wahlkampfs die Stimmung zu ihren Gunsten bis zum Wahltag aufrechterhalten (siehe zu diesem Wahlkampf Guido Westerwelle in Hannover; ZR vom 15. 5. 2009).
Freilich hat ein so plakativ, so im Grundsätzlichen geführter Wahlkampf, wie ihn Westerwelle führte, seinen Pferdefuß: Wer klare Ziele definiert und sich dazu verpflichtet, sie auch zu erreichen, der steht nicht gut da, wenn er sie später nicht erreichen kann. Je deutlicher man mit seinen Aussagen im Wahlkampf gewesen war, umso beharrlicher muß man dann beim Regieren sein. Sonst fühlt der Wähler sich hintergangen.
Das passierte der FDP. Sie versprach zum Beispiel Steuersenkungen, die sie in der Regierung nicht durchsetzen konnte und offenbar auch gar nicht wirklich hatte durchsetzen wollen; denn dann hätte sie unbedingt das Finanzressort für sich beanspruchen müssen (siehe Barack Westerwelle und der Niedergang der FDP; ZR vom 23. 12. 2010). Man spekulierte wohl auf die Vergeßlichkeit des Wählers; oder auch seine Duldsamkeit.
Das Ergebnis war jenes heutige Bild von der Bundes-FDP, das so etwas wie ein Negativ des Bildes ist, das die hessische FDP unter Jörg-Uwe Hahn bot und auch weiter bietet: Nicht beständig und verläßlich, sondern schwankend wie ein Rohr im Winde. Nicht prinzipientreu; saft- und kraftlos.
Auf der personellen Ebene korrespondiert dem das Verhalten des Vorsitzenden Westerwelle und seines Stellvertreters Andreas Pinkwart im Jahr 2010.
In den ersten Monaten gab sich Westerwelle ganz als der frischgebackene Staatsmann; und er machte dabei zunächst sogar eine bemerkenswert gute Figur (siehe "Er hat keinen einzigen Fehler gemacht"; ZR vom 6. 11. 2009).
Als aber die Umfragewerte zu sinken begannen und die Wahlen in NRW näher rückten, verließ Westerwelle abrupt diese Rolle und gab sich plötzlich als schrill tönendender Gesellschaftspolitiker. Das brachte gar nichts ein, außer hämischen Kommentaren in den linken Medien.
Den zurückhaltenden Staatsmann aber nahm danach niemand mehr Westerwelle ab (siehe Westerwelles riskante Taktik; ZR vom 16. 2. 2010). Er hatte sich aufgeführt wie ein Schauspieler, der heute Nathan den Weisen verkörpert und morgen den Tartuffe spielt. Ein Mime darf und soll das; für einen Politiker ist es tödlich.
Und als wenn Westerwelles Unbeständigkeit nicht genügt hätte, setzte nach den NRW-Wahlen im Mai Andreas Pinkwart noch einen drauf. In derselben Situation, in der Jörg-Uwe Hahn in Hessen verläßlich und vertrauenswürdig geblieben war, veranstaltete Pinkwart in der Koalitionsfrage ein "Rin in die Kartoffeln - raus aus die Kartoffeln", das ihn und die von ihm geführte FDP nicht nur prinzipienlos erscheinen ließ, sondern sie nachgerade lächerlich machte.
Ich habe dieses unwürdige Spiel damals mit etlichen Kommentaren begleitet und möchte nur aus einem der letzten zitieren (Ende eines Dienstwagens. Die verlorene Reputation des Andreas Pinkwart; ZR vom 11. 6. 2010):
Innerhalb und außerhalb der Partei ist derzeit viel davon die Rede, die FDP müsse, um aus dem Tal der Tränen herauszukommen, ihr "programmatisches Profil schärfen" oder dergleichen. Ich halte davon nichts.
Den Wähler interessieren nicht Programme, die er ohnehin in der Regel nicht liest. Ihm sagt eine Partei dann zu, wenn sie klare Aussagen über ihre konkreten, praktischen politischen Absichten macht und wenn sie diese dann auch einhält. Er will - zumal der aufgeklärte, der rationale Wähler der FDP - eine Partei, wie sie Jörg-Uwe Hahn repräsentiert; nicht eine Partei unsolider Leichtmatrosen und Pinkwarte.
Programmdiskussionen sind etwas für die Parteimitglieder selbst; da werden Pflöcke eingeschlagen und Terrains erobert oder verloren. Für die Außenwirkung sind sie weitgehend belanglos. Die Vorstellung, daß die FDP ihr verlorenes Ansehen bei den Wählern ausgerechnet dadurch wiederherstellen kann, daß sie ihnen mit einer Programmdiskussion kommt, ist realitätsfern und geradezu erheiternd.
Nun hat sich die FDP allerdings darauf festgelegt, ein neues Grundsatzprogramm zu beschließen; insofern ist eine Programmdiskussion unvermeidlich.
Aber auf das Ansehen der Partei bei vielen Wählern dürfte sie sich eher negativ als förderlich auswirken. Denn es zeichnet sich bereits ab, wie unterschiedlich die Positionen sind; wie auch heute noch die verschiedenen Strömungen miteinander im Streit liegen, die ja im Kaiserreich und in der Weimarer Republik in getrennten liberalen Parteien organisiert gewesen waren.
Es wird schwierig werden, die FDP in dieser Diskussion nicht als zerstritten erscheinen zu lassen. Schon die jetzt kursierenden Papiere geben einen Begriff davon, wie verschieden die Vorstellungen von Liberalismus innerhalb der Partei sind. Ich habe auf drei davon in den vergangenen Monaten aufmerksam gemacht ("Die individuelle Freiheit nach vorn stellen"; ZR vom 20. 9. 2010; Fünf FDP-Politiker stoßen eine überfällige Debatte an; ZR vom 14. 12. 2010, und jetzt als kleines Quiz Welche Partei ist das?; ZR vom 3. 1. 2011).
Nein, die FDP muß nicht ihr liberales Profil schärfen. Sie muß ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen. Ob sie dazu einen neuen Vorsitzenden braucht, weiß ich nicht. Wenn man denn aber schon meint, man müsse Westerwelle loswerden, dann würde ich weder für den jugendlichen Nachwuchsmann Christian Lindner plädieren, noch für den Bonvivant aus dem schönen Weinland Rheinland-Pfalz, sondern für Jörg-Uwe Hahn.
Nachtrag: Inzwischen ist beim Antibürokratieteam eine ausgezeichnete Analyse zum selben Thema von Dagny T. erschienen, deren Lektüre ich empfehle.
In der aktuellen Quartalsumfrage für den "Spiegel" (1/2011 vom 3. 1. 2011, S. 12f) ist Guido Westerwelle der am wenigsten beliebte von 20 Politikern, fünf Plätze hinter Gregor Gysi. Der Partei geben die meisten Umfragen gerade noch fünf Prozent.
Auf dem Dreikönigstreffen der FDP, das morgen Abend mit dem "Dreikönigsball" eröffnet werden wird, dürfte viel von diesem demoskopischen Niedergang der Partei und ihres Vorsitzenden die Rede sein. Man sollte aber auch fragen, wie es eigentlich zum Aufstieg der FDP im Wahljahr 2009 gekommen war, der ihr am 27. September 2009 das herausragende Ergebnis von 14,6 Prozent bescherte.
Man hat darin oft ein Erstarken des Liberalismus gesehen, das Erschließen neuer Wählerschichten.
Detmar Döring, der Leiter des Liberalen Instituts der Friedrich-Naumann-Stiftung, konstatierte in einer Analyse zwei Wochen nach der Bundestagswahl ein "neues Freiheitsverständnis", das "Liberalität mit Reife verbindet" und als dessen Träger er die "nun selbstbewusstere 'gesellschaftliche Mitte'" der Leistungsträger ausmachte. Ich habe das damals zitiert und zustimmend kommentiert ("Gesellschaftliche Mitte" vs. "linke Bürgerlichkeit". Die Chance der FDP; ZR vom 11. 10. 2009).
Wo ist sie jetzt hin, diese gesellschaftliche Mitte der Leistungsträger? Hat sie sich aufgelöst? Hat sie der FDP den Rücken gekehrt? Aber warum hatte sie sich überhaupt ihr zugewandt?
Wie jedes Wahlergebnis hat er natürlich auch das vom 27. September 2009 viele Ursachen. Und wie bei jedem Wahlergebnis lassen sich diese nicht vollständig aufklären. Man ist immer auf Vermutungen angewiesen, auf das, was im Englischen educated guessing genannt wird; ein Raten mit guten Gründen, frei übersetzt. Ein Raten, das in Daten verankert ist, soweit man solche hat.
Und da gibt es nun ein Datum des Jahres 2009; ein Datum im doppelten Wortsinn: Ein Datum als eine empirische Gegebenheit; im Sinn des Singulars von "Daten". Ein Datum aber auch als ein bestimmter Zeitpunkt.
Sehen Sie sich bitte einmal diese Grafik an, die man auf der WebSite "Sonntagsfrage aktuell" findet. Sie zeigt die aggregierten (aus den Ergebnissen der verschiedenen Institute zusammenfassend ermittelten) Ergebnisse zur "Sonntagsfrage" zwischen den Bundestagswahlen von 2005 und 2009. Die gelbe Kurve steht für die FDP.
Für den größten Teil dieser vier Jahre lag die FDP in der Gegend von zehn Prozent; manchmal ein wenig darunter, oft leicht darüber. In der zweiten Hälfte 2006, als die Große Koalition erheblich schwächelte, hatte es einen vorübergehenden Aufschwung gegeben, mit dem es aber bald wieder vorbei gewesen war.
Und dann passierte etwas Seltsames: Ende Januar 2009 schossen die Umfragewerte für die FDP plötzlich nach oben; bis deutlich über 15 Prozent. Was war da passiert?
Passiert war, daß nach einem Jahr eines quälenden, würdelosen und intrigenreichen Koalitionsgeschachers die Hessen erneut zur Wahl gegangen waren. Diese Wahlen bescherten der FDP einen triumphalen Erfolg. Sie erreichte 16,2 Prozent; fast sieben Prozentpunkte mehr als ein Jahr zuvor.
Das war der Lohn dafür, daß sie unter ihrem Vorsitzenden Jörg-Uwe Hahn sich als einzige Partei keinen Augenblick an dem Geschacher beteiligt gehabt hatte. Hahn hatte vor den Wahlen 2008 erklärt, daß die FDP nur mit der CDU koalieren und daß sie in die Opposition gehen werde, falls es dazu nicht reichen sollte. Dabei blieb die Partei auch nach den Wahlen. Alle Avancen der Rotgrünen hatte Hahn souverän abgewiesen.
Unmittelbar nach diesem hessischen Wahlerfolg vom 18. Januar 2009 begann der demoskopische Höhenflug der FDP auf Bundesebene. Es ist eben nichts so erfolgreich wie der Erfolg. Die FDP war nach dem Triumph in Hessen die Partei der Stunde.
Wie gesagt: Für ein Wahlergebnis sind immer viele Faktoren verantwortlich. Natürlich wäre es falsch, das Ergebnis vom 27. September zur Gänze dem Erfolg vom 18. Januar zuzuschreiben. Aber dieser war die Initialzündung. Er eröffnete eine Chance.
Die FDP hat diese Chance genutzt. Sie konnte dank eines ausgezeichneten Wahlkampfs die Stimmung zu ihren Gunsten bis zum Wahltag aufrechterhalten (siehe zu diesem Wahlkampf Guido Westerwelle in Hannover; ZR vom 15. 5. 2009).
Freilich hat ein so plakativ, so im Grundsätzlichen geführter Wahlkampf, wie ihn Westerwelle führte, seinen Pferdefuß: Wer klare Ziele definiert und sich dazu verpflichtet, sie auch zu erreichen, der steht nicht gut da, wenn er sie später nicht erreichen kann. Je deutlicher man mit seinen Aussagen im Wahlkampf gewesen war, umso beharrlicher muß man dann beim Regieren sein. Sonst fühlt der Wähler sich hintergangen.
Das passierte der FDP. Sie versprach zum Beispiel Steuersenkungen, die sie in der Regierung nicht durchsetzen konnte und offenbar auch gar nicht wirklich hatte durchsetzen wollen; denn dann hätte sie unbedingt das Finanzressort für sich beanspruchen müssen (siehe Barack Westerwelle und der Niedergang der FDP; ZR vom 23. 12. 2010). Man spekulierte wohl auf die Vergeßlichkeit des Wählers; oder auch seine Duldsamkeit.
Das Ergebnis war jenes heutige Bild von der Bundes-FDP, das so etwas wie ein Negativ des Bildes ist, das die hessische FDP unter Jörg-Uwe Hahn bot und auch weiter bietet: Nicht beständig und verläßlich, sondern schwankend wie ein Rohr im Winde. Nicht prinzipientreu; saft- und kraftlos.
Auf der personellen Ebene korrespondiert dem das Verhalten des Vorsitzenden Westerwelle und seines Stellvertreters Andreas Pinkwart im Jahr 2010.
In den ersten Monaten gab sich Westerwelle ganz als der frischgebackene Staatsmann; und er machte dabei zunächst sogar eine bemerkenswert gute Figur (siehe "Er hat keinen einzigen Fehler gemacht"; ZR vom 6. 11. 2009).
Als aber die Umfragewerte zu sinken begannen und die Wahlen in NRW näher rückten, verließ Westerwelle abrupt diese Rolle und gab sich plötzlich als schrill tönendender Gesellschaftspolitiker. Das brachte gar nichts ein, außer hämischen Kommentaren in den linken Medien.
Den zurückhaltenden Staatsmann aber nahm danach niemand mehr Westerwelle ab (siehe Westerwelles riskante Taktik; ZR vom 16. 2. 2010). Er hatte sich aufgeführt wie ein Schauspieler, der heute Nathan den Weisen verkörpert und morgen den Tartuffe spielt. Ein Mime darf und soll das; für einen Politiker ist es tödlich.
Und als wenn Westerwelles Unbeständigkeit nicht genügt hätte, setzte nach den NRW-Wahlen im Mai Andreas Pinkwart noch einen drauf. In derselben Situation, in der Jörg-Uwe Hahn in Hessen verläßlich und vertrauenswürdig geblieben war, veranstaltete Pinkwart in der Koalitionsfrage ein "Rin in die Kartoffeln - raus aus die Kartoffeln", das ihn und die von ihm geführte FDP nicht nur prinzipienlos erscheinen ließ, sondern sie nachgerade lächerlich machte.
Ich habe dieses unwürdige Spiel damals mit etlichen Kommentaren begleitet und möchte nur aus einem der letzten zitieren (Ende eines Dienstwagens. Die verlorene Reputation des Andreas Pinkwart; ZR vom 11. 6. 2010):
Nun wird er seinen Dienstwagen los werden, der Andreas Pinkwart. Er hat für den Versuch, sein Portefeuille zu retten, den Preis gezahlt, daß die FDP in NRW Vertrauen und Achtung verloren hat; und zwar in einem Maß, das sie sehr schnell unter die Fünf-Prozent-Grenze bringen könnte.So ist es leider gekommen. Die FDP liegt in NRW jetzt bei drei bis vier Prozent.
Innerhalb und außerhalb der Partei ist derzeit viel davon die Rede, die FDP müsse, um aus dem Tal der Tränen herauszukommen, ihr "programmatisches Profil schärfen" oder dergleichen. Ich halte davon nichts.
Den Wähler interessieren nicht Programme, die er ohnehin in der Regel nicht liest. Ihm sagt eine Partei dann zu, wenn sie klare Aussagen über ihre konkreten, praktischen politischen Absichten macht und wenn sie diese dann auch einhält. Er will - zumal der aufgeklärte, der rationale Wähler der FDP - eine Partei, wie sie Jörg-Uwe Hahn repräsentiert; nicht eine Partei unsolider Leichtmatrosen und Pinkwarte.
Programmdiskussionen sind etwas für die Parteimitglieder selbst; da werden Pflöcke eingeschlagen und Terrains erobert oder verloren. Für die Außenwirkung sind sie weitgehend belanglos. Die Vorstellung, daß die FDP ihr verlorenes Ansehen bei den Wählern ausgerechnet dadurch wiederherstellen kann, daß sie ihnen mit einer Programmdiskussion kommt, ist realitätsfern und geradezu erheiternd.
Nun hat sich die FDP allerdings darauf festgelegt, ein neues Grundsatzprogramm zu beschließen; insofern ist eine Programmdiskussion unvermeidlich.
Aber auf das Ansehen der Partei bei vielen Wählern dürfte sie sich eher negativ als förderlich auswirken. Denn es zeichnet sich bereits ab, wie unterschiedlich die Positionen sind; wie auch heute noch die verschiedenen Strömungen miteinander im Streit liegen, die ja im Kaiserreich und in der Weimarer Republik in getrennten liberalen Parteien organisiert gewesen waren.
Es wird schwierig werden, die FDP in dieser Diskussion nicht als zerstritten erscheinen zu lassen. Schon die jetzt kursierenden Papiere geben einen Begriff davon, wie verschieden die Vorstellungen von Liberalismus innerhalb der Partei sind. Ich habe auf drei davon in den vergangenen Monaten aufmerksam gemacht ("Die individuelle Freiheit nach vorn stellen"; ZR vom 20. 9. 2010; Fünf FDP-Politiker stoßen eine überfällige Debatte an; ZR vom 14. 12. 2010, und jetzt als kleines Quiz Welche Partei ist das?; ZR vom 3. 1. 2011).
Nein, die FDP muß nicht ihr liberales Profil schärfen. Sie muß ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen. Ob sie dazu einen neuen Vorsitzenden braucht, weiß ich nicht. Wenn man denn aber schon meint, man müsse Westerwelle loswerden, dann würde ich weder für den jugendlichen Nachwuchsmann Christian Lindner plädieren, noch für den Bonvivant aus dem schönen Weinland Rheinland-Pfalz, sondern für Jörg-Uwe Hahn.
Nachtrag: Inzwischen ist beim Antibürokratieteam eine ausgezeichnete Analyse zum selben Thema von Dagny T. erschienen, deren Lektüre ich empfehle.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Jörg-Uwe Hahn im Januar 2009. Vom Autor Cgaa freigegeben (Freie Wikipedia-Lizenz); bearbeitet.