3. Januar 2011

Marginalie: Wer wird wie oft zu Talkshows eingeladen? Zum Thema Ausgewogenheit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen

Haben Sie auch den Eindruck, die Gesichter linker Politiker auffällig oft in den Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu sehen?

Ich hatte und habe dieses Gefühl, aber es war bisher eben nur ein Gefühl. Mir kam es so vor, als hätte ich in solchen Sendungen Renate Künasts verkniffenes Gesicht besonders oft gesehen, das blasierte des SPD-Gesundheitsgurus Karl Lauterbach mit der Fliege darunter; natürlich auch das überlegen-ironische Dauerlächeln Gregor Gysis. Öfter jedenfalls als die Gesichter beispielsweise von Politikern der Union und der FDP.

Andererseits aber: Bekanntlich ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur Ausgewogenheit verpflichtet. Der Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (RStV) bestimmt in seinem Paragraphen 11, Absatz 2, bündig:
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.
Konnte also mein subjektiver Eindruck stimmen, linke Politstars kämen in diesen Sendungen besonders oft zu Wort?

Er stimmt. Er stimmt leider; und zwar in einem Ausmaß, das ich mir nicht vorgestellt hatte. Das ich mir nicht vorgestellt hatte, bis ich gestern auf eine Untersuchtung in Vonhaeftens Blog aufmerksam wurde.

Ausgewertet wurden dort sämtliche Sendungen der öffentlich-rechtlichen Talkshows "Anne Will", "Hart aber fair" und "Menschen bei Maischberger" (ARD) sowie "Maybritt Illner" (ZDF); insgesamt 340 Sendungen; und zwar unter anderem danach, welche Gäste besonders häufig eingeladen wurden.

Hier ist das Ranking der Gäste, die mehr als zehn Mal in diesen Sendungen auftraten; in Klammern die Zahl der Einladungen:
  • Karl Lauterbach (16, SPD-Politiker)
  • Gregor Gysi (16, Politiker der Partei "Die Linke")
  • Hans-Olaf Henkel (15, Ex-BDI-Präsident, parteilos)
  • Renate Künast (14, Politikerin der Grünen)
  • Heiner Geißler (13, früherer Politiker der CDU)
  • Hans-Ulrich Jörges (12, Journalist, parteilos)
  • Oskar Lafontaine (11, Politiker der Partei "Die Linke")
  • Arnulf Baring (11, Politologe, parteilos; früher SPD)
  • Sahra Wagenknecht (10, Politikerin der Partei "Die Linke")
  • Jürgen Trittin (10, Politiker der Grünen)
  • Bärbel Höhn (10, Politikerin der Grünen)
  • Klaus Wowereit (10, Politiker der SPD)
  • Acht der zwölf Talkshow-Stars sind also aktive Politiker, davon zwei Sozialdemokraten (Lauterbach und Wowereit), drei Kommunisten (Gysi, Lafontaine und Wagenknecht) und drei Grüne (Künast, Trittin und Höhn). Kein Christdemokrat, kein Christlich-Sozialer, kein FDP-Politiker.

    Von den vier anderen ist einer - Geißler - ein ehemaliger CDU-Politiker, der inzwischen so links-grün ist, daß er Mitglied der Organisation Attac wurde. Einer - Jörges - ist ein Journalist, den man als links wird bezeichnen können. Der einzige Wissenschaftler, Baring, war bis 1983 Mitglied der SPD, vertritt jetzt aber liberalkonservative Positionen. Das Letztere gilt auch für den einzigen Mann aus der Wirtschaft, Hans-Olaf Henkel.

    So sieht sie aus, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesetzlich vorgeschriebenen Ausgewogenheit: Zwei Drittel der Talkshow-Stars sind aktive Politiker, und sie kommen ausschließlich aus den linken Parteien. Ein Drittel sind das nicht; davon stehen zwei (Jörges und Geißler) linksgrünen Positionen nahe. Nur zwei der zwölf Stars vertreten mit ihrer politischen Position die andere Hälfte der deutschen Wähler; die liberalen, die christlichen, die konservativen Bürger unseres Landes.



    Man kann einwenden, die Verteilung könne bei der Gesamtheit der Gäste (insgesamt erfaßt die Auszählung Vonhaefens 1035 eingeladene Teilnehmer) ausgewogener sein als bei den Stars.

    Das ist durchaus möglich; vielleicht sogar wahrscheinlich. Denn solche Shows leben ja von der Kontroverse. Also muß den linken Stars jemand gegenübergestellt werden. Was sich dem Publikum aber einprägt, das sind natürlich die Stars und ihre Argumente. Sie vor allem wirken meinungsbildend. Wer ihre Sparringpartner waren und was diese sagten, ist schnell wieder vergessen.

    Zweitens könnte man zu bedenken geben, daß die Wahl der Redaktionen nicht etwa mit einer politischen Einseitigkeit zu tun hätte, sondern journalistisch begründet sei. Man suche sich nun einmal diejenigen Gäste aus, die eine Talkshow beleben, die somit Quote bringen

    Dieses Argument ist erkennbar falsch. Sahra Wagenknecht gehört zu den drögsten, sprachlich unbeholfensten Gästen in solchen Sendungen. Auch Renate Künast ist nicht gerade ein rhetorisches Naturtalent. Karl Lauterbach ist mit seinem eintönigen rheinischen Singsang und seiner starren Mimik nachgerade ein Anti-Showstar.

    Andererseits gibt es ja auch im liberalen Lager und dem der Union genug Politiker, die rhetorisch zu glänzen wissen; Guido Westerwelle etwa, Markus Söder, Ursula von der Leyen. Die Redaktionen haben sie in der Spitzengruppe gleichwohl nicht berücksichtigt. Sie haben offenkundig nicht journalistisch entschieden, sondern parteipolitisch.



    1965 schrieb der Journalist Paul Sethe, Pressefreiheit sei "die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten".

    Lang ist's her. Kein Reicher verbreitete heute mehr seine Meinung mittels der Presse; jedenfalls nicht in Deutschland. Die großen knorrigen Verleger und Herausgeber, die wie einst Axel Springer, Rudolf Augstein und Gerd Bucerius die "Linie des Blattes" bestimmten, gibt es schon lange nicht mehr. Erst recht hat die Macht über die Rundfunkanstalten nichts mit Reichtum zu tun.

    Ihre Meinung verbreiten jetzt diejenigen, die mittels ihrer jeweiligen Seilschaften an die Schaltstellen der Medien gelangt sind. Sie gehören in ihrer Mehrheit spätestens seit Studententagen zum rotgrünen Milieu. Nicht wenige haben ihre Karriere bei der taz begonnen und dort gelernt, Journalismus als Agitation zu betreiben; den Adressaten Meinungen zu verkaufen und nicht Fakten.

    Da niemand sie daran hindert, verbreiten sie in den öffentlich-rechtlichen Medien, zunehmend auch in den privaten, ihre grüne, ihre linkssozialistisch-kommunistische, in geringerem Umfang auch eine sozialdemokratische Weltsicht.

    Sie tun das durch ihre Kommentare; sie tun es durch tendenziöse Berichterstattung (der Fall Sarrazin ist ein drastisches Beispiel; siehe Sarrazin und die Folgen; ZR vom 6. 9. 2010). Und sie tun es durch die Entscheidung darüber, wer die Stars der politischen Talkshows sein dürfen.



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