28. Januar 2011

Aufruhr in Arabien (2): "Mubaraks Spiel ist aus". Aber ist es das? Er ist kein Ben Ali

"Mubarak's game is over"; Mubaraks Spiel sei aus, hat ein Journalist von Al Jazeera heute Abend gesagt.

Die Berichterstattung sowohl von Al Jazeera als auch von CNN und der BBC, die ich seit dem späten Nachmittag verfolge, ließ das in der Tat als wahrscheinlich erscheinen. Es häuften sich die Indizien dafür, daß Mubarak die Macht verlieren würde:
  • Es herrscht offener Aufruhr. Auch noch am späten Abend brannten Gebäude (unter anderem Polizeistationen und die Zentrale der Staatspartei NDP); und es wurden Polizeiwagen angegriffen, angezündet, umgestürzt.

  • Das Militär ist offenbar jedenfalls in Teilen nicht mehr bereit, Mubarak zu unterstützen. Man sah Bilder von Militärfahrzeugen, aus denen die Soldaten den Demonstranten zuwinkten. Die Armee besteht zum größten Teil aus Wehrpflichtigen; mit ihnen wird sich das Regime nach Ansicht von Journalisten nicht stützen lassen.

  • Gegen 22.00 Uhr MEZ fuhren in der Nähe der NDP-Zentrale (wo Al Jazeera eine Kamera postiert hat) Schützenpanzer in einem langen Konvoi auf. Sie wurden von den Demonstranten beklatscht. Löschfahrzeuge waren im Einsatz; vermutlich, um ein Übergreifen der Brände auf das nahegelegene Nationalmuseum zu verhindern.

  • Ab ungefähr 15.00 Uhr Washingtoner Zeit (also 21.00 Uhr MEZ) übertrug CNN eine Pressekonferenz des (noch amtierenden, jetzt ausscheidenden) Sprechers des Weißen Hauses Robert Gibbs, der keine Unterstützung für Mubarak mehr erkennen ließ. Nein, Präsident Obama hätte seit Beginn der Straßenproteste nicht mit Mubarak telefoniert. Warum nicht? "We're monitoring a very fluid situation" - wir beobachten eine sehr instabile Situation.
  • In einem Interview von heute Abend sagte der Leiter von Stratfor, George Friedman:
    Well, certainly, Mubarak is coming to the end of his days. And it’s not yet clear what, if anything, it is going to do to the Middle East. (...)

    ... of course the Western media is immediately assuming that these are democratic reformers out there because they talk to the ones who speak English and they tend to be democratic reformers. We don’t know what the Muslim Brotherhood is doing, or capable of doing. So we don’t know if we’re going to get a military coup to replace Mubarak, we don’t know if we’re going to get a Islamic government, or if we’re simply going to have a succession, fairly orderly, when he passes on or even before then.

    Nun, mit Sicherheit geht Mubarak dem Ende seiner Tage entgegen. Und es ist noch nicht klar, ob das etwas mit dem Nahen Osten machen wird, oder was es machen wird. (...)

    ... natürlich nehmen die westlichen Medien sofort an, daß dies da draußen demokratische Reformer sind, weil sie mit denjenigen reden, die Englisch sprechen, und diese sind eher demokratische Reformer. Wir wissen nicht, was die Moslem-Bruderschaft macht oder wozu sie fähig ist. So wissen wir nicht, ob wir einen Militärputsch bekommen, durch den Mubarak abgelöst wird, wir wissen nicht, ob wir eine islamistische Regierung bekommen oder ob wir einfach eine vergleichsweise geordnete Ablösung haben, wenn er aus dem Leben scheidet oder vielleicht schon früher.




    Mit fast denselben Worten, wie jetzt Friedman die Lage in Ägypten beurteilt, habe ich am Montag die unsichere Situation in Tunesien beschrieben. Der Artikel (ZR vom 24. 1. 2011) hieß: Die tunesische Revolution (1): Ankündigung einer Serie. Darin stand auch:
    Was auch immer sich am Ende als der stabile Zustand erweisen wird, der aus der jetzigen Instabilität hervorgeht: Dieses Ergebnis der tunesischen Revolution wird weitreichende Auswirkungen auf die arabische Welt haben; also auf den gesamten Nahen Osten und damit auf die Weltpolitik.
    Daß sich das so schnell bestätigen würde, hatte ich allerdings nicht erwartet.

    Eine Serie nur über die tunesische Revolution macht jetzt keinen Sinn mehr. Ich habe den Titel deshalb geändert. Die Serie heißt jetzt "Aufruhr in Arabien"; und bei der ersten Folge vom Montag kommt die tunesische Revolution im umformulierten Titel nun erst nach dem Doppelpunkt.



    Überraschend ist Präsident Mubarak kurz nach 23.00 Uhr MEZ (also nach Mitternacht Kairoer Zeit!) im Fernsehen aufgetreten. Die Rede war für den Nachmittag angekündigt gewesen. Als sie ausblieb, rechneten Kommentatoren schon damit, daß Mubarak aufgegeben hatte; er schien verschollen zu sein.

    Nun hat er sich müde, aber kämpferisch seinem Volk gezeigt. Er hat mehr Demokratie versprochen, soziale Reformen, wirtschaftlichen Fortschritt. Am Ende der Rede kündigte er an, daß er die Regierung entlassen und eine neue Regierung berufen werde.

    Ein letzter, verzweifelter Versuch vor dem Ende, oder eine Wendung der Dinge in letzter Minute? Ein wenig hat mich das an de Gaulle im Mai 1968 erinnert, der ebenfalls verschwunden war (er hatte sich unter den Schutz französischer Truppen in Baden-Baden begeben), dann mit einer entschlossenen Rede auftrat und am Ende siegte, weil es ihm gelang, die schweigende Mehrheit zu mobilisieren. Auch was die Ägypter in ihrer Mehrheit denken, wissen wir ja nicht. Es kann, aber es muß nicht mit dem übereinstimmen, was die heutigen Bilder aus Kairo, Alexandrien und anderen Städten signalisiert haben.



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Großmoschee von Kairouan, Tunesien. Vom Autor Wotan unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0-Lizenz freigegeben. Bearbeitet. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier.