17. Januar 2011

Marginalie: Lötzsch bei Illner, Lafontaine bei Will. Deutschland diskutiert wieder über den Kommunismus. Anmerkungen zum Kampf um Aufmerksamkeit

Jeder, der etwas von Werbung versteht, ob kommerziell oder in der Politik, kennt die Bedeutung der Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit auf ein Thema zu lenken, auf ein Produkt - das ist das A und O. Deshalb diese vor Aufgeregtheit fast überschnappenden Stimmen im Werbe-TV, deshalb die Piepser in den Spots, die Aufmerksamkeit erzwingen sollen. Deshalb auch die "Reizthemen", mit denen Politiker hantieren.

Je mehr wir von wuchernden Informationen umgeben sind, je vielfältiger das Warenangebot wird, umso härter wird die Konkurrenz um unsere Aufmerksamkeit. Sie ist sozusagen das neue knappe Gut. Überhaupt beachtet zu werden ist ein Wert an sich.



Als Gesine Lötzsch mit der bisherigen Politik der deutschen Kommunisten seit der Wiedervereinigung brach und in ihrem Artikel in der "Jungen Welt" die Katze aus dem Sack ließ (siehe Gesine Lötzsch, Vorsitzende der Partei "Die Linke", über die Wege zum Kommunismus; ZR vom 4. Januar 2011 sowie die beiden Anschlußartikel), da habe ich mich - wie vermutlich viele - gefragt: War das jetzt eine Panne, oder war es ein überlegter taktischer Schachzug?

Hat Gesine Lötzsch die Kaderlinie ihrer Partei, die normalerweise - der Name sagt es - nur den eingeweihten Kadern mitgeteilt wird, versehentlich an die Öffentlichkeit getragen; vielleicht in der Erwartung, ein Artikel in der linksextremen Zeitung "Junge Welt" werde nur diese Adressaten erreichen und ansonsten unbeachtet bleiben? Oder wurde da mit Überlegung ein Stein ins Wasser geworfen, damit er Kreise zieht?

Was das Motiv der Vorsitzenden Lötzsch angeht, vermag ich das immer noch nicht zu sagen. Jedenfalls war ihr Text nicht so nebenher entstanden, sondern sie hatte sich auf einen Entwurf gestützt, den sie bei dem einstigen Dozenten für Historischen Materialismus in Ostberlin und IM des MfS, dem jetzigen Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der "Rosa-Luxemburg-Stiftung" Michael Brie bestellt hatte.

Das war also schon wohlüberlegt. Und was auch immer Gesine Lötzsch sich von ihm versprochen hatte - im Rückblick war ihr Artikel ein Volltreffer. Denn seither redet das politisch interessierte Deutschland über den Kommunismus. In der Konkurrenz um unsere Aufmerksamkeit hat man gepunktet.

Die aktuellen Sendungen sowohl von Maybrit Illner also auch gestern von Anne Will waren dem Thema "Kommunismus" gewidmet.

Gewiß wurde dort und wird auch anderswo nicht nur - wird nicht einmal überwiegend - freundlich über den Kommunismus geredet. Möglicherweise aufgrund dieser Diskussion sind die Umfragewerte der Kommunisten sogar leicht zurückgegangen.

Aber was macht das schon aus Sicht der Kommunisten?

Natürlich wird kontrovers diskutiert. Natürlich wurde in diesen beiden Sendungen von den Nichtkommunisten alles das, was am Kommunismus falsch und verbrecherisch ist, zur Sprache gebracht. Aber langfristig schadet das den deutschen Kommunisten so wenig, wie die berüchtigte Negativ-Werbung dem Absatz der Firma Benetton geschadet hat.

Auch der Linksruck der Bundesrepublik in den siebziger Jahren begann mit Debatten über das, was die radikalen Studenten wollten; Debatten, in denen fast jeder gegen sie argumentierte. Aber sie setzten damit die Themen. Sie erzwangen sich Aufmerksamkeit. Das war der Startpunkt für ihren "langen Marsch durch die Institutionen", der viele von ihnen zwei, drei Jahrzehnte später in die höchsten Positionen von Staat und Gesellschaft geführt hat.



Das, worüber man diskutiert, ist nicht mehr indiskutabel.

Überhaupt noch über den Kommunismus zu diskutieren, nach fast einem Jahrhundert Erfahrung mit ihm, sollte sich unter Demokraten verbieten; wir diskutieren ja auch nicht über das Für und Wider des Nationalsozialismus oder des islamistischen Terrors. Diskussionen wie die am Donnerstag bei Illner und gestern bei Anne Will sind schon deshalb ein großer Erfolg für Lötzsch und ihre Genossen, weil sie den Eindruck vermitteln, der Kommunismus sei wieder diskutabel.

In seiner heutigen Besprechung der Sendung von Anne Will schreibt in Faz.NET Matthias Hannemann über den Auftritt von Oskar Lafontaine:
Zwar verrenkte der sich leidlich, als Anne Will ihn auf die Empörung ansprach, die das Kommunismus-Bekenntnis von Lötzsch auslöste. Auch wich er reichlich aus, spulte Phrasen ab und Programme. Doch das war gut. Denn gerade diese politische Aerobic rief in Erinnerung, mit welch verschwörungstheoretisch fundierter Ignoranz all jene zu Werk gehen, die nichts anderes als Kommunismus meinen, wenn sie "Gemeinschaftseigentum" und "demokratischen Sozialismus" sagen - sie treiben die Debatte voran, weil sie ihnen alten Wein in neuen Schläuchen zu verpacken hilft.
Nein, Ignoranz ist da nicht am Werk, so wenig wie eine Verschwörungstheorie.

Auch wird ja immer weniger alter Wein in neue Schläuche gefüllt.

Es geht den Kommunisten, wie es scheint, darum, uns allmählich, nach zwanzig Jahren der Abstinenz, wieder an ihren alten Wein in seinen alten Schläuchen zu gewöhnen. Uns an ihn "heranzuführen", wie der Agitprop-Fachausdruck lautet. Und unsere öffentlich-rechtlichen Talkshows tun ihnen den Gefallen, dafür die Probierstuben zu öffnen.



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