Selten hat ein Autor so sehr von dem Verhalten seiner Gegner profitiert wie Thilo Sarrazin. Die Art, wie man ihn fertigzumachen versuchte (siehe zum Beispiel Sarrazin: Gibt es jetzt doch noch eine Diskussion?; ZR vom 19. 9. 2010), mag ein wesentliches Motiv für viele gewesen sein, sich mit seinen Thesen zu befassen und vielleicht sein Buch zu kaufen.
So ist es auch jetzt wieder; eine weitere haltlose Kritik an Sarrazin dürfte dazu beitragen, die Kenntnisse über seine Auffassungen und auch über die Methoden vieler seiner Kritiker zu befördern.
Das Gespräch mit Thilo Sarrazin, auf das ich Sie aufmerksam machen möchte, wäre mir wahrscheinlich entgangen, wenn nicht "Spiegel-Online" es nach den üblichen Regeln dieser Art von Journalismus verrissen hätte.
Dort steht seit gestern Abend unter der Überschrift "I am Thilo Sarrazin from Börlin" dies zu lesen:
Was zunächst die Albernheit mit dem Akzent angeht: Ja, Thilo Sarrazin hat einen starken deutschen Akzent, wie man ihn bei vielen findet, die nicht in jungen Jahren in einer englischsprachigen Umgebung gelebt haben; Henry Kissinger beispielsweise, der mit 15 Jahren in die USA kam, hat noch immer einen starken deutschen Akzent.
Auf jeder größeren wissenschaftlichen Konferenz können Sie Deutsche bestes Englisch sprechen hören, aber mit einem starken Akzent. Thomas Mann hatte ihn auch noch nach Jahren des Aufenthalts in den USA; an seinen sozusagen souveränen Akzent fühlte ich mich sehr erinnert, als ich jetzt Sarrazin hörte.
Sarrazins Akzent ist des weiteren so, wie man ihn häufig bei Menschen findet, die das Englische gut beherrschen, weil sie es viel lesen; die es aber selten sprechen. Da gibt es neben der schlechten Phonetik auch schon einmal eine falsche Aussprache (Sarrazin spricht zum Beispiel determine als "ditermein" aus statt "ditermin").
Ansonsten ist - überzeugen Sie sich davon - Sarrazins Englisch zwar nicht glänzend, aber sehr gut.
Es ist sogar angenehmer anzuhören als sein Deutsch, weil er im Englischen logischerweise diese störende Marotte ablegt, immer wieder "also" zu sagen. Sein Wortschatz ist ausgezeichnet, seine Grammatik weitgehend fehlerfrei, von gelegentlichen kleinen Unschärfen abgesehen.
Wenn ihm einmal ein Germanismus unterläuft, dann korrigiert er das sofort; so etwa, wenn im Englischen das present perfect verlangt wird, während im Deutschen das Präsens richtig ist. Ein kurioser kleiner Versprecher unterlief ihm allerdings, als er statt des englischen thirteen französisch treize sagte.
Natürlich passieren ihm Ungenauigkeiten und Schnitzer, wie sie nun einmal das Merkmal der freien Rede sind; das unterläuft fast jedem auch in seiner Muttersprache.
Dem Autor des "Spiegel-Online"-Artikels hingegen - er heißt Carsten Volkery und ist Korrespondent in London - wären bessere Kenntnisse des Englischen in der Tat zu wünschen. Hätte er sie, dann wäre ihm schwerlich der nachgerade groteske Fehler unterlaufen, Sarrazins Satz "The brightest people get the fewest babies" (Die klügsten Menschen bekommen die wenigsten Babys) als "The whitest people get the fewest babies" (Die weißesten Menschen ...) zu transskribieren; inzwischen wurde das korrigiert.
Sarrazin sagt diesen Satz ziemlich am Anfang der Sendung; Sie können sich leicht davon überzeugen, daß man schon sehr, sehr schlecht Englisch können muß, um ihn falsch zu verstehen. Von der inhaltlichen Absurdität der Variante Volkerys ganz abgesehen.
Soviel zu diesem einigermaßen schäbigen Versuch, Sarrazin durch die Behauptung, sein Englisch sei schlecht, in ein ungünstiges Licht zu rücken (was natürlich prompt von Linken aufgenommen wurde; für einen von ihnen "stammelt" dann Sarrazin Englisch).
Warum lohnt es sich, dieses Gespräch anzuhören? Aus meiner Sicht aus vier Gründen:
So ist es auch jetzt wieder; eine weitere haltlose Kritik an Sarrazin dürfte dazu beitragen, die Kenntnisse über seine Auffassungen und auch über die Methoden vieler seiner Kritiker zu befördern.
Das Gespräch mit Thilo Sarrazin, auf das ich Sie aufmerksam machen möchte, wäre mir wahrscheinlich entgangen, wenn nicht "Spiegel-Online" es nach den üblichen Regeln dieser Art von Journalismus verrissen hätte.
Dort steht seit gestern Abend unter der Überschrift "I am Thilo Sarrazin from Börlin" dies zu lesen:
Erst stürmte er die deutschen Bestsellerlisten, jetzt wendet sich Thilo Sarrazin ans Ausland. In einer weltweit gesendeten BBC-Talkshow verbreitete er seine Thesen auf Englisch - mit starkem Akzent. (...) Die meisten Anrufer konnten besser Englisch als Sarrazin.Dieses Gespräch habe ich mir inzwischen angehört. Tun Sie es bitte auch, wenn Sie ungefähr fünfundvierzig Minuten erübrigen können. Ich verspreche Ihnen: Es lohnt sich. Den Mitschnitt der Sendung finden sie noch in den nächsten sieben Tagen hier.
Was zunächst die Albernheit mit dem Akzent angeht: Ja, Thilo Sarrazin hat einen starken deutschen Akzent, wie man ihn bei vielen findet, die nicht in jungen Jahren in einer englischsprachigen Umgebung gelebt haben; Henry Kissinger beispielsweise, der mit 15 Jahren in die USA kam, hat noch immer einen starken deutschen Akzent.
Auf jeder größeren wissenschaftlichen Konferenz können Sie Deutsche bestes Englisch sprechen hören, aber mit einem starken Akzent. Thomas Mann hatte ihn auch noch nach Jahren des Aufenthalts in den USA; an seinen sozusagen souveränen Akzent fühlte ich mich sehr erinnert, als ich jetzt Sarrazin hörte.
Sarrazins Akzent ist des weiteren so, wie man ihn häufig bei Menschen findet, die das Englische gut beherrschen, weil sie es viel lesen; die es aber selten sprechen. Da gibt es neben der schlechten Phonetik auch schon einmal eine falsche Aussprache (Sarrazin spricht zum Beispiel determine als "ditermein" aus statt "ditermin").
Ansonsten ist - überzeugen Sie sich davon - Sarrazins Englisch zwar nicht glänzend, aber sehr gut.
Es ist sogar angenehmer anzuhören als sein Deutsch, weil er im Englischen logischerweise diese störende Marotte ablegt, immer wieder "also" zu sagen. Sein Wortschatz ist ausgezeichnet, seine Grammatik weitgehend fehlerfrei, von gelegentlichen kleinen Unschärfen abgesehen.
Wenn ihm einmal ein Germanismus unterläuft, dann korrigiert er das sofort; so etwa, wenn im Englischen das present perfect verlangt wird, während im Deutschen das Präsens richtig ist. Ein kurioser kleiner Versprecher unterlief ihm allerdings, als er statt des englischen thirteen französisch treize sagte.
Natürlich passieren ihm Ungenauigkeiten und Schnitzer, wie sie nun einmal das Merkmal der freien Rede sind; das unterläuft fast jedem auch in seiner Muttersprache.
Dem Autor des "Spiegel-Online"-Artikels hingegen - er heißt Carsten Volkery und ist Korrespondent in London - wären bessere Kenntnisse des Englischen in der Tat zu wünschen. Hätte er sie, dann wäre ihm schwerlich der nachgerade groteske Fehler unterlaufen, Sarrazins Satz "The brightest people get the fewest babies" (Die klügsten Menschen bekommen die wenigsten Babys) als "The whitest people get the fewest babies" (Die weißesten Menschen ...) zu transskribieren; inzwischen wurde das korrigiert.
Sarrazin sagt diesen Satz ziemlich am Anfang der Sendung; Sie können sich leicht davon überzeugen, daß man schon sehr, sehr schlecht Englisch können muß, um ihn falsch zu verstehen. Von der inhaltlichen Absurdität der Variante Volkerys ganz abgesehen.
Soviel zu diesem einigermaßen schäbigen Versuch, Sarrazin durch die Behauptung, sein Englisch sei schlecht, in ein ungünstiges Licht zu rücken (was natürlich prompt von Linken aufgenommen wurde; für einen von ihnen "stammelt" dann Sarrazin Englisch).
Warum lohnt es sich, dieses Gespräch anzuhören? Aus meiner Sicht aus vier Gründen:
Gegen Ende des Gesprächs kam das, worauf ich eigentlich von Anfang an gewartet hatte: Ein Anrufer aus London beschuldigte Sarrazin, ein Faschist zu sein. Der Moderator fragte ihn, wie er auf eine solche Sprache reagiere. Seine Antwort:Erstens können Sie miterleben, was fairer Journalismus ist. Nach wie vor ist die BBC darin beispielhaft. Sarrazin wurde nicht (wie in den deutschen Talkshows, in denen er auftrat) mit einer Mehrheit von Gegnern konfrontiert - teilweise, wie bei Beckmann, überhaupt nur Gegnern -, sondern man hatte ins Studio in Berlin einen Gegner Sarrazins eingeladen, einen Befürworter seiner Thesen und den Berlin-Korrespondenten der BBC, der vorbildlich sachlich berichtete. Der Moderator enthielt sich jeder eigenen Stellungnahme, schritt aber rigoros ein, wenn ein Frager nicht zur Sache kommen wollte oder wenn Sarrazin eine Antwort schuldig blieb.
Hören Sie sich das an; dann wissen Sie, welch einen miserablen Journalismus uns die meisten Sendungen des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens zumuten.Zweitens wird in dieser Sendung, in der man ihn fair und mit Respekt behandelte, Sarrazins Denkweise deutlicher als in den Auftritten in den deutschen Medien, bei denen er sich meist gegen Anwürfe wehren mußte.
Einen Schlüsselsatz sagt er ziemlich am Anfang des Gesprächs. Ein Gesprächspartner hielt ihm vor, daß er "das Land spalte". Sarrazin erwähnt daraufhin Zahlen zu dem Sachverhalt, daß die Probleme mit Einwanderern sich bei den Moslems konzentrieren, und sagt: "This is a statistical fact, and to call a fact a fact is not dividing people". Dies sei eine statistische Tatsache, und eine Tatsache eine Tatsache zu nennen bedeute nicht, die Menschen zu spalten.
Immer wieder kommt Sarrazin in dem Gespräch auf diesen Punkt zurück, wenn er Kritik begegnet: Was er sage, das sei nun einmal so und keine Frage der Bewertung. Man hat ihm die Bezeichnung "Zahlenmensch" aufgeklebt. Das ist er so sehr und so wenig wie jeder Wissenschaftler, der in einer quantitativ forschenden Disziplin arbeitet. Aber er ist vor allem den Tatsachen verpflichtet.
Das nehmen ihm diejenigen übel, die lieber "im Bauch" fühlen als klar denken; die lieber von einer schönen Welt träumen, als die Welt zur Kenntnis zu nehmen, so wie sie ist. Die beispielsweise ihre Augen davor verschließen, welchen radikalen Wandel es für Deutschland bedeuten wird, von Generation zu Generation ein Drittel seiner einheimischen Bevölkerung zu verlieren.
Das nehmen ihm diejenigen übel, deren Denken von Empörtheit bestimmt ist. Der Sarrazin-Gegner unter den Eingeladenen, ein Deutscher türkischer Herkunft, warf Sarrazin vor: "You cannot divide people up into good people and bad people" - man dürfe Menschen nicht in gute und schlechte Menschen aufteilen. Eine Anruferin sprach gar von "stigmatisieren". Was soll Sarrazin darauf sagen? Daß er das natürlich nicht tut? Er wird das Gefühl seiner Gesprächspartner damit nicht erreichen. Sie fühlen sich verletzt, wenn über ihre Probleme gesprochen wird.In einer Passage des Gesprächs wurde - wieder einmal - deutlich, wie schwer es ist, wissenschaftliche Sachverhalte allgemeinverständlich darzustellen. Es ging um die Stellungnahme einer wissenschaftlichen Vereinigung, in der festgestellt wurde, daß "die meisten Menschen dieselben Gene" hätten. Das hielt der Moderator Sarrazin entgegen.
Nun stimmt das natürlich; aber es besagt überhaupt nichts zur Erblichkeit von Intelligenz; denn bei dieser Diskussion geht es nicht um Gene, sondern um Allele (siehe die zweite und dritte Folge der Serie in ZR "Sarrazin auf dem Prüfstand der Wissenschaft"). Aber das kann man in einem solchen Gespräch schwerlich so erklären, daß es die Hörer verstehen; also bleibt der Eindruck, Sarrazin hätte etwas behauptet, dem kompetente Wissenschaftler widersprechen würden. Was eindeutig nicht der Fall ist.Viertens wurde in einer Passage des Gesprächs eine Schwäche von Sarrazins Argumentation deutlich. Eine Anruferin - eine deutsche Psychiatrin türkischer Herkunft - konfrontierte ihn mit einem Argument, das leider in der anschließenden Diskussion unterging: Sie hatte längere Zeit in den USA gelebt und sagte, daß dort die Moslems nicht generell schlechter integriert seien als andere Gruppen von Einwanderern; Integrationsprobleme hätten vielmehr die Latinos. Das stimmt; siehe Islam in den USA: Eine andere Bevölkerungsstruktur als in Europa und Ansätze zu einem modernen, liberalen Islam; ZR vom 19. 1. 2011.
Mich hätte interessiert, wie Sarrazin auf diesen Einwand reagiert. Aus meiner Sicht dürfte die Antwort sein, daß der moslemische Glaube nicht generell ein Integrationshindernis ist; daß er aber dazu wird, wenn die aufnehmende Gesellschaft aufgrund ihrer Sozialleistungen keinen starken Anreiz setzt, sich in sie zu integieren.
Well, everyone has the responsibility for his own language. I am responsible for what I said. And what I said was said with care and with deliberation and after having done a lot of research, and it was said in a moderate way.Klare Worte. Gesagt in einem sehr passablen Englisch; in freier Rede mit einwandfreier Grammatik. Auch deshalb habe ich diese Passage wörtlich zitiert: Damit Sie sich davon überzeugen können, wie sehr Sie dem Artikel von Carsten Volkery vertrauen können.
And I am responsible for what I said. I am not responsible for the misreadings by people who do call me a fascist.
Nun, ein Jeder trägt die Verantwortung für seine eigene Sprache. Ich bin für das verantwortlich, was ich sage. Und was ich gesagt habe, das habe ich mit Sorgfalt gesagt und mit Bedacht, und nachdem ich viel recherchiert hatte, und es wurde auf eine zurückhaltende Art gesagt.
Und ich bin verantwortlich für das, was ich sage. Ich bin nicht verantwortlich für Fehlinterpretationen durch Leute, die mich in der Tat einen Faschisten nennen.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Thilo Sarrazin und Necla Kelek bei der Vorstellung von Sarrazins Buch am 30. August 2010. Vom Autor Richard Hebestreit unter Creative Commons Attribution 2.0 Generic-Lizenz freigegeben.