Dann kommt so ein Herr Kiesinger und sagt: "China, China, China!" Was soll denn der Quatsch?
Dieses Zitat ist gut vierzig Jahre alt. Gesagt hat das ein unbekannter Besucher einer Wahlkampf-Veranstaltung des christdemokratischen Nachwuchspolitikers Helmut Kohl (damals 39), und überliefert hat es im "Spiegel" (Heft 39/1969 vom 22. 9. 1969, S. 52) dessen damaliger Starreporter Hermann Schreiber.
Kommentar: Dieser "so ein Herr Kiesinger" war 1969 Kanzler der ersten Großen Koalition. Nach der Bundestagswahl am 28. September 1969 verlor er sein Amt, weil sich die SPD und die FDP noch in der Wahlnacht über die Bildung einer sozialliberalen Koalition verständigt hatten.
Kurt Georg Kiesinger ist der vielleicht am meisten unterschätzte der deutschen Kanzler. Er war Außenpolitiker in der CDU/CSU-Fraktion des Bundestags gewesen, dann aber 1958 aus der Bonner Politik ausgeschieden und Ministerpräsident von Baden-Württemberg geworden. Als der Kanzler Ludwig Erhard scheiterte, kehrte Kiesinger als Kanzler nach Bonn zurück.
Den Satz "Ich sage nur China, China, China" hatte Kiesinger laut einem Bericht in einer vorausgehenden Nummer des "Spiegel" (Heft 37/1969 vom 8. 9. 1969, S. 25) auf dem Dortmunder Wahlkonvent der CDU gesagt. Er wurde von der Linken dankbar aufgegriffen und noch Jahrzehnte später immer wieder genüßlich-ironisch zitiert; als Beispiel dafür, wie primitiv man in der CDU dächte.
Aber Kiesinger dachte nicht primitiv. Ihm war schon damals klar, daß China das Potential zur Supermacht hatte; zu einer Zeit, als man unter "Ost-West-Konfrontation" nur den Konflikt zwischen dem Westen und der Sowjetunion verstand.
Jetzt ist es so weit. Der "Spiegel" der kommenden Woche (Heft 1/2011 vom 3. 1. 2011) titelt "Chinas Welt - Was will die neue Supermacht?"; und illustriert wird das mit einem Globus, der schon fast ganz rot eingefärbt ist, garniert mit den Sternen aus Chinas Nationalflagge.
Wieder einmal hat sich alles ganz anders entwickelt, als es die Auguren vorhergesagt hatten.
Die USA sei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die "einzige verbliebene Supermacht", hieß es. Das Wort vom "Hegemon" machte die Runde, von einer "unipolaren" Welt.
In einem 1989 erschienenen Aufsatz, den er 1992 zu einem Buch erweiterte, verkündete der amerikanische Politologe Francis Fukuyama nichts Geringeres als das "Ende der Geschichte"; es werde sich nämlich nunmehr die westliche Kultur weltweit ausbreiten, mit dem Ergebnis einer "universalization of Western liberal democracy as the final form of human government", der allgemeinen Durchsetzung der westlichen liberalen Demokratie als endgültige Form menschlicher Regierung.
Welch ein Irrtum! Aber auch die Vision des Fukuyama-Antipoden Samuel Huntington von einem Clash of Civilizations, einem Zustammenstoß der Kulturen, erweist sich immer mehr als irrig.
Huntington erwartete eine multipolare Welt, in der eine Reihe von Kulturen (die westliche, die lateinamerikanische, die postsowjetische, die islamische, die indische, die chinesische, die japanische) in der Art früherer Nationalstaaten ihre Konflikte austragen; gegründet nicht auf ideologische Gegensätze und ökonomische Konkurrenz, sondern auf die Verschiedenartigkeit dieser Kulturen.
So wie es sich jetzt abzeichnet, wird es eine multipolare Welt so wenig geben wie eine unipolare. Es wird wieder eine Ost-West-Konfrontation geben, in der nur nicht mehr die UdSSR, sondern China die Rolle des Gegenspielers der USA übernommen hat. Die bipolare Welt 2.0.
Die chinesische Herausforderung ist allerdings in ihrem Stil ganz anders beschaffen als damals die sowjetische.
Als die UdSSR sich stark genug fühlte, die USA herauszufordern, tat sie das mit Poltern und Getöse. Mit der Propaganda, die den Erfolg mit dem ersten Sputnik (1957) umgab, dann mit der Ersttat der Entsendung eines Menschen ins All (1961). Mit dem Fehdehandschuh, den Chruschtschow den USA ein Jahr später hinwarf, als er begann, vor ihrer Haustür sowjetische Raketenbasen zu bauen.
Das führte zum "Sputnik"-Schock und zur Konstatierung eines missile gap, einer Raketenlücke. Es rüttelte die USA auf, die im Inneren Reformen unternahmen und der sowjetischen Expansion weltweit diplomatisch und militärisch paroli boten. Bekanntlich mit Erfolg.
Der heutigen chinesische Herausforderung fehlt ganz und gar dieses Dröhnende. China baut so leise, wie es nur geht, weltweit seine Machtpositionen auf; ungefähr wie ein Schachspieler, der seinen Sieg Schritt für Schritt vorbereitet, während der Kontrahent sich noch in Sicherheit wiegt.
Etwas, das die USA aufrütteln könnte wie damals der Sputnik-Schock und die Cuba-Krise, vermeidet China. Seine schrittweisen Erfolge schaffen es selten in die Schlagzeilen.
Das eine oder andere habe ich gelegentlich erwähnt (zum Beispiel Ist der Kommunismus am Ende?; ZR vom 7. 1. 2007 und Hugo Chávez' Weg in den Sozialismus: Allianz mit China, Repression im Inneren; ZR vom 11. 11. 2007). In der Berichterstattung der Medien stand und steht aber nicht Chinas Hochrüstung und seine globale Machtpolitik im Vordergrund, sondern man befaßt sich mit der chinesischen Wirtschaft und der Lage der Menschenrechte.
Wichtige Themen, gewiß. Aber dringend nötig wäre ein zweiter Sputnik-Schock. Irgend ein spektakuläres Ereignis, das den Menschen im Westen schlagartig klarmacht, welche Bedrohung sich entwickelt; nicht wirtschaftlich oder kulturell, sondern ganz altmodisch militärisch und auf der Ebene der Machtpolitik. Ein Ereignis, das deutlich macht, daß nicht der Islamismus die größte Gefahr für uns ist, sondern diese neue Supermacht, die sich darauf vorbereitet, Hegemonialmacht zu werden.
Demokratische Rechtsstaaten entschließen sich zu äußersten Anstrengungen in der Regel erst dann, wenn etwas sehr Spektakuläres die Gefahr unübersehbar macht - Hitlers (und Stalins) Überfall auf Polen, Pearl Harbor, Raketen auf Cuba, die Anschläge vom 11. September. Ich fürchten, die Chinesen werden uns nicht den Gefallen tun, etwas Ähnliches zu veranstalten. Oder auch nur etwas von der Art der Sputnik-Propaganda.
Dieses Zitat ist gut vierzig Jahre alt. Gesagt hat das ein unbekannter Besucher einer Wahlkampf-Veranstaltung des christdemokratischen Nachwuchspolitikers Helmut Kohl (damals 39), und überliefert hat es im "Spiegel" (Heft 39/1969 vom 22. 9. 1969, S. 52) dessen damaliger Starreporter Hermann Schreiber.
Kommentar: Dieser "so ein Herr Kiesinger" war 1969 Kanzler der ersten Großen Koalition. Nach der Bundestagswahl am 28. September 1969 verlor er sein Amt, weil sich die SPD und die FDP noch in der Wahlnacht über die Bildung einer sozialliberalen Koalition verständigt hatten.
Kurt Georg Kiesinger ist der vielleicht am meisten unterschätzte der deutschen Kanzler. Er war Außenpolitiker in der CDU/CSU-Fraktion des Bundestags gewesen, dann aber 1958 aus der Bonner Politik ausgeschieden und Ministerpräsident von Baden-Württemberg geworden. Als der Kanzler Ludwig Erhard scheiterte, kehrte Kiesinger als Kanzler nach Bonn zurück.
Den Satz "Ich sage nur China, China, China" hatte Kiesinger laut einem Bericht in einer vorausgehenden Nummer des "Spiegel" (Heft 37/1969 vom 8. 9. 1969, S. 25) auf dem Dortmunder Wahlkonvent der CDU gesagt. Er wurde von der Linken dankbar aufgegriffen und noch Jahrzehnte später immer wieder genüßlich-ironisch zitiert; als Beispiel dafür, wie primitiv man in der CDU dächte.
Aber Kiesinger dachte nicht primitiv. Ihm war schon damals klar, daß China das Potential zur Supermacht hatte; zu einer Zeit, als man unter "Ost-West-Konfrontation" nur den Konflikt zwischen dem Westen und der Sowjetunion verstand.
Jetzt ist es so weit. Der "Spiegel" der kommenden Woche (Heft 1/2011 vom 3. 1. 2011) titelt "Chinas Welt - Was will die neue Supermacht?"; und illustriert wird das mit einem Globus, der schon fast ganz rot eingefärbt ist, garniert mit den Sternen aus Chinas Nationalflagge.
Wieder einmal hat sich alles ganz anders entwickelt, als es die Auguren vorhergesagt hatten.
Die USA sei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die "einzige verbliebene Supermacht", hieß es. Das Wort vom "Hegemon" machte die Runde, von einer "unipolaren" Welt.
In einem 1989 erschienenen Aufsatz, den er 1992 zu einem Buch erweiterte, verkündete der amerikanische Politologe Francis Fukuyama nichts Geringeres als das "Ende der Geschichte"; es werde sich nämlich nunmehr die westliche Kultur weltweit ausbreiten, mit dem Ergebnis einer "universalization of Western liberal democracy as the final form of human government", der allgemeinen Durchsetzung der westlichen liberalen Demokratie als endgültige Form menschlicher Regierung.
Welch ein Irrtum! Aber auch die Vision des Fukuyama-Antipoden Samuel Huntington von einem Clash of Civilizations, einem Zustammenstoß der Kulturen, erweist sich immer mehr als irrig.
Huntington erwartete eine multipolare Welt, in der eine Reihe von Kulturen (die westliche, die lateinamerikanische, die postsowjetische, die islamische, die indische, die chinesische, die japanische) in der Art früherer Nationalstaaten ihre Konflikte austragen; gegründet nicht auf ideologische Gegensätze und ökonomische Konkurrenz, sondern auf die Verschiedenartigkeit dieser Kulturen.
So wie es sich jetzt abzeichnet, wird es eine multipolare Welt so wenig geben wie eine unipolare. Es wird wieder eine Ost-West-Konfrontation geben, in der nur nicht mehr die UdSSR, sondern China die Rolle des Gegenspielers der USA übernommen hat. Die bipolare Welt 2.0.
Die chinesische Herausforderung ist allerdings in ihrem Stil ganz anders beschaffen als damals die sowjetische.
Als die UdSSR sich stark genug fühlte, die USA herauszufordern, tat sie das mit Poltern und Getöse. Mit der Propaganda, die den Erfolg mit dem ersten Sputnik (1957) umgab, dann mit der Ersttat der Entsendung eines Menschen ins All (1961). Mit dem Fehdehandschuh, den Chruschtschow den USA ein Jahr später hinwarf, als er begann, vor ihrer Haustür sowjetische Raketenbasen zu bauen.
Das führte zum "Sputnik"-Schock und zur Konstatierung eines missile gap, einer Raketenlücke. Es rüttelte die USA auf, die im Inneren Reformen unternahmen und der sowjetischen Expansion weltweit diplomatisch und militärisch paroli boten. Bekanntlich mit Erfolg.
Der heutigen chinesische Herausforderung fehlt ganz und gar dieses Dröhnende. China baut so leise, wie es nur geht, weltweit seine Machtpositionen auf; ungefähr wie ein Schachspieler, der seinen Sieg Schritt für Schritt vorbereitet, während der Kontrahent sich noch in Sicherheit wiegt.
Etwas, das die USA aufrütteln könnte wie damals der Sputnik-Schock und die Cuba-Krise, vermeidet China. Seine schrittweisen Erfolge schaffen es selten in die Schlagzeilen.
Das eine oder andere habe ich gelegentlich erwähnt (zum Beispiel Ist der Kommunismus am Ende?; ZR vom 7. 1. 2007 und Hugo Chávez' Weg in den Sozialismus: Allianz mit China, Repression im Inneren; ZR vom 11. 11. 2007). In der Berichterstattung der Medien stand und steht aber nicht Chinas Hochrüstung und seine globale Machtpolitik im Vordergrund, sondern man befaßt sich mit der chinesischen Wirtschaft und der Lage der Menschenrechte.
Wichtige Themen, gewiß. Aber dringend nötig wäre ein zweiter Sputnik-Schock. Irgend ein spektakuläres Ereignis, das den Menschen im Westen schlagartig klarmacht, welche Bedrohung sich entwickelt; nicht wirtschaftlich oder kulturell, sondern ganz altmodisch militärisch und auf der Ebene der Machtpolitik. Ein Ereignis, das deutlich macht, daß nicht der Islamismus die größte Gefahr für uns ist, sondern diese neue Supermacht, die sich darauf vorbereitet, Hegemonialmacht zu werden.
Demokratische Rechtsstaaten entschließen sich zu äußersten Anstrengungen in der Regel erst dann, wenn etwas sehr Spektakuläres die Gefahr unübersehbar macht - Hitlers (und Stalins) Überfall auf Polen, Pearl Harbor, Raketen auf Cuba, die Anschläge vom 11. September. Ich fürchten, die Chinesen werden uns nicht den Gefallen tun, etwas Ähnliches zu veranstalten. Oder auch nur etwas von der Art der Sputnik-Propaganda.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.