18. Januar 2011

Weiteres zur Dioxinbelastung von Eiern, Bio und konventionell: Viel Lärm um nichts. Oder vielmehr: Ein Lärm um etwas anderes, als man denkt

Im heutigen "Zitat des Tages" habe ich darauf aufmerksam gemacht, daß man beim Kauf von Bio-Eiern keineswegs generell sicher sein kann, ein weniger mit Dioxin belastetes Produkt zu bekommen, als wenn man konventionell erzeugte Eier kauft. Inwieweit das auch unter Berücksichtigung der jetzigen Fälle von erhöhter Dioxin-Belastung (des "Skandals") gilt, konnte ich nicht sagen, da mir keine statistischen Daten vorlagen, die über die Höhe der Dioxinbelastung in Eiern aus den jetzt betroffenen Betrieben Auskunft geben.

Solche Daten haben ich immer noch nicht finden können. Ich kann Ihnen aber - vor allem dank der Mithilfe der im Fußtext genannten Autoren in Zettels kleinem Zimmer - jetzt einige weitere Informationen zum Thema geben. Zusammen zeigen sie: Der eigentliche Skandal ist es, daß eine Panne bei einem Futtermittel-Hersteller, deren Folgen gesundheitlich unbedenklich sind, zu einem Skandal aufgebläht wird.



Im "Zitat des Tages" habe ich auf Daten des baden-württembergischen Ernährungsministeriums aufmerksam gemacht, die eine erhöhte Dioxinbelastung bei Eiern aus kleinen Betrieben zeigen. Dazu liegt mir jetzt eine ausführliche Meldung des Fach-Informationsdienstes animal health online (aho) vom 4. 4. 2006 vor:
Erhöhte Dioxingehalte bei Eiern aus Kleinstbetrieben mit Auslaufhaltung

Ein vorsorgliches Untersuchungsprogramm der baden-württembergischen Lebensmittelüberwachung hat gezeigt, dass Eier von Hühnern aus Kleinsthaltungen häufig mit erhöhten Gehalten an Dioxin und dioxinähnlichen Polychlorierten Biphenylen (PCBs) belastet sind. (...)

Die Untersuchungen ergaben bei Betrieben mit mehr als 250 Hennen bis auf wenige Einzelfälle keine Auffälligkeiten (Mittelwert ca. 1 pg/g Fett). Bei Betrieben mit 100 bis 250 Hennen lagen 39 Prozent der Proben über der zukünftigen Höchstmenge (Mittelwert 6,7 pg/ Fett), bei Betrieben mit 21 bis 99 Hennen 51 Prozent (Mittelwert 7,5 pg/g Fett) und bei Betrieben mit weniger als 20 Hennen sogar 71 Prozent (Mittelwert 20 pg/g Fett).
Der zulässige Grenzwert liegt bei 3 pg/ Fett. Wer ein Ei aus einem mittelgroßen oder einem kleinen Betrieb kauft, der muß also im Schnitt mit mehr als dem doppelten Belastungswert rechnen; kauft er von einem Kleinstbetrieb mit weniger als 20 Hennen, dann haben diese Eier im Schnitt - im Durchschnitt! - das fast Siebenfache des EU-Grenzwerts. Einzelne Eier liegen also mit Sicherheit noch höher. Nach den Daten dieser Erhebung.

Zu den Belastungswerten der Eier aus dem jetzt von dem "Skandal" betroffenen Betrieben habe ich, wie gesagt, bisher keine statistischen Werte finden können; immerhin aber zwei kleinere Meldungen. Die erste erschien am 6. 1. 2011 in FAZ.Net:
Bei rund 240.000 in Bayern sichergestellten Eiern hat sich der Verdacht auf Dioxin bestätigt. Der bei Proben festgestellte Dioxingehalt liegt teilweise dreimal so hoch wie der zulässige Grenzwert.
Die "kontaminierten" Eier hätten hiernach also "teilweise" einen Dioxinwert, der nach den aho-Daten zwischen den Werten von Eiern aus einem mittelgroßen Betrieb und Eiern aus einem Kleinstbetrieb liegt, wie man sie ganz normal kauft. Das bestätigt auch die folgende Meldung der "Ärzte-Zeitung" vom 5. 1. 2011:
Beim aktuellen Skandal wurden bisher maximal 12 Pikogramm pro Gramm Ei-Fett aufgespürt, teilte das BfR auf Anfrage der "Ärzte Zeitung" mit. Erlaubt sind maximal 3 Pikogramm. Der Wert in den Eiern war also bis um den Faktor 4 erhöht.
Zu beachten ist, daß es sich bei diesen Werten von 9 bzw. 12 Pikogramm pro Gramm Ei-Fett um Höchstwerte handelt, während sich die aho-Daten auf Durchschnittswerte beziehen. Und diese liegen bei Eiern aus Kleinstbetrieben nicht bei 9 oder 12 Piktogramm, sondern bei 20.

Man kann folgern, daß es - falls man überhaupt Angst vor Dioxinbelastung hat - sicherer wäre, sogar Eier beispielsweise aus dieser jetzt in Bayern sichergestellten Produktion von 240.000 Eiern zu kaufen (bekäme man sie denn), als beliebige Eier etwa auf dem Wochenmarkt; sofern man nicht sicher ist, daß diese aus einem Großbetrieb stammen.



Wie sieht es mit Eiern aus "Freilandhaltung" und mit Bio-Eiern aus?

Man muß sich zunächst klarmachen, warum die Eier aus mittleren und kleinen Betrieben eine so hohe durchschnittliche Dioxinbelastung aufweisen. Das liegt daran, daß diese Hühner in der Regel im Freien herumlaufen können und dort Bodenmaterial aufpicken; und zwar eine ganze Menge im Lauf eines Tages (eine Henne bis zu 45 Gramm Sand). In vielen Böden aber findet sich Dioxin aus den unterschiedlichsten Quellen.

In einem Überblicksartikel faßt C.A. Kaas, der in der Animal Sciences Group in Wageningen (NL) über die Schadstoffbelastung durch Tierhaltung forscht, den Stand der Forschung zusammen:
In different countries thus, the small scale, organic or free range production system seems to add an extra risk for dioxin contamination of eggs.

In verschiedenen Ländern scheinen somit die Produktion in Kleinbetrieben, die organisch-dynamische Produktion und Produktionssysteme mit freilaufenden Hühnern einen zusätzlichen Risikofaktor für eine Verunreinigung von Eiern durch Dioxin darzustellen.
Das Dioxin im Boden stammt aus verschiedenen Quellen; unter anderem vermutlich verbranntem Holz, Industrierückständen, die über die Luft in den Boden gelangen, und bestimmten Mineralien im Boden selbst.

Man könnte befürchten, daß Eier auch aus Großbetrieben, die Freilandhaltung betreiben, erhöhte Dioxin-Werte aufweisen. Das ist aber nach den aho-Daten nicht der Fall; und zwar vermutlich deshalb nicht, weil in diesen Betrieben die Tiere auf bestimmten präparierten Futterflächen laufen, die weitgehend frei von solchen Rückständen sind.

Was die Eier aus Bio-Anbau angeht, sind die Daten, die ich bisher kenne, nicht eindeutig. Laut aho lag in der baden-württembergischen Untersuchung in Ökobetrieben "der Mittelwert aller Proben für den Gesamtgehalt an Dioxinen oder dioxinähnlichen PCBs deutlich unter der zugelassenen Höchstmenge".

Allerdings ist zu fragen, wo denn der Mittelwert bei den 240.000 in Bayern "sichergestellten" Eiern lag. Für diese habe ich nur einen Höchstwert gefunden. Wo dieser Höchstwert bei den Ökobtrieben in Baden-Württemberg lag, geht wiederum aus dem aho-Bericht nicht hervor. Auch wenn der Durchschnittswert unter der kritischen Grenze liegt, können natürlich einzelne Stichproben höhere Werte aufweisen.

Andere Daten deuten auf eine erhöhte Belastung auch bei Öko-Eiern hin. 2007 berichteten im Fachblatt Poultry Science A. Kijlstra und Mitautoren über ihre Untersuchung zu diesem Thema:
The aim of the study was to investigate parameters that are involved in the contamination of eggs from chickens raised under organic conditions. Samples from 34 organic farms (...).

Egg dioxin content varied between 0.4 and 8.1 pg of toxic equivalents (TEQ)/g of egg fat with a mean of 2.2 pg of TEQ/g of egg fat. Nine out of 34 farms exceeded the EU limit of 3 pg of TEQ/g of egg fat. In addition, dioxin-like polychlorinated biphenyls (DL-PCB) were measured, and 8 samples exceeded the limit for the sum of dioxins and DL-PCB. Overall, egg samples from 10 farms were noncompliant with the dioxin or total TEQ limits.

Ziel der Studie war es, Parameter zu untersuchen, die bei der Verunreinigung der Eier von Hennen eine Rolle spielen, die ökologisch gehalten werden. (...) Es wurden Stichproben aus 34 ökologischen Betrieben erhoben (...).

Der Dioxingehalt der Eier lag zwischen 0,4 und 8,1 pg toxischem Äquivalent (TEQ)/g Eifett, wobei der Durchschnitt bei 2,2 pg TEQ/g Eifett lag. Neun der 34 Betriebe lagen über dem EU-Grenzwerte von 3 pg TEQ/g Eifett. Weiterhin wurden dioxinähnliche polychlorierte Biphenyle (DL-PCB) gemessen; 8 Stichproben lagen oberhalb des Grenzwerts für die Summe von Dioxinen und DL-PCB. Zusammen entsprachen die als Stichprobe genommenen Eier von 10 Betrieben nicht den Grenzwerten für Dioxin oder für TEQ insgesamt.
Mehr als ein Viertel der untersuchten Öko-Betriebe produzierten also Eier, deren Gehalt an Dioxin und/oder ähnlichen Schadstoffen oberhalb des EU-Grenzwerts lag. Die Daten der Untersuchung deuten des weiteren darauf hin, daß der kritische Faktor die Zeit ist, welche die Tiere im Freien verbringen. Je länger sie draußen sind, umso mehr sind ihre Eier belastet.



Wer sich also vor Dioxin im Ei ängstigt, der sollte, wenn er auf Nummer Sicher gehen will, Eier entweder aus einem konventionellen Betrieb mit Käfighaltung kaufen, oder aus einem Großbetrieb mit Freilandhaltung. Die Eier aus dem Bio-Supermarkt zu beziehen ist - nach den Daten, die ich bisher kenne - nicht sicherer, als so zu verfahren; es ist wahrscheinlich unsicherer.

Aber gibt es überhaupt Grund, sich zu ängstigen? Lesen Sie einmal dies:
Verbraucherministerin Renate Künast bestätigte Meldungen, nach denen in mehreren Bundesländern der EU-Grenzwert für Dioxin bei Eiern von freilaufenden Hühnern überschritten wurde. Es bestehe aber keine Gesundheitsgefahr.

Schuld an den erhöhten Gehalten sei das in der Luft vorkommende Dioxin. Das Gift ist aber bereits vor einigen Jahrzenten entstanden und kommt überall in der Luft vor.

Die Hühner nehmen das Dioxin durch Picken vom Boden auf. Bei den Käfighühnern ist die Belastung deutlich geringer.
Wie Sie am Namen der Ministerin sehen können, ist diese Meldung nicht ganz frisch. Sie ist fünf Jahre alt und wurde damals von der "Tagesschau" verbreitet. Dort ist sie allerdings nicht mehr abrufbar; aber "Stern ShortNews" hat sie aufbewahrt.

Damals freilich war nicht die Industrie schuld, sondern die Luft; und die grüne Ministerin signalisierte "keine Gesundheitsgefahr".

Nun ist es für die Wirkungen des Dioxins - so es denn diese gibt - allerdings egal, wie dessen Herkunft politisch korrekt zu bewerten ist. Ob Luft oder Futtermittel, das macht da keinen Unterschied.

In Bezug auf diese Wirkung nun sieht es so aus, wie es die Ärzte-Zeitung mit Berufung auf das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) beschreibt:
Betrachtet wurde das Schicksal von Eier-Liebhaber[n], die im Schnitt täglich zwei oder mehr Eier konsumieren - das sind nur fünf Prozent der Bevölkerung. Angenommen wurde zudem, dass die Eier alle die gemessene Spitzenbelastung aufweisen.

In einem solchen ungünstigen Fall kommt es zu einer täglichen Mehrbelastung von knapp 4 Pikogramm Dioxin pro kg KG. Die Gesamtbelastung steigt damit auf 6 Pikogramm pro kg KG und liegt damit etwas über dem WHO-Grenzwert.

Für die meisten Konsumenten, die jetzt unbemerkt dioxinhaltige Eier verzehrt haben, dürfte die Belastung jedoch deutlich geringer sein. So isst jeder Bürger im Schnitt nur 0,6 Eier pro Tag, eihaltige Produkte wie Nudeln und Gebäck eingeschlossen.

Die zusätzliche Belastung bei einem solchen Eierkonsum liegt maximal bei 1 Pikogramm pro kg KG, die Gesamtbelastung bleibt damit zumindest unter dem WHO-Grenzwert. Oder anders ausgedrückt: Gelegentlich ein Dioxin-Ei ändert nun wenig an der Dioxin-Bilanz.

Doch selbst wenn der WHO-Grenzwert für die tägliche Aufnahme für eine gewisse Zeit leicht überschritten wird, besteht damit nicht automatisch eine Gesundheitsgefahr: Die Konzentrationen, ab denen im Tierversuch erste Schäden beobachtet wurden, liegen in der Regel um den Faktor 50 bis 100 über dem Grenzwert für Menschen.
Es ist also wieder einmal wie so oft: Viel Lärm um nichts.



Nein, doch nicht ganz um nichts. Was unsere Gesundheit angeht, steht der Lärm in keinem Verhältnis zu seinem Gegenstand. Aber es geht ja auch um Politik. Genauer: um Landwirtschaftspolitik.

So, als sei man sicher vor jeder Dioxinbelastung, wenn man Bio-Eier kauft, wird anläßlich des angeblichen Skandals die Trommel für den Umstieg von konventioneller Landwirtschaft auf Bio gerührt. Aus einem Interview der "Welt am Sonntag" vom 16. 1. 2011 mit dem Landwirtschaftsminister von NRW, Johannes Remmel:
Welt am Sonntag: Was muss sich aus Ihrer Sicht vor dem Hintergrund des aktuellen Skandals in der Agrarproduktion ändern?

Johannes Remmel: Bei fast jedem Lebensmittelskandal der letzten Jahre waren die Futtermittel der entscheidende Faktor. In der aktuellen Diskussion muss man aber weiter gehen. Wir müssen das ganze System der industriellen Agrarproduktion auf den Prüfstand stellen. (...)

Welt am Sonntag: Weg von der industriellen und hin zur bäuerlichen Produktion mit nachhaltigen und ökologischen Strukturen, das fordert die NRW-Landesregierung auch im Koalitionsvertrag. Wie ist das eigentlich zu machen?

Johannes Remmel: Das ist ein Strukturwandel, den man nicht in einem oder zwei Jahren hinbekommt. Man muss ja auch alle Beteiligten überzeugen mitzumachen, von den Erzeugern über die Verarbeiter bis hin zu den Verbrauchern. Wir müssen die gesamte Kette im Auge haben.
Ja, man muß "alle Beteiligten überzeugen", auch die Verbraucher. Und wie könnte man besser Überzeugungsarbeit leisten, als durch das Aufblähen einer ungefährlichen Panne in einem Futtermittel-Betrieb zu einem "Skandal", der - Sie konnten es in dem vorausgehenden Artikel lesen - die Verbraucher zu "Angstkäufe[n] im Bio-Supermarkt" treibt?


© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Vom Autor Kacper "Kangel" Aniołek unter GNU Free Documentation License, Version 1.2 oder später freigegeben. Mit Dank an Gorgasal und an Popeye.