7. Januar 2011

Gesine Lötzsch und die Wege zum Kommunismus (1): Die Rosa-Luxemburg-Konferenzen und Lötzschs Strategie der "fortschreitenden Machteroberung"

Als ich am Dienstag über das freimütige Bekenntnis von Gesine Lötzsch zum Kommunismus berichtet habe, war der Text zu ihrer für Samstag geplanten Rede auf dem diesjährigen "Rosa-Luxemburg-Kongreß" nur Abonnenten der linksextremen Tageszeitung "Junge Welt" zugänglich. Inzwischen ist er freigeschaltet.

Das ist einer der Gründe, warum ich noch einmal auf dieses Thema zurückkomme; denn die Rede birgt noch Interessanteres als das, was ich am Dienstag zitiert habe. Zweitens ist das, was am Dienstag noch kaum jemanden interessiert hatte, inzwischen zu einer Affäre geworden.

Der Chefredakteur der "Jungen Welt", Arnold Schölzel (alias André Holzer, so sein Deckname beim MfS), widmete dem Thema gestern ein Editorial "Ein Gespenst geht um"; bekanntlich die ersten Wörter des "Kommunistischen Manifests".

Im wesentlich zählt er die Reaktionen auf die Publikation des Texts auf und kritisiert sie - wie anders - in Grund und Boden; es fehlt allerdings noch die aktuelle Kontroverse, an der u.a. der CDU-Politiker und frühere DDR-Dissident Arnold Vaatz und Lötzschs Ko-Vorsitzender Ernst beteiligt sind.

Besonders lesenswert ist das nicht. Interessant ist aber das, was Schölzel am Ende schreibt:
Gesine Lötzsch kommentierte die Aufwallungen in einer Presseerklärung: "Der wutschnaubende Verriß meines jungeWelt-Beitrages durch den Spiegel zeigt, wie verunsichert das Establishment ist, wenn es um Alternativen zum kapitalistischen System geht." Sie habe die Fragestellung der Podiumsdiskussion aufgegriffen, plädiere für linke Reformen und einen demokratischen Sozialismus nach den Ideen Rosa Luxemburgs.
Diese Presseerklärung können Sie hier lesen.

"Nach den Ideen Rosa Luxemburgs"! Diese nun allerdings war ungefähr so sehr eine demokratische Sozialistin, wie der General Francisco Franco ein demokratischer Bürgerlicher gewesen ist. Rosa Luxemburg war eine lupenreine Kommunistin. Daran zu erinnern ist ein weiterer, der dritte Grund für diesen Artikel.

Er erscheint in der jetzigen zweiten Version in zwei Teilen. Hier im ersten Teil befasse ich mich mit Gesine Lötzschs Text und den "Rosa-Luxemburg-Konferenzen". Im zweiten geht es um Rosa Luxemburg selbst.



Auf welcher Konferenz wird Gesine Lötzsch am Samstag eigentlich auftreten (übrigens, laut Schölzel, nicht mit exakt dem jetzt publizierten Text, der offenbar eher so etwas wie Materialien zu diesem Vortrag enthält)?

Die "Rosa-Luxemburg-Konferenzen" werden seit 1996 alljährlich von der "Jungen Welt" mit Hilfe linker Organisationen veranstaltet. Sie haben eine Scharnier-Funktion; und zwar in zweierlei Hinsicht: Erstens will man international sein und lädt also Redner aus anderen Ländern ein; gern auch von anderen Kontinenten. Zweitens dienen diese Konferenzen dem Dialog zwischen den in der Partei "Die Linke" organisierten Kommunisten und denen in ihrem Umfeld.

Man ist, was dieses Umfeld angeht, nicht zimperlich. Auch Terroristen (nicht "Ex-Terroristen"; man spricht ja auch nicht von einem Ex-Mörder) sind willkommen, sofern sie sich zum Kommunismus bekennen.

Diesmal ist es die für tödliche Schüsse auf einen Polizisten mit 13 Jahren Freiheitsentzug bestrafte Inge Viett, die morgen um 18 Uhr gemeinsam mit Gesine Lötzsch auf dem Podium diskutieren und dabei - so die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine - zu Gewalttaten aufrufen wird. Man kann ihren dazu vorbereiteten Text hier lesen ("Eine revolutionäre Organisation kann die bürgerliche Rechtsordnung nur als taktischen Bezugspunkt begreifen, aber nicht als naturgegeben verinnerlichen").

Auf der "Rosa-Luxemburg-Konferenz" 2007 trat hingegen der Terrorist Christian Klar auf. Nicht leibhaftig; er saß damals noch im Gefängnis. Aber es wurde eine Grußadresse von ihm entgegengenommen (siehe Die PDS und der Gruß eines Terroristen; ZR vom 27. 2. 2007). Klar teilte den Delegierten der Konferenz die Forderung mit,
... daß die in Europa ökonomisch gerade abstürzenden großen Gesellschaftsbereiche den chauvinistischen "Rettern" entrissen werden. Sonst wird es nicht möglich sein, die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen.
Später stellte sich heraus, daß Klar diese Grußadresse nicht von sich aus verfaßt hatte, sondern daß ihn kein Geringerer als der zeitweilige Rektor der Humboldt-Universität Heinrich Fink, bekannt als "IM Heiner", dazu aufgefordert hatte (siehe Christian Klar, die Waffe der Kritik, die Kritik der Waffen; ZR vom 8. 5. 2007).

Als ich das damals recherchiert habe, war es naheliegend, auch einen Blick auf die Liste der Referenten zu werfen. Eine illustre Liste; Sie können Sie sich hier ansehen. Falls Sie dazu keine Zeit haben, dann lesen Sie bitte mein Fazit; es ist für die jetzige Diskussion nicht ohne Interesse:
Der erste Referent, Mumia Abul Jamal, sitzt im Hochsicherheitsgefängnis State Correctional Institution Greene im US-Bundesstaat Pennsylvania. Er wurde keineswegs aus politischen Gründen verurteilt, sondern wegen Mordes an dem Polizisten Daniel Faulkner.(...)

Als zweiter Referent wird Francisco Brown Infante genannt, ein cubanischer Spezialist für den Zusammenbruch des Kommunismus in der UdSSR und Osteuropa.

Arnaldo Otegi ist ein Angehöriger der ETA, der wegen Verherrlichung des Terrorismus zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt wurde.

Weiter gehören zu den Referenten unter anderem ein österreichischer Kommunist, ein Mann aus dem Parteivorstand der DKP (ja, die gibt's noch!), eine chinesische Journalistin - und Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Fraktion "Die Linke.PDS" im Bundestag.
Ja, auch damals war sie schon dabei, die Gesine Lötzsch. Sie hat schon 2007, als sie ihrer Partei noch nicht vorsaß, keinen Hehl daraus gemacht, wo ihr Herz schlägt; nämlich sehr, sehr weit links.



Keine Mördergrube macht sie aus ihrem Herzen auch in dem am Montag von der "Jungen Welt" publizierten Text "Wege zum Kommunismus", den man, wie gesagt, jetzt vollständig lesen kann.

Man erfährt jetzt das, was aus der in den letzten Tagen meist (heute auch von Guido Westerwelle) zitierten Passage von den "Wegen zum Kommunismus" noch nicht hervorgeht; nämlich daß für Lötzsch der Übergang zum Sozialismus keine Utopie in weiter Ferne ist, sondern auf der politischen Tagesordnung steht. Unter der Zwischen-Überschrift "Fortschreitende Machteroberung" schreibt sie:
Egal, welcher Pfad zum Kommunismus führt, alle sind sich einig, daß es ein sehr langer und steiniger sein wird. Warum eigentlich? Angenommen, der Euro geht als Währung in den nächsten zwei Jahren unter, die Europäische Union zerbricht, die USA kommen nicht aus der Wirtschaftskrise und fallen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in die Hände von radikal-fundamentalistischen Christen. Das Klima verändert sich dramatisch, der Golfstrom kühlt ab, die Flüchtlingsströme überrennen die "Festung Europa", und wir werden gefragt, ob wir für diesen verworrenen Problemhaufen eine Lösung haben.
Lötzsch kommt dann auf Rosa Luxemburg zu sprechen:
In ihrer Rede auf dem Gründungsparteitag der KPD zum Programm und zur politischen Situation, als schon klar war, daß an eine unmittelbare Machtübernahme nicht zu denken war, formulierte sie als Hauptweg sozialistischer Politik: "So soll die Machteroberung nicht eine einmalige, sondern eine fortschreitende sein, indem wir uns hineinpressen in den bürgerlichen Staat, bis wir alle Positionen besitzen und sie mit Zähnen und Nägeln verteidigen. Und der ökonomische Kampf, auch er soll nach meiner Auffassung und der Auffassung meiner nächsten Parteifreunde durch die Arbeiterräte geführt werden."
Dieses Rezept empfiehlt Lötzsch auch jetzt:
Was hier durch Rosa Luxemburg in der konkreten Situation einer unvollendeten Revolution und der absehbaren Defensive formuliert wurde, ist eine Politik, die sie selbst "revolutionäre Realpolitik" nannte – ausgehend von den dringenden Nöten der Arbeiter und großer Teile der Bevölkerung soll an Lösungen gearbeitet werden, die deren Lage spürbar verbessern und zugleich zu einer strukturellen Veränderung der Eigentums- und Machtverhältnisse führen. (...) Ich weiß natürlich, daß eine solche radikale Realpolitik die Austragung von Widersprüchen und Konflikten einschließt, uns Veränderung und Selbstveränderung abverlangt. Das ist nicht einfach.
Nein, einfach ist das nicht. Einfach ist es aber, zu erkennen, was diese Gesine Lötzsch will: Die Machtergreifung durch ihre Partei; durch die kommunistische Partei, die sich im Augenblick "Die Linke" nennt. Nicht nach dem Vorbild Lenins in einer einzigen, blutigen Revolution. Sondern Schritt für Schritt, wie es Rosa Luxemburg empfahl.

Das sagt die Vorsitzende einer Partei, die im Land Berlin regiert, die im größten Bundesland NRW faktisch mitregiert und die gute Aussichten hat, nach den diesjährigen Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern auch dort wieder in die Regierung zurückzukehren. Man beginnt zu verstehen, welche Ziele sie in diesen Regierungen verfolgt.



Lötzsch preist das Vorbild Rosa Luxemburg. Sie preist Luxemburg - so sagt sie es ihren Genossen, das ist Kaderlinie - als eine Revolutionärin mit der richtigen Strategie, die
... all ihre Kraft und Leidenschaft, Erfahrung und Wissen in die Waagschale geworfen [hat], um zu verhindern, daß sich das Fenster zu einer radikalen sozialen und demokratischen Umwälzung wieder völlig schloß.
Aber uns, dem Publikum, stellt sie Luxemburg anders dar; uns präsentiert sie die Massenlinie. Aus der der gestrigen Pressemitteilung:
Ich zitiere Rosa Luxemburgs Forderung nach der Freiheit des Andersdenkenden und weise darauf hin, dass sich deswegen der sowjetische Parteikommunismus nicht mit ihr, die für die Partei DIE LINKE eine der wichtigsten Bezugspersonen der Arbeiterbewegung ist, versöhnen lässt.
"Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden" - nicht wahr, diesen Satz verbinden Sie mit dem Namen Rosa Luxemburg: so wie mit Galilei "Und sie bewegt sich doch" und mit Ludwig XIV "L'État c'est moi"?

Daß wir alle das tun, gehört zu den größten Erfolgen der kommunistischen Propaganda. Denn die Vermutung, Luxemburg sei für einen demokratischen Rechtsstaat mit Freiheit der Meinungsäußerung eingetreten, ist falsch. Warum, das schildere ich im zweiten Teil.



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Karl Marx im Jahr 1882.