Von den sechs Thesen zur Integration, die ich im ersten Teil vorgestellt habe, befassen sich fünf mit Aspekten einer modernen Politik, die sich von Multikulti verabschiedet. Ich habe sie zitiert und zustimmend kommentiert. Eine These aber - die zweite - zielt in eine andere Richtung. Sie möchte ich jetzt ausführlicher diskutieren.
Hier ist diese These vollständig; ich habe lediglich zur besseren Lesbarkeit Absätze eingefügt:
Es stimmt, daß das Grundgesetz die Freiheit der Religion und der persönlichen Überzeugung garantiert. Wir leben in einem säkularen Staat.
Es stimmt, daß unsere Kultur viele Wurzeln hat. (Allerdings erschiene es mir näherliegend, neben der christlich-jüdischen und der griechisch-römischen die germanische zu nennen; statt der doch etwas in der Ferne liegenden ägyptischen).
Es stimmt, daß unser heutiges Verständnis von Staat und Gesellschaft der Aufklärung Entscheidendes verdankt. Die Achtung vor der Überzeugung Anderer, die Lessing in der Ringparabel ausdrückt, ist eine der Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats.
Dennoch halte ich diese These in ihrem Kern für falsch. Sie ist falsch, weil sie einen Gegensatz zwischen der christlich-jüdischen Tradition einerseits und auf der anderen Seite der Tradition der Antike und der Aufklärung konstruiert. Das wird der abendländischen Kultur nicht gerecht, und es ist ein ganz unglücklicher Ausgangspunkt für eine vernünftige Integrationspolitik.
Die Autoren schließen mit Lessings Ringparabel aus "Nathan der Weise". Lassen Sie mich mit ihr beginnen.
Der Jude Nathan erzählt sie dem Sultan Saladin, der ihn aufgefordert hatte: "Da du nun so weise bist: so sage mir doch einmal – was für ein Glaube, was für ein Gesetz hat dir am meisten eingeleuchtet?"
Nathan erkennt die Falle. In einem sich anschließenden Monolog sagt er: "So ganz Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. – Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, dürft er mich nur fragen, warum kein Muselmann?" Also entschließt sich Nathan, statt einer klaren Antwort eine Parabel vorzutragen. Erfreut sagt er zu sich: "Das wars! Das kann mich retten! – Nicht die Kinder bloß speist man mit Märchen ab".
Lesen Sie diese Parabel bei Lessing nach und erfreuen Sie sich an Lessings Sprache und seiner Klugheit. Ich will sie nicht erzählen, sondern mich mit der Pointe begnügen: Von drei Ringen, die ein Vater seinen drei Söhnen auf dem Sterbebett vermacht, ist wahrscheinlich keiner der echte, der den Träger "den Menschen angenehm macht"; jedenfalls läßt sich die Echtheit nicht ermitteln. ("Der echte Ring vermutlich ging verloren").
Dies entscheidet ein weiser Richter, an den sich die Söhne gewandt hatten, und gibt ihnen dann noch einen guten Rat: Es "glaube jeder sicher seinen Ring den echten", und es "strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag zu legen!"
Ein Aufruf zur Toleranz? Der Rat jedenfalls, fest an die eigene Wahrheit zu glauben und die anderen davon zu überzeugen. Ohne die letzte Gewißheit freilich, daß der eigene Glaube der wahre ist.
Die drei Ringe stehen für das Christentum, das Judentum und den Islam. Aber wo ist in dieser Parabel eigentlich das, was die Autoren der sechs Thesen hervorheben - die Tradition, die von der Antike zu eben jener Aufklärung führt, für die Lessing selbst steht? Müßte es dafür nicht eigentlich einen vierten Sohn, einen vierten Ring geben?
Hat Lessing am Ende just das in der Parabel darzustellen vergessen, wofür er selbst steht? Nein. Für die Aufklärung steht natürlich der weise Richter.
Es ist für Lessing klar, daß die Aufklärung nicht neben die Religion tritt, gar gegen sie antritt; sondern sie ist - neben anderen Aspekten - eine Haltung in Bezug auf die Religion. Ein Haltung, die jedem Religiösen rät, seinem Glauben treu zu bleiben, dabei aber auch den des anderen zu respektieren.
Lessing plädiert nicht für Aufklärung statt Religion, sondern für eine aufgeklärte Form der Religiosität.
Der Richter rät den drei Söhnen ja nicht, ihren jeweiligen Ring als wertlos zu erkennen und ihn wegzuwerfen. Ganz im Gegenteil: Jeder soll den seinigen für den echten halten.
Nathan denkt nicht daran, seinen jüdischen Glauben zu verleugnen. Die Aufklärung verlangt es von uns nicht, unsere christlich-jüdische Tradition zu verleugnen.
Keine der anderen Hochkulturen hat etwas hervorgebracht, das den Rang unserer abendländischen Aufklärung erreicht hätte; gewiß nicht von den Wirkungen her. Keine andere Kultur hat einen demokratischen Rechtsstaat hervorgebracht. Keine hat mit der geistigen Aufklärung und zugleich der gesellschaftlichen Freiheit die Grundlagen für eine wissenschaftlich-technische Revolution gelegt.
In dieser abendländischen, in unserer westlichen Kultur sind die christliche und die griechisch-römische Tradition nicht nur keine Gegensätze, sondern das Christentum ist eine der wesentlichen Brücken von der Antike zum Mittelalter.
Die griechische Philosophie ist ja nicht erst in der Renaissance oder gar erst in der Philosophie der Neuzeit rezipiert worden. Thomas von Aquin (1225 – 1274) nannte Artistoteles philosophus, den Philosophen, so hoch schätzte er ihn.
Ebenso wenig ist die Aufklärung, auf die sich die FDP-Autoren zu Recht berufen, ohne die christliche Tradition denkbar. Der cartesianische Rationalismus ist das Kind der Scholastik, und von Descartes führt der Weg zu Leibniz und Kant ebenso wie zu Locke und Hume.
Die attische Demokratie und die griechische Aufklärung, die römische Republik und die römische Rechtsstaatlichkeit, die Religionen des Alten und des Neuen Testaments - das sind nicht unverbunden nebeneinander stehende Traditionen, sondern es sind Einflüsse, aus deren Wechselwirkung unsere abendländische Kultur hervorgegangen ist.
Der Islam gehört nicht dazu.
Gewiß steht die arabisch-islamische Kultur der abendländischen näher als, sagen wir, die chinesische oder die aztekische Hochkultur. Der Islam basiert auf dem Judentum und dem Christentum; die arabische Hochkultur hat ihre wesentliche Grundlage in der byzantinischen Kultur, die ihrerseits auf die des klassischen Rom zurückgeht.
Aber auf dieser gemeinsamen Grundlage haben sich die abendländische und die islamische Kultur doch getrennt entwickelt: Manchmal im fruchtbaren kulturellen Austausch, oft genug aber in kriegerische Auseinandersetzungen verstrickt; vom arabischen Vordringen nach Südwesteuropa und die spätere Reconquista über die Kreuzzüge bis zum Eindringen der Türken hinein in Südosteuropa; bekanntlich bis vor Wien.
Die Ringparabel fordert (wenn man sie so plakativ interpretieren möchte) zur religiösen Toleranz auf. Aber sie liefert kein Modell für die Beziehung zwischen den Kulturen. Unsere Kultur ist christlich und jüdisch geprägt; niemals war sie islamisch geprägt.
Und weiter: Gerade wenn man sich vehement auf die Aufklärung beruft - worin ich den FDP-Autoren bereitwillig folge -, beruft man sich damit auch auf die christlich-jüdische Tradition. Eine islamische Aufklärung hingegen hat es nicht gegeben. Wer Optimist ist, der mag sie für die Zukunft erhoffen.
Das Grundgesetz garantiert die freie Religionsausübung. Das Grundgesetz sagt aber nicht, daß Deutschland eine multikulturelle Gesellschaft ist. Es beinhaltet keine Leitkultur, aber es besagt auch nicht, daß es keine Leitkultur geben darf.
Kultur läßt sich überhaupt nicht gesetzlich regeln. Gesetze können nur den Rahmen für Kultur schaffen; sie können und sollten sicherstellen, daß Kultur sich frei entfalten kann.
Wie sie sich entfaltet, das ist Sache der Bürger. Es ist eine Frage der Sitten und Gebräuche, die sie pflegen; der Kunstwerke, die sie produzieren und rezipieren; dessen, was ihre Denker und ihre Schriftsteller beitragen. Und es ist Sache ihrer Religionsgemeinschaften.
Es stimmt, daß - wie die FDP-Autoren es formulieren - die "Toleranzidee ... die Grundlage für das religiöse Zusammenleben in unserem Land" ist. Hier paßt die Ringparabel. Jeder hat das Recht, seine eigene Religion innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes frei zu praktizieren. Jeder ist gehalten, die Religion der anderen - ebenso, nebenbei bemerkt, wie die Weltanschauung von Atheisten und Agnostikern - zu respektieren.
Aber das hat nichts mit Integrationspolitik zu tun. Bei der Integration geht es um Kultur; nicht um Religion, die nur ein Teil der Kultur ist. Aus religiöser Toleranz folgt nicht kulturelle Indolenz.
Integration heißt selbstredend nicht, jemanden zur Konversion zu veranlassen. Integration bedeutet aber, daß Einwanderer, die sich auf Dauer in Deutschland niederlassen, Deutsche werden. Daß sie also unsere Kultur übernehmen (und sie dabei auch bereichern).
Ich wünsche den Thesen der fünf FDP-Politiker noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit, als sie bisher erfahren haben. Bisher scheint sich die Diskussion überwiegend im Internet abzuspielen; und da nun sind die Beiträge nicht nur - was zu wünschen ist - kontrovers, sondern auch von sehr unterschiedlicher Qualität.
Empfohlen habe ich bereits im ersten Teil den Artikel von Rayson in B.L.O.G., der differenziert und kundig argumentiert und das Thema in den Kontext des traditionellen Spannungsfelds zwischen Christentum und Liberalismus stellt.
In The European ist, seit ich den ersten Teil geschrieben habe, die Diskussion um weitere Beiträge bereichert worden.
Auf den Artikel von Alexander Görlach habe ich schon im ersten Teil hingewiesen. Arg polemisch für meinen Geschmack; aber in der Sache stimme ich ihm zu: Die Autoren der Thesen rennen offene Türen ein, wenn sie darauf hinweisen, daß unsere Kultur auch andere Wurzeln hat als das Christentum. Sie schütten aber das Kind mit dem Bad aus, wenn sie deshalb auf die Integration von Einwanderern in unsere christlich geprägte Leitkultur verzichten wollen.
Auch Andreas Püttmann haut kräftig auf die Pauke ("uninformierte[s] und unreflektierte[s] Geschwätz"); seltsam eigentlich, angesichts der zwar angreifbaren, aber doch sachlich formulierten sechs Thesen. Püttmann, immerhin mit dem Katholischen Journalistenpreis ausgezeichnet, erweckt den Eindruck, wir stünden vor einem neuen Kulturkampf à la Bismarck vs. Katholizismus.
Geht es noch polemischer? Ja, und zwar von der anderen Seite.
Als ich den Artikel Püttmanns las, habe ich mich gefragt, ob es denn diesen Typus des wild auf das Christentum einprügelnden Jakobiners überhaupt noch gibt, vor dem Püttmann die Kirche in Schutz nehmen möchte.
Ja, es gibt ihn. In der "Achse des Guten" ist ein Artikel des Gastautors Beda M. Stadler zu lesen, der dieses Klischee aufs Schönste erfüllt; man glaubt sich ins 19. Jahrhundert versetzt. Kostprobe:
Nur sehen die fünf FDP-Autoren leider nicht, daß dann, wenn man das korrigiert, sich das Problem nicht in republikanischem Wohlbefinden auflöst. Die Herausforderung, daß Menschen aus einem anderen Kulturkreis sich an unsere Kultur assimilieren müssen, bleibt.
Hier ist diese These vollständig; ich habe lediglich zur besseren Lesbarkeit Absätze eingefügt:
Die Formel vom christlich-jüdischen Abendland kann kein integratives Leitbild sein. Zwar enthält sie viel Wahres über die europäische Geschichte. Das Grundgesetz verlangt jedoch nach einem Leitbild, das unabhängig von der Religion oder persönlichen religiösen Überzeugungen ist.Auf den ersten Blick erscheint diese These einsichtig.
Zudem wissen wir, dass viele, die sich in Deutschland integrieren wollen und sollen, weder Juden noch Christen sind. Die Formel vom christlich-jüdischen Abendland kann daher als Ausgrenzungsformel missverstanden werden.
Die Formel vom christlich-jüdischen Abendland ist auch als Beschreibung unserer Vergangenheit nicht vollständig. Unsere abendländische Kultur ist nicht ohne die Errungenschaften vorchristlicher Zeit und der Aufklärung denkbar: Die Wurzeln unserer Vorstellungen zu Gerechtigkeit und Herrschaftslegitimation finden sich bereits im alten Ägypten. Demokratie als Staatsprinzip wurde im heidnischen Griechenland geboren. Republikanismus als staatsbürgerliches Selbstverständnis wuchs im heidnisch-synkretistischen Rom der Antike.
Die Aufklärung durchdringt unser heutiges Verständnis von Staat und Gesellschaft, von der Rolle des Individuums und der Religionen. Sie erhebt die Toleranz zur Bürgertugend. Zum Erbe der deutschen Aufklärung gehört unbestreitbar Lessings Ringparabel. Sie kennt drei Ringe, die für Christentum, Judentum und Islam stehen. Diese pointierte Formulierung der Toleranzidee ist die Grundlage für das religiöse Zusammenleben in unserem Land.
Es stimmt, daß das Grundgesetz die Freiheit der Religion und der persönlichen Überzeugung garantiert. Wir leben in einem säkularen Staat.
Es stimmt, daß unsere Kultur viele Wurzeln hat. (Allerdings erschiene es mir näherliegend, neben der christlich-jüdischen und der griechisch-römischen die germanische zu nennen; statt der doch etwas in der Ferne liegenden ägyptischen).
Es stimmt, daß unser heutiges Verständnis von Staat und Gesellschaft der Aufklärung Entscheidendes verdankt. Die Achtung vor der Überzeugung Anderer, die Lessing in der Ringparabel ausdrückt, ist eine der Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats.
Dennoch halte ich diese These in ihrem Kern für falsch. Sie ist falsch, weil sie einen Gegensatz zwischen der christlich-jüdischen Tradition einerseits und auf der anderen Seite der Tradition der Antike und der Aufklärung konstruiert. Das wird der abendländischen Kultur nicht gerecht, und es ist ein ganz unglücklicher Ausgangspunkt für eine vernünftige Integrationspolitik.
Die Autoren schließen mit Lessings Ringparabel aus "Nathan der Weise". Lassen Sie mich mit ihr beginnen.
Der Jude Nathan erzählt sie dem Sultan Saladin, der ihn aufgefordert hatte: "Da du nun so weise bist: so sage mir doch einmal – was für ein Glaube, was für ein Gesetz hat dir am meisten eingeleuchtet?"
Nathan erkennt die Falle. In einem sich anschließenden Monolog sagt er: "So ganz Stockjude sein zu wollen, geht schon nicht. – Und ganz und gar nicht Jude, geht noch minder. Denn, wenn kein Jude, dürft er mich nur fragen, warum kein Muselmann?" Also entschließt sich Nathan, statt einer klaren Antwort eine Parabel vorzutragen. Erfreut sagt er zu sich: "Das wars! Das kann mich retten! – Nicht die Kinder bloß speist man mit Märchen ab".
Lesen Sie diese Parabel bei Lessing nach und erfreuen Sie sich an Lessings Sprache und seiner Klugheit. Ich will sie nicht erzählen, sondern mich mit der Pointe begnügen: Von drei Ringen, die ein Vater seinen drei Söhnen auf dem Sterbebett vermacht, ist wahrscheinlich keiner der echte, der den Träger "den Menschen angenehm macht"; jedenfalls läßt sich die Echtheit nicht ermitteln. ("Der echte Ring vermutlich ging verloren").
Dies entscheidet ein weiser Richter, an den sich die Söhne gewandt hatten, und gibt ihnen dann noch einen guten Rat: Es "glaube jeder sicher seinen Ring den echten", und es "strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag zu legen!"
Ein Aufruf zur Toleranz? Der Rat jedenfalls, fest an die eigene Wahrheit zu glauben und die anderen davon zu überzeugen. Ohne die letzte Gewißheit freilich, daß der eigene Glaube der wahre ist.
Die drei Ringe stehen für das Christentum, das Judentum und den Islam. Aber wo ist in dieser Parabel eigentlich das, was die Autoren der sechs Thesen hervorheben - die Tradition, die von der Antike zu eben jener Aufklärung führt, für die Lessing selbst steht? Müßte es dafür nicht eigentlich einen vierten Sohn, einen vierten Ring geben?
Hat Lessing am Ende just das in der Parabel darzustellen vergessen, wofür er selbst steht? Nein. Für die Aufklärung steht natürlich der weise Richter.
Es ist für Lessing klar, daß die Aufklärung nicht neben die Religion tritt, gar gegen sie antritt; sondern sie ist - neben anderen Aspekten - eine Haltung in Bezug auf die Religion. Ein Haltung, die jedem Religiösen rät, seinem Glauben treu zu bleiben, dabei aber auch den des anderen zu respektieren.
Lessing plädiert nicht für Aufklärung statt Religion, sondern für eine aufgeklärte Form der Religiosität.
Der Richter rät den drei Söhnen ja nicht, ihren jeweiligen Ring als wertlos zu erkennen und ihn wegzuwerfen. Ganz im Gegenteil: Jeder soll den seinigen für den echten halten.
Nathan denkt nicht daran, seinen jüdischen Glauben zu verleugnen. Die Aufklärung verlangt es von uns nicht, unsere christlich-jüdische Tradition zu verleugnen.
Keine der anderen Hochkulturen hat etwas hervorgebracht, das den Rang unserer abendländischen Aufklärung erreicht hätte; gewiß nicht von den Wirkungen her. Keine andere Kultur hat einen demokratischen Rechtsstaat hervorgebracht. Keine hat mit der geistigen Aufklärung und zugleich der gesellschaftlichen Freiheit die Grundlagen für eine wissenschaftlich-technische Revolution gelegt.
In dieser abendländischen, in unserer westlichen Kultur sind die christliche und die griechisch-römische Tradition nicht nur keine Gegensätze, sondern das Christentum ist eine der wesentlichen Brücken von der Antike zum Mittelalter.
Die griechische Philosophie ist ja nicht erst in der Renaissance oder gar erst in der Philosophie der Neuzeit rezipiert worden. Thomas von Aquin (1225 – 1274) nannte Artistoteles philosophus, den Philosophen, so hoch schätzte er ihn.
Ebenso wenig ist die Aufklärung, auf die sich die FDP-Autoren zu Recht berufen, ohne die christliche Tradition denkbar. Der cartesianische Rationalismus ist das Kind der Scholastik, und von Descartes führt der Weg zu Leibniz und Kant ebenso wie zu Locke und Hume.
Die attische Demokratie und die griechische Aufklärung, die römische Republik und die römische Rechtsstaatlichkeit, die Religionen des Alten und des Neuen Testaments - das sind nicht unverbunden nebeneinander stehende Traditionen, sondern es sind Einflüsse, aus deren Wechselwirkung unsere abendländische Kultur hervorgegangen ist.
Der Islam gehört nicht dazu.
Gewiß steht die arabisch-islamische Kultur der abendländischen näher als, sagen wir, die chinesische oder die aztekische Hochkultur. Der Islam basiert auf dem Judentum und dem Christentum; die arabische Hochkultur hat ihre wesentliche Grundlage in der byzantinischen Kultur, die ihrerseits auf die des klassischen Rom zurückgeht.
Aber auf dieser gemeinsamen Grundlage haben sich die abendländische und die islamische Kultur doch getrennt entwickelt: Manchmal im fruchtbaren kulturellen Austausch, oft genug aber in kriegerische Auseinandersetzungen verstrickt; vom arabischen Vordringen nach Südwesteuropa und die spätere Reconquista über die Kreuzzüge bis zum Eindringen der Türken hinein in Südosteuropa; bekanntlich bis vor Wien.
Die Ringparabel fordert (wenn man sie so plakativ interpretieren möchte) zur religiösen Toleranz auf. Aber sie liefert kein Modell für die Beziehung zwischen den Kulturen. Unsere Kultur ist christlich und jüdisch geprägt; niemals war sie islamisch geprägt.
Und weiter: Gerade wenn man sich vehement auf die Aufklärung beruft - worin ich den FDP-Autoren bereitwillig folge -, beruft man sich damit auch auf die christlich-jüdische Tradition. Eine islamische Aufklärung hingegen hat es nicht gegeben. Wer Optimist ist, der mag sie für die Zukunft erhoffen.
Das Grundgesetz garantiert die freie Religionsausübung. Das Grundgesetz sagt aber nicht, daß Deutschland eine multikulturelle Gesellschaft ist. Es beinhaltet keine Leitkultur, aber es besagt auch nicht, daß es keine Leitkultur geben darf.
Kultur läßt sich überhaupt nicht gesetzlich regeln. Gesetze können nur den Rahmen für Kultur schaffen; sie können und sollten sicherstellen, daß Kultur sich frei entfalten kann.
Wie sie sich entfaltet, das ist Sache der Bürger. Es ist eine Frage der Sitten und Gebräuche, die sie pflegen; der Kunstwerke, die sie produzieren und rezipieren; dessen, was ihre Denker und ihre Schriftsteller beitragen. Und es ist Sache ihrer Religionsgemeinschaften.
Es stimmt, daß - wie die FDP-Autoren es formulieren - die "Toleranzidee ... die Grundlage für das religiöse Zusammenleben in unserem Land" ist. Hier paßt die Ringparabel. Jeder hat das Recht, seine eigene Religion innerhalb der Grenzen des Grundgesetzes frei zu praktizieren. Jeder ist gehalten, die Religion der anderen - ebenso, nebenbei bemerkt, wie die Weltanschauung von Atheisten und Agnostikern - zu respektieren.
Aber das hat nichts mit Integrationspolitik zu tun. Bei der Integration geht es um Kultur; nicht um Religion, die nur ein Teil der Kultur ist. Aus religiöser Toleranz folgt nicht kulturelle Indolenz.
Integration heißt selbstredend nicht, jemanden zur Konversion zu veranlassen. Integration bedeutet aber, daß Einwanderer, die sich auf Dauer in Deutschland niederlassen, Deutsche werden. Daß sie also unsere Kultur übernehmen (und sie dabei auch bereichern).
Ich wünsche den Thesen der fünf FDP-Politiker noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit, als sie bisher erfahren haben. Bisher scheint sich die Diskussion überwiegend im Internet abzuspielen; und da nun sind die Beiträge nicht nur - was zu wünschen ist - kontrovers, sondern auch von sehr unterschiedlicher Qualität.
Empfohlen habe ich bereits im ersten Teil den Artikel von Rayson in B.L.O.G., der differenziert und kundig argumentiert und das Thema in den Kontext des traditionellen Spannungsfelds zwischen Christentum und Liberalismus stellt.
In The European ist, seit ich den ersten Teil geschrieben habe, die Diskussion um weitere Beiträge bereichert worden.
Auf den Artikel von Alexander Görlach habe ich schon im ersten Teil hingewiesen. Arg polemisch für meinen Geschmack; aber in der Sache stimme ich ihm zu: Die Autoren der Thesen rennen offene Türen ein, wenn sie darauf hinweisen, daß unsere Kultur auch andere Wurzeln hat als das Christentum. Sie schütten aber das Kind mit dem Bad aus, wenn sie deshalb auf die Integration von Einwanderern in unsere christlich geprägte Leitkultur verzichten wollen.
Auch Andreas Püttmann haut kräftig auf die Pauke ("uninformierte[s] und unreflektierte[s] Geschwätz"); seltsam eigentlich, angesichts der zwar angreifbaren, aber doch sachlich formulierten sechs Thesen. Püttmann, immerhin mit dem Katholischen Journalistenpreis ausgezeichnet, erweckt den Eindruck, wir stünden vor einem neuen Kulturkampf à la Bismarck vs. Katholizismus.
Geht es noch polemischer? Ja, und zwar von der anderen Seite.
Als ich den Artikel Püttmanns las, habe ich mich gefragt, ob es denn diesen Typus des wild auf das Christentum einprügelnden Jakobiners überhaupt noch gibt, vor dem Püttmann die Kirche in Schutz nehmen möchte.
Ja, es gibt ihn. In der "Achse des Guten" ist ein Artikel des Gastautors Beda M. Stadler zu lesen, der dieses Klischee aufs Schönste erfüllt; man glaubt sich ins 19. Jahrhundert versetzt. Kostprobe:
Die Verteidiger der christlichen Kultur schweigen sich darüber aus, ob einige Offenbarungen, etwa das Alte Testament, noch gelten. Dies ist verständlich, steht doch in dieser Anleitung zum Christentum drin, wie man Frauen und Schwule steinigt, die eigenen Kinder auf den Grill legt, die Töchter zur Massenvergewaltigung freigibt oder den eigenen Vater vergewaltigt. Die christliche Kultur soll sich daher mehrheitlich im Neuen Testament oder, noch präziser, in der Bergpredigt verstecken. Dort steht aber, auch die andere Wange hin- zuhalten. Nur, so blöd sind weder Menschen noch Affen.Da lobe ich mir doch die Diskussionsbeiträge in The European; neben den Genannten zum Beispiel den von Jost Kaiser, der das herausarbeitet, was auch aus meiner Sicht das Richtige an der These der FDP-Politiker ist: Wenn die Integrationsdebatte ausschließlich als Diskussion um Religionen geführt wird, dann wird sie auf der falschen Ebene geführt.
Nur sehen die fünf FDP-Autoren leider nicht, daß dann, wenn man das korrigiert, sich das Problem nicht in republikanischem Wohlbefinden auflöst. Die Herausforderung, daß Menschen aus einem anderen Kulturkreis sich an unsere Kultur assimilieren müssen, bleibt.
© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette: Friedrich Naumann. Skizze von Max Liebermann zu einem Porträt. Mit Dank an Nonkonformist.