7. Dezember 2010

Zitat des Tages: "Die Gagen werden mathematisch ermittelt". Henckel von Donnersmarck, Hollywood, Gerechtigkeit

Seidl: Zweistellige Millionen-Gagen: Verdienen Hollywood-Stars zu viel? Sind sie das wert?

Henckel von Donnersmarck: Sie sind es. Ich meine, das wird ja mathematisch ermittelt. Das ist kein willkürlicher Wert, es geht um die Summe, die man in die Werbung stecken müsste, wenn ein unbekannter Schauspieler dieselbe Rolle spielen würde. Das ist ihre Leistung: Sie bringen einem Film die Aufmerksamkeit.


Aus einem Interview, das Claudius Seidl für die FAZ mit dem Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck ("Das Leben der Anderen") führte.


Kommentar: Eigentlich habe ich dieses Interview gelesen, weil ich mich für Henckel von Donnersmarck als Regisseur interessiere. Ich fand seinen Film "Das Leben der Anderen" faszinierend; es gab dazu in ZR etliche Artikel (siehe unten).

Interessant fand ich beim Lesen des Interviews aber weniger, was Donnersmarck über seine Regiearbeit sagt, sondern was er über Hollywood berichtet. Zum Beispiel über das Verhältnis zwischen Regisseuren und Produzenten:
Es ist ein erstaunlich weit verbreitetes Missverständnis, dass die Studios den Regisseuren dauernd hineinreden. Das gibt es aber nicht, ich kenne keinen einzigen Fall. Auch keinen, wo das Studio den Regisseur gezwungen hätte, seinen Film anders zu schneiden, als er das selber wollte. Ein Film ist wie ein großes Schiff: so schwer zu steuern, dass es überhaupt nichts bringt, wenn einem ein anderer ins Steuer greift.
Oder über den Life Style in Hollywood:
Ich hatte erwartet, dass es dort lasziver und sexuell dekadenter zuginge. Dass es abenteuerlicher wäre. Dass jeder mit jeder schläft. Es sind aber lauter hart arbeitende Menschen, die nicht zu spät zu Bett gehen, weil sie morgens um sechs eine Verabredung mit dem Personal Trainer haben. Sie trinken, weil es den Menschen nicht schöner macht, keinen Alkohol und leben treu und bürgerlich.
Nicht überraschend vielleicht, aber doch ernüchternd. In der Traumfabrik arbeiten keine Träumer. Um Glamour zu produzieren, muß man nicht glamourös leben. So, wie der Humorist im Privatleben kein Witzbold sein muß; oft ist er eher das Gegenteil.



Ernüchternd mag auch das klingen, was Donnersmarck über die Gagen sagt. Es weist auf eine zwingende Logik hin: Kein Produzent schenkt seinen Stars Geld. Er bezahlt sie auf der Grundlage seiner Kalkulation. Würden sie weniger verdienen, dann würde er weniger Profit machen. Jedenfalls rechnet er damit.

Deshalb sind diese Gagen gerecht. Sie sind ebenso gerecht wie die Einkommen von Managern. Auch diese verdienen das, was sie bekommen, weil sie dem Unternehmen so viel wert sind. Weil also der Aufsichtsrat der Auffassung ist, daß die Investition in das betreffenden Gehalt sich rechnet; daß es von Nachteil für das Unternehmen wäre, weniger zu zahlen.

Wie das im Einzelnen ermittelt wird, wie also diese Gehälter zustandekommen, habe ich einmal beschrieben (Das "Prinzip Gier"? Stammtischgerede! Über die Ursachen des Anstiegs von Managergehältern; ZR vom 17. Mai 2009). Es funktioniert im Prinzip wie auf dem Wochenmarkt: Wie dort jeder Händler den Preis an dem orientiert, was die anderen Händler verlangen, richten sich auch die Gehaltskommissionen nach dem, was der betreffende Bewerber in einer vergleichbaren Firma verdienen würde.



Ja aber pervertiert es denn nicht den Begriff der Gerechtigkeit, die Gehälter, die sich so ergeben, als gerecht zu bezeichnen? Ist denn etwas gerecht, nur weil es marktgerecht ist?

Man könnte das mit Bodenhaftung diskutieren, wenn es andere Kriterien dafür gäbe, was denn eine gerechte Bezahlung von Arbeit ist. Ich kenne kein solches Kriterium.

Die Mühsal der Arbeit? Dann müßte der Arbeiter am Hochofen mehr verdienen als ein Direktor seines Unternehmens.

Der Aufwand für die Ausbildung? Dann wären unter den Spitzenverdienern die Ägyptologen, die Astronomen, die Fachleute für seltene Sprachen, die erst mit vielleicht vierzig Jahren, wenn sie sich habilitieren, ihre Ausbildung abgeschlossen haben.

Die Verantwortung? Dann hätte ein Angehöriger des aussterbenden Berufs der Schrankenwärter in die höchste Einkommensklasse gehört; dann gehörte ein Fluglotse dorthin. Dann sollte ein Schriftsteller, dessen Verantwortung nahe Null ist, gerechterweise zu den Niedriglöhnern zählen.

Oder ist "gerecht" einfach nur eine geringe Spreizung der Einkommen? Auf die Zunahme der Spreizung wird gern von denen hingewiesen, die eine "wachsende Ungerechtigkeit" beklagen. Aber welche Spreizung ist gerecht, welche ungerecht? Vor drei Jahren hat dazu Christoph Keese in in "Welt-Online" geschrieben:
In Mittelstand und kleineren Aktiengesellschaften sind Gehälter mit dem Faktor 10 bis 20 üblich. (...) Ungern aber liefern Politiker eine Begründung, warum sie den einen Faktor für gerecht und den anderen für ungerecht halten. Wie viel mehr darf ein Vorstand verdienen, damit es gerecht zugeht? Zehnmal, hundertmal, tausendmal mehr als ein Sachbearbeiter?
Keese erinnert dann an den amerikanischen Philosophen John Rawls, der eine einflußreiche Theorie sozialer Gerechtigkeit vorgelegt hat.

Rawls hat das folgende Gedankenexperiment ersonnen:

Zwei Menschen, von denen keiner weiß, was einmal aus ihm werden wird; sie befinden sich unter dem "Schleier des Unwissens" (veil of ignorance). Beide haben dieselbe Chance, ganz oben oder ganz unten in der Hierarchie der Einkommen anzukommen. Sie sollen sich auf die jeweiligen Einkommen einigen.

Sie werden sich aus Eigeninteresse - jeder kann ja ganz unten ankommen - darauf verständigen, daß auch bei dem niedrigen Einkommen ein anständiges Leben möglich sein muß; daß es also entsprechend bemessen sein sollte.

Auf den ersten Blick scheint es, daß sie sich auf ein sehr hohes Einkommen für den Anderen einigen können, denn jeder könnte das ja sein. Aber wenn sie genauer überlegen, merken sie, daß eine allzu große Spreizung Neid und Unzufriedenheit auslöst. Also werden sie sich, wenn sie vernünftig sind, auf ein Einkommen einigen, das sozial akzeptabel ist.

Das Problem ist natürlich, was "sozial akzeptabel" ist. Sehr weit führt dieses Gedankenexperiment somit leider nicht.

In Deutschland wird seit Jahren von Seiten der Linken eine Diskussion geführt mit dem offenkundigen Ziel, die bestehende Spreizung sozial inakzeptabel zu machen.

In Rawls' Gedankenexperiment würde das zwar das Einkommen des Reichen mindern, aber dasjenige des Armen um keinen Cent steigern.



Die Artikel in ZR zu "Das Leben der Anderen":
  • "Das Leben der Anderen". Ein politischer Film?; ZR vom 3. 12. 2006

  • Rückblick: Das Leben der Anderen. Oder: Einmal ist keinmal; ZR vom 15. 12. 2006

  • Erneuter Rückblick: "Das Leben der Anderen". Nebst einem Lob amerikanischer Filmkritik; ZR vom 9. 2. 2007

  • Oscar für "Das Leben der Anderen"; ZR vom 26. 2. 2007

  • Zum Tod von Ulrich Mühe; ZR vom 25. 7. 2007



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