24. Dezember 2010

Kleines Klima-Kaleidoskop (18): Der weiße Planet

Eine der brillantesten, aber leider schon - wie's scheint - halbvergessenen Ideen dieses Jahres stammt von dem Harvard-Physiker Russell Seitz.

Sie beruht auf folgender Beobachtung: winzige Luftblasen lassen das Meer hellblau schimmern! Was als Naturerscheinung bislang dem Vergnügen von Urlaubern diente, die sich an Wasserfällen und Schaumkronen erfreuen, könnte demnächst, technisch verfeinert, die Welt vor der Klimakatastrophe retten.

Russell Seitz fand nämlich heraus, daß Wasser doppelt so viel Licht reflektiert, wenn man pro Liter 250 Millionen Luftbläschen hineintut. Das klingt nach einer Menge Schaum, tatsächlich reicht aber ein Kubikmillimeter Luft dafür schon aus, wenn man die Bläschen nur genügend klein macht. Die Oberfläche der Bläschen wirkt wie ein Spiegel, und zwar nicht nur für Licht, sondern auch für Wärmestrahlen.

Helle Bereiche der Erdoberfläche wie die Polkappen oder die Wüsten spiegeln Wärmestrahlung in den Weltraum und kühlen auf diese Weise die Atmosphäre ab. Man könnte nun, so Seitz, das Weltmeer ebenfalls für diesen Zweck einspannen, indem man die zehntausend Schiffe, die ständig auf den Ozeanen unterwegs sind, Pressluft in das Meer pumpen ließe. Das aufgehellte Wasser würde sich mit der Meeresströmung weithin verteilen, da sich solche winzigen Bläschen längere Zeit halten könnten.

Den heutigen Klimamodellen zufolge würde ein derart aufgehelltes Weltmeer die Temperatur der Atmosphäre um 3°C senken, mehr als genug, um das Klima schön frisch und kühl zu halten, wie wir es gewohnt sind.

Die Landoberfläche der Erde wurde vom Menschen bereits weitgehend umgestaltet, wobei sie immer dunkler geworden ist. Dieser sog. "Albedo-Fußabdruck" ist bislang noch kaum in unser schlechtes Gewissen vorgedrungen, doch mit dem Luftblasenprojekt steht die Lösung bereits vor der Tür: geben wir der Erde die Helligkeit zurück, die wir ihr genommen haben! Brighten the water.

(Siehe die Pressemeldung Could Tiny Bubbles Cool the Planet? und den kompletten Aufsatz Bright Water- hydrosols, water conservation and climate change.)


Prof. Seitz' Idee ist nur der jüngste einer ganzen Reihe von Vorschlägen, die man als Geo-Engineering bezeichnet: die großflächige Beeinflussung der Lebensbedingungen auf der Erde durch technische Maßnahmen.

Die Geoingenieure retten unseren Planeten vor der Klimakatastrophe nicht durch Bekämpfung vermuteter Ursachen, sondern indem sie Gegenmaßnahmen ergreifen. Ihre Vorschläge zielen darauf, die Erdatmosphäre mit geeigneten Mitteln abzukühlen, um die erwärmenden Effekte auszugleichen.

Die Klimadogmatiker lieben diese Ideen nicht sehr. Obwohl sie strenggenommen nicht im Widerspruch zur herkömmlichen Klimapolitik stehen, lenken sie doch von dem zentralen CO2-Thema ab, das man der Öffentlichkeit nahebringen möchte.

Auf der anderen Seite sind auch die Klimaskeptiker nicht begeistert. Da ihrer Ansicht nach das Problem gar nicht existiert, braucht man diese Lösung genausowenig wie jene der Dogmatiker.

Somit sitzen die Geoingenieure zwischen den Stühlen. Auch kulturgeschichtlich gehören sie zwei gegensätzlichen Epochen an: dem technokratischen Zeitalter, welches die 50er bis 70er Jahre umfaßt, als man glaubte, die Welt im großen Stil gestalten zu können, allerdings zu unserem eigenen Nutzen - und dem jetzigen ökologischen Zeitalter, in welchem man die Welt vor uns retten möchte; in allen Umgestaltungsversuchen jedoch vornehmlich die Ursache unvorhersehbarer Großkatastrophen sieht.

Zumindest muß man den Ingenieuren lassen, daß ihre Beiträge zur Debatte die bei weitem fantasievollsten sind. Weder der Ansatz der Skeptiker, einfach weiterzumachen und das Klima zu nehmen wie es eben kommt, noch die Vorstellung der Dogmatiker, in kalten Wohnungen hockend dem Dröhnen der Windräder zu lauschen, können mit dem Unterhaltungswert des Geo-Engineerings konkurrieren.


Allein zum Zweck der globalen Beleuchtungsregulierung wurden in den letzten Jahren folgende Vorschläge entwickelt:

1. Man könnte ungenutzte Gebiete mit reflektierenden Kunststoffplanen bedecken, um so die Wärme der Atmosphäre in den Weltraum zu spiegeln.
2. Einen ähnlichen Effekt könnte man erzielen, indem man Pflanzen, sei es Nutzpflanzen, sei es Gräser, mit hellerer Oberfläche anbaut.
3. Die zunehmende Hitze in den Städten ließe sich durch einen helleren Anstrich von Gebäuden und Straßen verringern.
4. In hochgelegenen Regionen die Wälder abzuholzen würde dort eine geschlossene Schneedecke herbeiführen, die ebenfalls das Licht zurückstrahlt.
5. Der schwindende Eisspiegel der Arktis ließe sich vielleicht stabilisieren, indem man ihn mit Meerwasser besprüht.
6. Wolken halten das Sonnenlicht ab: also müßte man nur mehr Wolken künstlich erzeugen, und die Atmosphäre würde kühler werden.
7. Zusätzlich könnte man die niedrigen Wolken heller machen, indem man Meerwasser von speziellen Nebelwerferschiffen in die Höhe sprüht.
8. Zirkuläre Meeresströmungen umschließen große Bereiche treibenden Kunststoff-Abfalls, wie zum Beispiel den Great Pacific Garbage Patch im Nordpazifik. Würde man dem Müll eine größere Menge helleren Materials hinzufügen, würden diese Meeresgegenden mehr Licht reflektieren.
9. Prof. Seitz' neue Idee, das Weltmeer durch winzige Bläschen heller zu machen, wurde bereits geschildert.
10. Wenn die Triebwerke der Flugzeuge etwas ineffizienter arbeiteten, würden die Kondenstreifen breitere Schilde gegen das Sonnenlicht bilden.
11. Einige Milliarden kleiner Wasserstoffballons in der Stratosphäre mit glänzender Oberfläche aus Aluminium würden sich ebenfalls als Spiegel eignen. Man könnte es auch mit winzigen Metallsplittern versuchen. Die gleiche Wirkung haben auch Schwebeteilchen auf der Basis von Schwefeldioxid, wie man von Vulkanausbrüchen weiß; man könnte sie mit Flugzeugen, Ballonen und sogar Artilleriegeschützen dort hinaufbringen.
12. Oder wie wäre es damit, eine riesige Staubwolke um den Mond herum aufzuwirbeln, die dann um Neumond herum die Sonne verschleiert?
13. Zwischen der Erde und der Sonne gibt es einen Punkt, wo sich die Schwerkraft der beiden Himmelskörper aufhebt. Ein Gegenstand, der sich dort befindet, verharrt stets auf der Linie zwischen Erde und Sonne. Da könnte man einen Spiegel hinbringen; oder eine Zerstreuungslinse, die man aus einer dünnen etwa 1000 km großen Folie herstellen könnte.

(Wer sich im einzelnen mit diesen Projekten befassen möchte: die Liste in der Wikipedia ist ein guter Ausgangspunkt.)


Diesen Ansätzen gehört bestimmt die Zukunft. Die meisten davon würden zwar eine ungeheure Menge Geld kosten, bestimmt so viel wie der CO2-Klimaschutz, doch greifen sie weniger arg ins tägliche Leben ein; wir würden weiterhin winters in kurzen Ärmeln bei Glühlampenlicht zuhause sitzen können, während weit draußen im Weltall die Spiegelchen und im fernen Weltmeer die Bläschen im Freien für angenehme Kälte sorgen. Das ist jedoch bei weitem nicht der einzige Vorteil:

• Die Vielfalt der Maßnahmen kommt dem Staat entgegen, der statt einer einheitlichen CO2-Bürokratie eine große Zahl spezialisierter Behörden aufbauen kann. Mit Legitimationsproblemen kämpfende Bereiche wie die Raumfahrt könnten sich neue und wichtig erscheinende Aufgaben erschließen.

• Die räumliche Dimension der einzelnen Projekte ist oft erheblich kleiner als beim CO2-Ansatz, so daß die enormen Schwierigkeiten, globale Abkommen zu erreichen, beim Geo-Engineering vermieden werden können: wir klimaseligen Europäer müßten uns beispielsweise auf internationalen Konferenzen nicht mehr von anderen vorführen lassen, sondern könnten die Ozeane einfach selber aufschäumen, ob die Chinesen nun dabei mittun wollen oder nicht.

• Geo-Engineering beruht nicht auf Ursachenhypothesen, und stellt daher für die Klimapolitik eine Rückzugslinie dar, falls die CO2-Wasserdampf-Erwärmungs-Hypothese scheitern sollte. Wird es unangenehm warm, aus welchem Grund auch immer, müssen wir eben einfach unsere Gegenmaßnahmen ergreifen.

• So wie sich die Linke pazifistisch gibt, solange die bürgerliche Gesellschaft besteht, und militaristisch wird, sobald sie selber an der Macht ist, so dürfte sich auch das Verhältnis zur Ökologie umdrehen: vom Sparen, Einschränken und Verbieten zum Lenken, Umgestalten und Vorschreiben - von der CO2-Reduktion beim Menschen zur aktiven Steuerung der Naturvorgänge.

• Unverkennbar steht das Geo-Engineering ja nicht nur in der westlich-technokratischen Tradition der 60er-Jahre, sondern auch in der sowjetischen des Flüsseumlenkens und Regenmachens. Das klingt heute noch wie ein Nachteil, doch könnte das sowjetische Erbe, das ja sorgfältig vor der Diskreditierung bewahrt wird, auch einmal wieder in Mode kommen.

• Die von den kleinen Vergnügungen des Wohlstandes gelangweilte Menschheit wird vielleicht wieder nach neuen großen fesselnden Aufbrüchen verlangen, nach einer zeitgemäßen Utopie, die zu großem Tun aufruft, und dabei doch die Hybris des Glücksversprechens meidet und nur retten und erhalten will, und so gleichsam unvermeidlich ist. So sehr das Geo-Engineering heute zwischen den Fronten der Technokratie und der Ökologie steht, so sehr würde es sich morgen dazu eignen, diese Gegensätze zu versöhnen und zu überwinden. Konservativ gestimmte Mitmenschen sollten diesen Erwägungen gegenüber eigentlich aufgeschlossen sein.


Wir können natürlich noch nicht wissen, ob sich das Geo-Engineering durchsetzen wird, doch immerhin läßt sich schon zeigen, wie die Erde im Zeitalter des Engineering aussehen wird:



Offenbar zielen die meisten der vorgeschlagenen Maßnahmen darauf ab, die Erde hell und die Sonne klein und blaß zu machen.

Die kulturellen Implikationen hiervon wären weitreichend und tiefgründig. Das heliozentrische Zeitalter nach Kopernikus ging einher mit den Aufbrüchen in die Weite, der Entdeckung der Seewege, der europäischen Kolonialisierung der Kontinente, der Luft- und Raumfahrt, dem wissenschaftlichen Forschungsdrang ins Unbekannte. Mit dem Blick der Raumfahrer zurück auf den damals noch blauen Planeten, mit den Prognosen des Club of Rome, der Gaia-Hypothese, dem Öko-Biedermeier, der Selbstablehnung der westlichen Zivilisation begann die Rückkehr zu einer geozentrischen Kultur, die in der hellgrauen Welt des Geo-Engineering zu ihrem ästhetischen Ausdruck, zu einer unbestreitbaren sinnlichen Präsenz finden würde. Weniger Sonne - mehr Erde.

Heute herrscht der grüne Traum - und danach kommt - wer weiß - vielleicht der weiße Wahn.




© Kallias. Für Kommentare bitte hier klicken. Das Bild ist eine Bearbeitung eines Fotos der NASA (public domain).
Links zu allen Folgen dieser Serie finden Sie hier. Titelvignette: Drei Bilder, die sich durch das Schütteln eines Kaleidoskops ergeben. Fotografiert und in die Public Domain gestellt von rnbc.