2. Dezember 2010

Woody Allen wurde 75. Woody Allens jüdischer Humor

Woody Allen, der gestern 75 wurde, hat als Humorist angefangen. (Seine Biographie kann man zum Beispiel im Time Magazine nachlesen). Schon auf der Schule unterhielt er seine Mitschüler mit Witzen.

In Schulen für "Lehrer mit emotionalen Behinderungen" sei er gegangen, sagte er später. Und: Man habe ihn nicht in die Schachmannschaft aufgenommen, weil er zu klein gewesen sei. (Die Wahrheit ist, daß er hatte boxen wollen, im Federgewicht).

Oder: Er habe zum FBI gewollt, aber dazu hätte er groß sein müssen und keine Brille tragen. Daraufhin habe er damit geliebäugelt, ein großer Verbrecher zu werden - aber da galten dieselben Voraussetzungen.

Da haben wir schon die Ingredienzien des Humors von Woody Allen, damals noch Allan Stewart Konigsberg: Den Humor des Schwachen; des Ängstlichen, des von den anderen Bedrohten. Den Humor dessen aber auch, der einen Sachverhalt, eine Situation blitzschnell so dreht, daß ein überraschender Aspekt sichtbar wird. Jüdischer Humor also.

Der Witz als, nein, nicht Waffe. Eher als Schutzschild. Eine sehr intellektuelle Spielart des Humors.

Der junge Allan Konigsberg beherrschte das schnell so perfekt, daß er im Alter von 17 Jahren von einem Agenten engagiert wurde, Dave Alber, der solche Gags verkaufte. Er war so erfolgreich, daß er bald Gags für die Großen des Showgeschäfts schrieb. Mit 19 verdiente er bereits 1.500 Dollar in der Woche.

Viele der Witze Woody Allens sind Zweiteiler. Sie beginnen mit einer harmlosen, oft ins Philosophisch-Metaphysische hineinreichenden Feststellung, der im zweiten Teil eine überraschende Wendung gegeben wird. Hier einige Beispiele, die ich dieser Sammlung entnommen habe:
I'm astounded by people who want to 'know' the universe when it's hard enough to find your way around Chinatown.

Mich erstaunen die Leute, die das Universum "kennen" wollen, wenn es schwer genug ist, sich in Chinatown zurechtzufinden.

If only God would give me some clear sign! Like making a large deposit in my name in a Swiss bank.

Wenn Gott mir nur ein deutliches Zeichen senden würde! Etwa eine größere Einzahlung auf meinen Namen bei einer Schweizer Bank.

Life is full of misery, loneliness, and suffering - and it's all over much too soon.

Das Leben ist voller Elend, Einsamkeit und Leiden - und es ist viel zu schnell vorbei.

Most of the time I don't have much fun. The rest of the time I don't have any fun at all.

Die meiste Zeit habe ich wenig Spaß. Die übrigen Zeit habe ich überhaupt keinen Spaß.

Not only is there no God, but try getting a plumber on weekends.

Nicht nur gibt es keinen Gott, sondern versuchen Sie mal am Wochenende einen Klempner zu bekommen.

There are worse things in life than death. Have you ever spent an evening with an insurance salesman?

Es gibt Schlimmeres im Leben als den Tod. Haben Sie schon einmal einen Abend mit einem Versicherungs-vertreter verbracht?

Thought: Why does man kill? He kills for food. And not only food: frequently there must be a beverage.

Gedanke: Warum tötet der Mensch? Er tötet für Nahrung. Und nicht nur Nahrung: Oft muß es noch ein Getränk sein.

What if everything is an illusion and nothing exists? In that case, I definitely overpaid for my carpet.

Was, wenn alles eine Illusion ist und nichts existiert? In diesem Fall habe ich für meinen Teppich definitiv zu viel bezahlt.

I hate reality but it's still the best place to get a good steak.

Ich hasse die Wirklichkeit, aber dort kriegt man immer noch am besten ein gutes Steak.

I'm twelve years old. I run into a synagogue. I ask the rabbi the meaning of life. He tells me the meaning of life but he tells it to me in Hebrew. I don't understand Hebrew. Then he wants to charge me $600 for Hebrew lessons.

Ich bin zwölf Jahre alt. Ich renne in eine Synagoge. Ich frage den Rabbi nach dem Sinn des Lebens. Er sagt mir den Sinn des Lebens, aber er sagt ihn mir auf Hebräisch. Ich verstehe kein Hebräisch. Dann will er von mir 600 Dollar für Hebräischstunden.

Eternity is a long time, especially towards the end.

Die Ewigkeit ist eine lange Zeit, vor allem gegen Ende.
Wenn man diese Witze so aneinandergereiht liest, dann wirken sie schnell monoton. Das Strickmuster ist ja fast immer dasselbe: Es beginnt hoch und endet weit unten. Die Philosophie, die Religion, existentielle Fragen werden ins Banale gewendet. Diese Fallhöhe macht das Lustige aus.

Aber in ihrem Kontext, wo man sie ja nicht in dieser Häufung liest oder hört, sind diese Witze sehr schön.

Es sind Witze, die - kennzeichnend für den jüdischen Humor - sich nicht über andere Menschen lustig machen, sondern über die Absurdität des eigenen Lebens.



In den dreißiger bis in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts trat im amerikanischen Radio ein Ratgeber auf, C. Israel Lutsky, der sich "The Jewish Philosopher" nannte, der jüdische Philosoph. Meist sprach er seine Sendungen auf Jiddisch, aber manchmal waren sie auch Englisch; so die Anmerkungen über jüdischen Humor, die man sich hier anhören kann. Lutsky sagte unter anderem:
Oh yes, my dear friends, there is definitely a characteristic Jewish humour. (...) One of the strongest defense weapons in our possession. Without our brand of humour heaven only knows where we would all be by now. The secret of this special brand of Jewish humour lies in the fact that we are able to jest at our own very selves, at our own shortcomings and grin at bearings. Even in the most tragic circumstances we can find what to laugh at, or at least what to smile at. (...)

God revealed himself in a bush. You know why? Perhaps because he wanted to teach us that the loftiest may be found in the lowest.

Oh ja, meine lieben Freunde, es gibt definitiv einen charakteristischen jüdischen Humor. (...) Eine der stärksten Schutzwaffen, die wir besitzen. Ohne unsere Art von Humor wüßte nur der Himmel, wo wir alle jetzt wären. Das Geheimnis dieser besonderen Art von jüdischem Humor liegt in dem Umstand, daß wir uns über uns selbst, über unsere Fehler lustig machen können, und über das grinsen, was wir ertragen müssen. Selbst unter den tragischsten Umständen können wir etwas finden, über das man lachen kann, oder wenigstens lächeln. (...)

Gott offenbarte sich in einem Dornbusch. Wissen Sie warum? Vielleicht, weil er uns lehren wollte, daß man das Erhabenste im Niedrigsten finden kann.



Woody Allen also nur ein Humorist, wenn auch einer mit philosophischen Neigungen? Nein, gewiß nicht. Natürlich ist er vor allem ein großer Regisseur; einer der größten lebenden Regisseure aus meiner Sicht. Einer, der mit Filmen anfing, die manche für Klamauk hielten, und der dann eher melancholische, inzwischen auch spannend-skurrile Filme gedreht hat.

Aber dieser jüdische Humor fehlt eigentlich nie. Hier ist ein Dialog aus einem meiner Lieblingsfilme, "Scoop - der Knüller". Ein Krimi, ein philosophischer Film, der auf einem Totenschiff beginnt und endet. Sid Waterman (Woody Allen) ist ein kleiner Bühnenmagier, Sondra Pransky (Scarlett Johansson) eine amerikanische Journalistin; beide sind hinter einem Serienmörder her, unterstützt von einem toten Journalisten:
Sondra Pransky: I wouldn't be surprised if he asked me to marry him someday.

Sid Waterman: You come from an orthodox family, would they accept a serial killer?

Sondra Pransky: Es würde mich nicht wundern, wenn er eines Tages um meine Hand anhalten würde.

Sid Waterman: Sie kommen aus einer orthodoxen Familie, würden die einen Serienmörder akzeptieren?



Mit Humor im Film habe ich mich auch in zwei früheren Artikeln befaßt: Chaplin, Schmidt, Borat. Bemerkungen zum Lachen und zum Humor; ZR vom 9. 12. 2006 und Ja, darf man denn da lachen?; ZR vom 31. 12. 2006 (über Aki Kaurismäki).



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Titelvignette vom Autor Colin Swan unter e Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic license freigegeben.