16. Dezember 2010

Marginalie: Der JMStV scheitert an den Kommunisten. Eine Premiere in der Geschichte der Bundesrepublik

Heute um 11 Uhr findet eine Premiere in der Geschichte der Bundesrepublik statt: Es wird mitgeteilt werden, daß zum ersten Mal ein wichtiges politisches Vorhaben an den Kommunisten gescheitert ist.

Nein, so wird das natürlich nicht gesagt werden. Man wird es anders formulieren. Aber es ist so.

Für 11 Uhr ist - so meldet es netzpolitik.org unter Berufung auf den Pressesprecher der SPD-Fraktion im Landtag von NRW, Ralf Kapschack - eine Pressekonferenz von SPD und Grünen im NRW-Landtag angesetzt. Ihr Inhalt: Der Koalitionsausschuss von SPD und Grünen hat sich darauf verständigt, den JMStV abzulehnen.

JMStV, das ist das Kürzel für Jugend-Medien-Staatsvertrag; und das wiederum ist die Kurzbezeichnung für einen Vertrag, der mit vollem Namen Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien heißt.

Wieso ein Staatsvertrag? Wegen der Kulturhoheit der Länder. Sie sind für den Rundfunk zuständig. Eine einheitliche Regelung, die ihn betrifft - und/oder die "Telemedien", wozu auch das Internet gehört -, kann also nur mittels einer Einigung aller Bundesländer getroffen werden. Sie wird in Form eines Staatsvertrags vereinbart. Man hat dann eine bundeseinheitliche Regelung, obwohl der Bund nicht zuständig ist.

Einen JMStV gibt es bereits; die bisher gültige Fassung können Sie hier lesen. Er sollte nun novelliert werden. Die beabsichtigten Änderungen finden Sie hier aufgelistet.

Brisant sind vor allem die Änderungen, die bei t3n News kommentiert werden. Vorgesehen war - als Alternative zu anderen Möglichkeiten des Jugendschutzes - eine Alters-Kennzeichnung aller Internet-Angebote mit Ausnahme von "Seiten, die 'Nachrichtensendungen [und] Sendungen zum politischen Zeitgeschehen' entsprechen und an deren Inhalten ein 'berechtigtes Interesse' besteht". Diese Kennzeichnungen sollten so gestaltet werden, daß entsprechende Filter die Seiten hätten sperren können.



Das nun also ist Schnee von gestern. NRW stimmt nicht zu.

Die Länder hatten die Novelle ausgehandelt; fast alle Landtage hatten sie ratifiziert. Das Ratifizieren gilt eigentlich bei Staatsverträgen als Formsache. Eine Landesregierung stimmt einem solchen Staatsvertrag normalerweise nur dann zu, wenn sie weiß, daß sie im Landtag auch ihre Mehrheit für eine Ratifizierung hat.

Und diese hat sie in der Regel; sonst würde sie ja nicht regieren können. Es sei denn, sie regiert ohne parlamentarische Mehrheit. Das nun tut die rotgrüne Regierung des Landes NRW.

Sie erinnern sich: Es hatte dort nach den letzten Wahlen ein monatelanges Hickhack gegeben, als dessen Ergebnis im Juli faktisch die erste Volksfront in einem westdeutschen Bundesland eingerichtet wurde.

Zwar gab es zwischen der rotgrünen Minderheit und den Kommunisten keine förmliche Vereinbarung. Aber regieren kann Hannelore Kraft nur, solange die Kommunisten ihre Regierung mittragen (siehe Hannelore Ypsilanti? Über eine gebrochene Zusage und die Meute der Wachhunde; ZR vom 14. Juli 2010). Erst kürzlich haben die Kommunisten zur Erleichterung der rotgrünen Regierung deren Haushalt für 2011 passieren lassen.

Aber dem Staatsvertrag JMStV wollen die Kommunisten nicht zustimmen. Die beiden Oppositionsparteien CDU und FDP denken verständlicherweise nicht daran, der Regierung der Hannelore Kraft aus der Klemme zu helfen. Also hat sie keine Mehrheit.

Das will sie aber nicht durch eine Abstimmungsniederlage sichtbar machen. Die Regierungsfraktionen, die ohne die Kommunisten keine Mehrheit haben, stimmen kurzerhand so ab wie die Kommunisten.

So kommt das Kuriosum zustande, daß ein Landtag geschlossen gegen einen Staatsvertrag stimmen wird, der schon beschlossene Sache zu sein schien.



Die Kommunisten waren bisher sehr vorsichtig damit, ihre Macht in NRW allzu sichtbar zu machen. Sie haben kein Interesse daran, die Regierung zu Fall zu bringen, die ihnen diese Macht beschert. Aber gelegentlich ein wenig die Folterwerkzeuge vorzeigen, das tun sie doch. Die rotgrüne Regierung soll nicht vergessen, daß sie den Kommunisten bei jedem Gesetzesvorhaben, bei jedem Haushalt ausgeliefert ist.



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