31. Dezember 2010

Zitat des Tages: "Ein moderner Islam ist antiislamistisch". Daniel Pipes über die Chance, daß der Islamismus schrumpft. Mit unserer Hilfe

Modern Islam is an anti-Islamist Islam. I'm told that modern Islam is like the unicorn, much discussed but never seen—but its supporters do exist. You see Muslims all over arguing against Islamism, but they're not a movement and they're not coherent or organized with a follower and money. It needs deep thinkers—interpreters of the Quran and other sacred scriptures—along with activists and politicians. (...)

The Islamist interpretation that's so dominant now was barely visible when I got into this field in the 1960s. Now it's dominant. If it can grow, then it can get smaller. We need to help it to get small.


(Ein moderner Islam ist ein anti-islamistischer Islam. Man hält mir entgegen, daß ein moderner Islam wie das Einhorn ist; vieldiskutiert, aber nie erblickt. Aber er findet Unterstützer. Man sieht überall Moslems gegen den Islamismus argumentieren, aber sie sind keine Bewegung. Sie sind nicht organisiert, mit Mitgliedern und Finanzen. Wir brauchen tiefe Denker - Ausleger des Koran und der anderen Heiligen Schriften - gemeinsam mit Aktivisten und Politikern. (...)

Die Interpretation des Koran, die jetzt so vorherrschend ist, war kaum sichtbar, als ich mich in den 1960ern mit diesem Gebiet zu befassen begann. Jetzt dominiert sie. Wenn sie anwachsen konnte, dann kann sie auch wieder schrumpfen. Wir müssen mit dafür sorgen, daß sie schrumpft.)

Daniel Pipes in einem Interview, das in der Januarausgabe des christlichen World Magazine erscheinen wird und das Sie hier vollständig lesen können.


Kommentar: Bemerkenswert an diesem Zitat ist vor allem, wer das gesagt hat: Daniel Pipes, der Gründer und Leiter des Middle East Forum, das sich seit seiner Gründung 1994 mit den Gefahren befaßt, die vom Islamismus für die USA, für Israel und für Europa ausgehen.

Ich empfehle seine WebSite, auf der man sich auch für seine Mailing List eintragen kann. Es gibt auch einen deutschen Ableger, den ich Ihnen allerdings nur dann empfehlen möchte, wenn Sie nicht flüssig Englisch lesen; denn man findet dort nur einen Teil der Artikel, selten die aktuellsten. Und mit den Übersetzungen steht es leider auch nicht immer zum Besten.

In dem Zitat weist Pipes sehr zu Recht darauf hin, daß der Islamismus in seiner jetzigen, politisch einflußreichen Variante ein relativ junges Phänomen ist.

Es gab islamistische Strömungen zwar seit dem 19. Jahrhundert, aber sie blieben Sekten mit geringem Einfluß. Es gab andererseits seit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg im Nahen Osten einen arabischen Radikalismus, der sehr einflußreich war.

Aber diese radikalen Araber waren alles andere als Islamisten; sie waren nationalistische Sozialisten. Anfangs - vor allem seit der Nationalisierung des Suezkanals 1956 - dominierte der Nasserismus; später die ebenfalls nationalistische und sozialistische Ba'ath-Bewegung, aus der Saddam Hussein und die Dynastie Assad in Syrien hervorgingen.

Erst durch das Scheitern dieses arabischen Sozialismus (siehe dazu meine Serie Arabiens Misere) konnten die zuvor bedeutungslosen islamistischen Strömungen auch politische Macht gewinnen. Parallel dazu siegten schiitische Islamisten in Persien durch den Sturz des Schah, dessen Programm zur Modernisierung seines Landes wohl zu ehrgeizig gewesen war. Am Ende konnte der todkranke Reza Pahlewi den Revoluzzern nicht mehr den erforderlichen Widerstand entgegensetzen.

Das ist jetzt weniger als ein halbes Jahrhundert her. Es gibt keine überzeugenden Belege dafür, daß diese Welle des Islamismus mehr als eine historische Episode sein wird. Aus dem Scheitern des arabischen Sozialismus hätten auch moderne, demokratische Staaten hervorgehen können. Der Iran könnte heute, wenn der Schah die Kraft gehabt hätte, gegen die Revolution standzuhalten, ein prosperierendes, sich modernisierendes Land wie die Türkei sein.



Was wird kommen? Die islamischen Länder werden sich modernisieren; das hat ja schon begonnen. Die Religion wird damit wahrscheinlich ihre Bedeutung verlieren, wie in allen modernen Gesellschaften.

Daß ein moderner, mit Demokratie und Freiheit vereinbarer Islam entsteht, ist damit eine Möglichkeit. Sicher ist das selbstredend nicht. Der Gang der Geschichte ist nicht vorgezeichnet.

Vielleicht erleben wir tatsächlich eine totalitär-islamistische Industriegesellschaft; so wie Hitler eine nationalsozialistische und die Kommunisten eine marxistische Diktatur mit einer Industriegesellschaft vereinbaren wollten.

Sie sind gescheitert, wie auch der arabische Sozialismus. Daß eine islamistische Gesellschaft erfolgreich sein könnte, ist noch weniger wahrscheinlich, als es ein Erfolg des arabischen Sozialismus gewesen wäre. Aber ausgeschlossen ist das nicht. Im Gang der Geschichte ist selten etwas ausgeschlossen.

Da bin ich mit Pipes einig; auch was seine Sicht auf Europa angeht. Auszug aus dem Interview:
Do you agree with those who say Europe is finished? I disagree. Non-Muslims still constitute 95 percent of Europe and have it within their means to say no to Islamization—and that's what they're doing. Parties that did not exist or had insignificant existence 10-20 years ago are now potently saying no. There are two options: Eurabia, or "No." Which way? It's too early to predict.

Stimmen Sie denjenigen zu, die sagen, Europa sei am Ende? Ich stimme nicht zu. Die Nicht-Moslems machen in Europa immer noch 95 Prozent aus. Sie haben es in der Hand, nein zu einer Islamisierung zu sagen - und das tun sie. Parteien, die vor zehn, zwanzig Jahren nicht existierten oder bedeutungslos waren, sagen heute wirksam nein. Es gibt zwei Optionen: Eurabien oder "Nein". Wie wird es ausgehen? Es ist zu früh, das vorherzusagen.
So ist es. Es ist dem Islam nicht in die Wiege gelegt, im 21. Jahrhundert den Islamisten zum Opfer zu fallen. Es ist Europa nicht in die Wiege gelegt, im 21. Jahrhundert islamisch zu werden oder gar vor dem Islamismus zu kapitulieren.



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