23. Dezember 2010

Marginalie: Barack Westerwelle und der Niedergang der FDP

In der FAZ kommentiert die kundige Leiterin des Wirtschaftsressorts, Heike Göbel, den Niedergang der FDP. Ich widerspreche ihrer Analyse nicht, aber ich möchte einen Gesichtspunkt hinzufügen.

Ein derartiger Absturz - von fünf Wählern des Jahres 2009 ist der FDP gerade mal einer geblieben - bereitet sich meist schon dann vor, wenn alles bestens zu stehen scheint. In der Wirtschaft folgt die Rezession auf eine überhitzte Konjunktur; dem Börsencrash geht ein Höhenflug der Kurse voraus. Nicht anders ist es oft in der Politik.

Die Ursachen für den jetzigen Absturz der FDP liegen wesentlich in ihrem Erfolg des Wahljahrs 2009; oder genauer: in dem, was zu diesem Erfolg führte. Und da gibt es eine auffällige Parallele mit dem politischen Schicksal von Barack Obama.

Obama wie Westerwelle sind der Typus des Trommlers. Sie sind am besten, wenn sie glanzvolle Auftritte haben, in denen sie die großen Linien entwickeln.

Obama hat das im Wahlkampf 2008 gezeigt (siehe Obamania: Ein Populist auf dem Weg zur Präsidentschaft der Vereinigten Staaten?; ZR vom 12. 2. 2008). Er hat viele Amerikaner begeistert mit seinem Versprechen, alles anders zu machen: Das Land zu einen, es wieder nach vorn zu bringen, ihm neuen Mut zu geben. Diese Hoffnungen und sein charismatisches Auftreten haben Obama zum Erfolg geführt.

Ähnlich, wenn auch ein paar Nummern kleiner, ist Guido Westerwelle im Wahlkampf 2009 aufgetreten. Ein Höhepunkt war schon im Mai die Rede auf dem Parteitag von Hannover (siehe Guido Westerwelle in Hannover: Eine ausgezeichnete Analyse. Treffliche Ziele. Und ein Kurs von beklemmender Unlogik; ZR vom 15. 5. 2009).

Heike Göbel hat das, was Westerwelle ähnlich visionär wie Obama versprach, jetzt noch einmal zusammengefaßt:
Wofür steht die FDP? In seinen besten Zeiten gelang es Westerwelle, die Frage mit einer knappen Maxime zu beantworten: Erwirtschaften vor Verteilen, Freiheit vor Gleichheit und Privat vor Staat.
Schöne Formulierungen; wie Obamas "Yes we can" und "No blue states, no red states, only the United States of America".



Aber solche Hoffnungen wollen auch erfüllt werden. Wer die Lippen spitzt, der muß auch pfeifen können. Wer die ganze Gesellschaft und die ganze Wirtschaft umkrempeln will, der muß auch die Muskeln dazu haben. Und vor allem den Willen.

Obama mag den Willen gehabt haben; die Muskeln hatte und hat er nicht. Der Präsident mit den stärksten Sprüchen hat sich als einer der Präsidenten mit den schwächsten Leistungen erwiesen. Er richtet sein Land nicht auf. Er ist vielmehr im Begriff, es in eine kollektive Depression zu führen.

Westerwelle hat die Lippen sehr stark gespitzt. Man hat nicht den Eindruck, daß er überhaupt pfeifen wollte.

Die FDP hat die Wahlen mit Themen zur Finanz- und zur Gesellschaftspolitik gewonnen. Aber die Finanzpolitik überließ sie schon in den Koalitionsverhandlungen Wolfgang Schäuble; die Gesellschaftspolitik CDU-Ministern wie Ursula von der Leyen.

Stattdessen begab sich Westerwelle ins Auswärtige Amt, wo er eine miserable Figur macht. Der Trommler als Diplomat, das paßt nicht. Wie Guido Westerwelle eigentlich die deutschen Interessen definiert und was er zu deren Durchsetzung tut, das bleibt so verschwommen wie Husum im Nebel.

Die FDP meinte Steuerpolitik machen zu können, ohne das Finanzressort zu haben. Sie wollte Gesellschaftspolitik machen, ohne eines der dafür zuständigen Ressorts zu haben (Arbeit und Soziales; Familie, Jugend, Frauen).

Sie hat sich mit dem Auswärtigen und der Justiz, dann auch gar noch der Entwicklungshilfe, Ressorts ausgesucht, mit denen sie keinem ihrer finanz- und gesellschaftspolitischen Ziele auch nur einen Millimeter näher kommen konnte.

Sie hat ins Wirtschaftsressort einen Mann geschickt, der gegen seinen Vorgänger Guttenberg so wirkt wie gegen Bayern München die Sportvereinigung 07 Elversberg.



Jetzt hat man den Salat.

Anfang Juni habe ich den Niedergang der FDP bereits einmal analysiert (damals stand sie in den Umfragen bei sechs bis acht Prozent; bei einem Wert, über den sie heute jubeln würde). Der damalige Artikel hieß "Es wird Zeit, daß in der FDP über Guido Westerwelle diskutiert wird" (ZR vom 4. 6. 2010); aber an der URL sehen Sie, daß der ursprüngliche Arbeitstitel gewesen war: "Westerwelle muß weg".

Eine solche Forderung hatte ich dann doch als zu weitgehend empfunden und den Titel geändert. Jetzt, ein gutes halbes Jahr später, ist sie zu wenig.

Auch ein neuer Vorsitzender (wer eigentlich?) würde der FDP nicht in den Augen der Bürger die Kompetenz wiedergeben, die sie verspielt hat, als sie erst groß getönt und dann klein gehandelt hat. Das ist vorerst nicht zu reparieren; so wenig, wie man es Obama noch einmal abnehmen wird, daß er das Land voranbringen kann.

Einen Rat habe ich für die FDP also nicht. Außer der Binsenweisheit, daß die Zeit Wunden heilt. Ein Totenglöcklein wird auch diesmal für die FDP nicht bimmeln. Der politische Liberalismus in Deutschland wird auch Guido Westerwelle überleben.



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