Kunst hat nichts mit Politik zu tun. Ob ein Gedicht gut ist oder ein Roman, hängt so wenig von der politischen Haltung des Autors ab, wie die politische Einstellung des Malermeisters darüber bestimmt, ob er eine Wohnung ordentlich renoviert oder Pfusch abliefert.
Man sollte sich eigentlich scheuen, eine solche Binsenwahrheit zu schreiben. Aber sie wurde und wird von vielen nicht gesehen, ja ausdrücklich geleugnet. In den siebziger und achtziger Jahren war die Auffassung weit verbreitet, ja sie galt unter Intellektuellen nachgerade als Gemeinplatz, daß jede Kunst erstens politisch sei, ob sie es wolle oder nicht. Und daß es zweitens die Pflicht jedes anständigen Künstlers sei, seine Kunst in den Dienst fortschrittlicher, also linker, politischer Ziele zu stellen.
Meist sehr verschwommen formulierter Ziele, wie Gerechtigkeit und Solidarität. Manchmal aber auch sehr konkreter, sehr praktischer Ziele. Nicht wenige Künstler haben sich damals - nicht einfach als Staatsbürger, sondern sozusagen als im Dienst befindliche Kunstschaffende - zur DKP bekannt und deren Ziele, beispielsweise die Veränderung des europäischen militärischen Gleichgewichts zugunsten der Sowjetunion, unterstützt. Sie verstanden das als Arbeit für den Frieden.
Sich überhaupt politisch "einzubringen", Manifeste und Deklarationen zu unterzeichnen, sich "zu Wort zu melden", das gehörte bis weit in die achtziger Jahre hinein sozusagen zum Berufsbild des Künstlers. Kaum ein Monat, in dem nicht in den Zeitungen und Zeitschriften irgendwelche Anzeigen erschienen, in denen Künstler urteilten, sich empört zeigten, mahnten, zu Diesem und Jenem aufriefen.
Der Film war von dieser seltsamen Sicht auf die Kunst natürlich nicht ausgenommen. Ihm, als einem Massenmedium, galt sogar die besondere Aufmerksamkeit linker Theoretiker. Harmlos erscheinende Unterhaltungsfilme wurden in ihrer "politischen Funktion" entlarvt.
Der Revuefilm der vierziger Jahre, so wurde verkündet, - sollte von den Leiden des Kriegs ablenken. Der deutsche Heimatfilm der fünfziger und sechziger Jahre - diente der Restauration des Nationalismus. Der amerikanische Katastrophen- und UFO-Film derselben Epoche - sollte das Gefühl der Amerikaner, von den Kommunisten bedroht zu werden, verstärken.
Und so fort. Wer suchet, der findet.
Freilich gab es Filme, die wirklich politisch waren. Durchhaltefilme, patriotische Filme auf beiden Seiten der Front im Zweiten Weltkrieg; der letzte deutsche war "Kolberg" von Veit Harlan und Wolfgang Liebeneiner, der inmitten des untergehenden Reichs 1945 fertiggestellt worden war. Nach dem Krieg waren vor allem die Filme, die unter der Herrschaft des Kommunismus hergestellt wurden, politische Filme. Die DEFA war zur Parteilichkeit verpflichtet. Sie sollte "helfen, in Deutschland die Demokratie zu restaurieren, die deutschen Köpfe vom Faschismus zu befreien und auch zu sozialistischen Bürgern erziehen", lesen wir als Zitat aus der Gründungszeit der DEFA in der deutschen Wikipedia; leider wieder einmal ohne Quellenangabe.
Politische Filme sollte die DEFA verfertigen. Es waren schlechte Filme, ganz überwiegend; notwendigerweise.
Denn gute politische Kunst zu machen ist schwer, fast unmöglich. Das Kunstwerk als das angestrebte Arbeitsergebnis und die politische Wirkung als Ziel laufen einander zuwider. Kunst ist facettenreich, widersprüchlich, uneindeutig. Deshalb lädt sie ja zur Interpretation ein, erlaubt sie viele Deutungen. Politische Agitation aber verlangt Eindeutigkeit, die klare "Stellungnahme", die zugespitzte "Aussage".
Agitationsfilme sind deshalb fast immer schlechte Filme, so wie auf dem Theater Agitationsstücke zwar vorübergehend populär sein können, aber ihre Zeitaktualität selten überdauern. Brechts Lehrstücke sind ein Beispiel, die Stücke von Rolf Hochhuth sind ein offensichtliches Beispiel. Was soll man an einem Stück interpretieren, das seine vom Autor vorgesehene Interpretation wie eine Monstranz vor sich herträgt? Was in aller Welt sollte einen Regisseur an einem Stück reizen, dem just die Vieldeutigkeiten und die Assoziationsgeflechte fehlen, die einen neuen inszinatorischen Blick auf den Text ermöglichen?
Gestern ist "Das Leben der Anderen" in Warschau mit gleich drei europäischen Filmpreisen ausgezeichnet worden: Dem für den besten Film und für das beste Drehbuch. Und Ulrich Mühe erhielt den mehr als verdienten Preis für den besten Hauptdarsteller.
"Das Leben der Anderen" - ein politischer Film. Kein politischer Film.
Ein politischer Film insofern, als sein Thema der Umgang einer Staatsmacht mit "ihren" Bürgern ist; spezifischer sind es die psychischen Verformungen, die es bei Herrschenden wie Beherrschten mit sich bringt, wenn ein Staat keine Achtung vor der Menschenwürde seiner Untertanen hat, und damit letztlich auch vor der Menschenwürde seiner eigenen Diener.
Kein politischer Film aber, weil er keine "Botschaft" transportiert. Florian Henckel von Donnersmarck hat sehr sorgfältig recherchiert, jahrelang. Er hat eine - soweit das unter Beachtung der Dramaturgie eines Films möglich ist - realistische Geschichte erzählt, auch wenn gelernte DDR-Bürger das eine oder andere Detail für unglaubwürdig halten mögen.
Aber der Film "will uns" nichts "sagen". Er klagt nicht an, er agitiert nicht. Er ist insofern eben gerade kein politischer Film. Und kann deshalb ein großer Film sein.
Ich glaube, einen so unpolitischen politischen Film konnte nur jemand aus einer Generation machen, die nicht mehr durch die politischen Verkrampftheiten der siebziger und achtziger Jahre geschädigt ist. Und daß es gerade jemand mit der Weltläufigkeit Henckels von Donnersmarck war, dem dieses Werk über ein Stück deutsche Geschichte gelang, ist vielleicht auch kein Zufall.
Man sollte sich eigentlich scheuen, eine solche Binsenwahrheit zu schreiben. Aber sie wurde und wird von vielen nicht gesehen, ja ausdrücklich geleugnet. In den siebziger und achtziger Jahren war die Auffassung weit verbreitet, ja sie galt unter Intellektuellen nachgerade als Gemeinplatz, daß jede Kunst erstens politisch sei, ob sie es wolle oder nicht. Und daß es zweitens die Pflicht jedes anständigen Künstlers sei, seine Kunst in den Dienst fortschrittlicher, also linker, politischer Ziele zu stellen.
Meist sehr verschwommen formulierter Ziele, wie Gerechtigkeit und Solidarität. Manchmal aber auch sehr konkreter, sehr praktischer Ziele. Nicht wenige Künstler haben sich damals - nicht einfach als Staatsbürger, sondern sozusagen als im Dienst befindliche Kunstschaffende - zur DKP bekannt und deren Ziele, beispielsweise die Veränderung des europäischen militärischen Gleichgewichts zugunsten der Sowjetunion, unterstützt. Sie verstanden das als Arbeit für den Frieden.
Sich überhaupt politisch "einzubringen", Manifeste und Deklarationen zu unterzeichnen, sich "zu Wort zu melden", das gehörte bis weit in die achtziger Jahre hinein sozusagen zum Berufsbild des Künstlers. Kaum ein Monat, in dem nicht in den Zeitungen und Zeitschriften irgendwelche Anzeigen erschienen, in denen Künstler urteilten, sich empört zeigten, mahnten, zu Diesem und Jenem aufriefen.
Der Film war von dieser seltsamen Sicht auf die Kunst natürlich nicht ausgenommen. Ihm, als einem Massenmedium, galt sogar die besondere Aufmerksamkeit linker Theoretiker. Harmlos erscheinende Unterhaltungsfilme wurden in ihrer "politischen Funktion" entlarvt.
Der Revuefilm der vierziger Jahre, so wurde verkündet, - sollte von den Leiden des Kriegs ablenken. Der deutsche Heimatfilm der fünfziger und sechziger Jahre - diente der Restauration des Nationalismus. Der amerikanische Katastrophen- und UFO-Film derselben Epoche - sollte das Gefühl der Amerikaner, von den Kommunisten bedroht zu werden, verstärken.
Und so fort. Wer suchet, der findet.
Freilich gab es Filme, die wirklich politisch waren. Durchhaltefilme, patriotische Filme auf beiden Seiten der Front im Zweiten Weltkrieg; der letzte deutsche war "Kolberg" von Veit Harlan und Wolfgang Liebeneiner, der inmitten des untergehenden Reichs 1945 fertiggestellt worden war. Nach dem Krieg waren vor allem die Filme, die unter der Herrschaft des Kommunismus hergestellt wurden, politische Filme. Die DEFA war zur Parteilichkeit verpflichtet. Sie sollte "helfen, in Deutschland die Demokratie zu restaurieren, die deutschen Köpfe vom Faschismus zu befreien und auch zu sozialistischen Bürgern erziehen", lesen wir als Zitat aus der Gründungszeit der DEFA in der deutschen Wikipedia; leider wieder einmal ohne Quellenangabe.
Politische Filme sollte die DEFA verfertigen. Es waren schlechte Filme, ganz überwiegend; notwendigerweise.
Denn gute politische Kunst zu machen ist schwer, fast unmöglich. Das Kunstwerk als das angestrebte Arbeitsergebnis und die politische Wirkung als Ziel laufen einander zuwider. Kunst ist facettenreich, widersprüchlich, uneindeutig. Deshalb lädt sie ja zur Interpretation ein, erlaubt sie viele Deutungen. Politische Agitation aber verlangt Eindeutigkeit, die klare "Stellungnahme", die zugespitzte "Aussage".
Agitationsfilme sind deshalb fast immer schlechte Filme, so wie auf dem Theater Agitationsstücke zwar vorübergehend populär sein können, aber ihre Zeitaktualität selten überdauern. Brechts Lehrstücke sind ein Beispiel, die Stücke von Rolf Hochhuth sind ein offensichtliches Beispiel. Was soll man an einem Stück interpretieren, das seine vom Autor vorgesehene Interpretation wie eine Monstranz vor sich herträgt? Was in aller Welt sollte einen Regisseur an einem Stück reizen, dem just die Vieldeutigkeiten und die Assoziationsgeflechte fehlen, die einen neuen inszinatorischen Blick auf den Text ermöglichen?
Gestern ist "Das Leben der Anderen" in Warschau mit gleich drei europäischen Filmpreisen ausgezeichnet worden: Dem für den besten Film und für das beste Drehbuch. Und Ulrich Mühe erhielt den mehr als verdienten Preis für den besten Hauptdarsteller.
"Das Leben der Anderen" - ein politischer Film. Kein politischer Film.
Ein politischer Film insofern, als sein Thema der Umgang einer Staatsmacht mit "ihren" Bürgern ist; spezifischer sind es die psychischen Verformungen, die es bei Herrschenden wie Beherrschten mit sich bringt, wenn ein Staat keine Achtung vor der Menschenwürde seiner Untertanen hat, und damit letztlich auch vor der Menschenwürde seiner eigenen Diener.
Kein politischer Film aber, weil er keine "Botschaft" transportiert. Florian Henckel von Donnersmarck hat sehr sorgfältig recherchiert, jahrelang. Er hat eine - soweit das unter Beachtung der Dramaturgie eines Films möglich ist - realistische Geschichte erzählt, auch wenn gelernte DDR-Bürger das eine oder andere Detail für unglaubwürdig halten mögen.
Aber der Film "will uns" nichts "sagen". Er klagt nicht an, er agitiert nicht. Er ist insofern eben gerade kein politischer Film. Und kann deshalb ein großer Film sein.
Ich glaube, einen so unpolitischen politischen Film konnte nur jemand aus einer Generation machen, die nicht mehr durch die politischen Verkrampftheiten der siebziger und achtziger Jahre geschädigt ist. Und daß es gerade jemand mit der Weltläufigkeit Henckels von Donnersmarck war, dem dieses Werk über ein Stück deutsche Geschichte gelang, ist vielleicht auch kein Zufall.