15. Dezember 2006

Rückblick: Das Leben der Anderen. Oder: Einmal ist keinmal

Für diesen Rückblick auf den Blog zu dem Film "Das Leben der Anderen" gibt es zwei Anlässe, einen objektiven und einen subjektiven.

Der objektive ist, daß der Film gestern für den Golden Globe nominiert wurde.

Deutscher Filmpreis, Europäischer Filmpreis, jetzt diese Nominierung - der Film erklimmt sozusagen Stufe um Stufe. Oder: Die Wellen breiten sich aus wie bei einem ins Wasser geworfenen Stein. Oder: Der Newcomer wird weitergereicht Oder: Sein Ruhm strahlt von Deutschland nach Europa, von Europa in die globalisierte Welt.



Warum fällt mir zu diesem Film ein Bild nach dem anderen ein? Ich glaube, weil es ein in seinen Bildern, in seinen Details eindringlicher Film ist. Womit ich beim subjektiven Motiv für diesen Rückblick bin.

Dadurch, daß der Film in Warschau prämiert worden war, wurde er in unserem örtlichen Filmkunsttheater noch einmal ins Programm genommen; und vorgestern haben meine Frau und ich ihn zum zweiten Mal gesehen.

Ich habe ihn bei diesem zweiten Mal mit anderen Augen gesehen. Einen guten Film muß man eigentlich (mindestens) zweimal sehen. Wie man ein Buch, das man ernst nimmt, zweimal lesen, eine bedeutende Theateraufführung zweimal sehen sollte. Einmal ist keinmal.

Denn man sieht beim zweiten Mal ja nicht denselben Film, nicht dieselbe Inszenierung. Man liest ja nicht dasselbe Buch. Das erste Mal ist man wie einer, der fremdes Gelände erkundet. Das zweite Mal nimmt man vertrautes Terrain genauer in Augenschein.

Also achtet man auf ganz Anderes. Das zweite Mal wiederholt nicht das erste Mal, sondern es gibt ihm erst das Detail, die Eindringlichkeit.



Beim ersten Sehen, beim ersten Lesen ist die Ebene der Betrachtung weit oben angesiedelt in der Hierarchie kognitiver Repräsentationen. Es geht um die Handlung, den Zusammenhang des Geschehens, die allgemeine Atmosphäre. So, wie man beim ersten Blick auf ein Bild erst einmal guckt, was überhaupt dargestellt ist - also das Thema beachtet, das Genre, die Anmutungsqualitäten.

Beim zweiten Kennenlernen wird aber erst richtig "kennen gelernt". Man bemerkt jetzt die Details. Man kann erst jetzt auf sie achten, weil man ja den Rahmen kennt, in den sie gehören. Beim ersten Mal guckt man sozusagen durchs Teleskop, beim zweiten Mal wenn auch nicht gleich ins Mikroskop, so doch mit dem, sagen wir, "unbewaffneten" Blick des sich Nähernden auf die Einzelheiten.

Ohne einen Rahmen, ohne ein Bezugssystem ergeben Details keinen Sinn. Den "hermeneutischen Zirkel" hat man das hochtrabend genannt, in der irrigen Annahme, die Kenntnis des Ganzen würde schon die Kenntnis der Details voraussetzen. Was ja gar nicht der Fall ist. Sondern man startet mit der Vogelperspektive und arbeitet sich sozusagen zur Froschperspektive vor. Oder hinab, wenn man so will.



So ist es mir mit diesem Film ergangen.

Beim ersten Sehen hat mich die Handlung gefesselt, das Spiel des großen Ulrich Mühe und des nicht minder großen Thomas Thieme, der einen Preis für den besten Nebendarsteller verdient gehabt hätte, auf nationaler und internationaler Ebene. Für mich war er der überragende Schauspieler in diesem Film, in dem auch andere - Ulrich Tukur, Sebastian Koch - glänzend gespielt haben.

Beim zweiten Sehen ist mir aber auch Anderes aufgefallen.

Beispielsweise die Farben der DDR. Dieser Staat hatte ja seine eigene, triste Ästhetik. Nicht einfach nur grau; sondern alle diese gedeckten Grüns, Bleus und Rosas; als Hintergrund für das grelle Rot und Gelb der Agitation. Bonbonfarben, ja, aber matte, ungesättigte. So, als hätte dieser Staat schon mit seinen Farben die ganze Gehemmtheit, die ganze Erbärmlichkeit, die miese Kleinbürgerlichkeit des Systems zum Ausdruck bringen wollen.

Beispielsweise die intellektuelle Ernsthaftigkeit Ulrich Mühes - Gerd Wieslers also - von Anfang an. Beim ersten Sehen des Films habe ich ihn am Anfang des Films nur als einen brutalen MfS-Offizier wahrgenommen. Aber das war er ja gar nicht. Auch nicht anfangs. Er war um die Sache bemüht, nur um sie. Wie entlarvt man den Schuldigen? Dafür gibt es eben gewisse Techniken; die brachte er seinen Schülern bei.

Dieser Wiesler hat sich ja - und das habe ich erst beim zweiten Anschauen verstanden - im Lauf des ganzen Films überhaupt nicht geändert. Er war am Anfang der emotional vertrocknete, anständige Intellektuelle, der er auch am Ende noch war. Er war im Grunde der Kommunist par excellence. Der Kommunist im real existierenden wie auch im heute noch propagierten Sozialismus.

Er hat im Lauf der Handlung nur neue Erfahrungen gemacht. Erfahrungen, die ihn nicht verändert haben, die aber sein Handeln beeinflußt haben.

Redlich, konsequent, intelligent, emotionsarm, wie er schon in den ersten Szenen des Films gewesen war, hat er aus diesen Erfahrungen seine Konsequenzen gezogen. Ohne sich ändern zu müssen; ohne sich auch ändern zu können.



Denn - so interpretiere ich den Film - die psychischen Deformationen, die jemandem vom Kommunismus zugefügt wurden, kann man nicht reparieren. Man kann sie nur, wenn man ehrlich ist, akzeptieren.