27. Dezember 2006

Frau des Jahres

"Wer ist für Sie die Frau des Jahres?" fragt im Augenblick die Welt.

Ergebnis nach knapp 10 000 Antworten: Platz 3 mit 11,1 Prozent für Ayaan Hirsi Ali. Auf Platz 2 liegt mit 12,1 Prozent Natascha Kampusch. Siegerin mit großem Abstand (21,2 Prozent) ist die Kanzlerin Angela Merkel.

Gewiß sind Internet-Umfragen nicht repräsentativ. Aber ein Spitzenpolitiker, der versagt hat, würde auch in einer Internet-Umfrage nicht auf Platz eins landen.

Angela Merkel ist eine erfolgreiche Kanzlerin, bis jetzt. Nicht nur wegen des Aufschwungs, sondern in meinen Augen vor allem deshalb, weil sie den internationalen Vertrauensverlust, den Schröders schaukelnde Außenpolitik mit sich gebracht hatte, nicht nur gestoppt hat, sondern sogar Deutschland eine starke Position zurückgewinnen konnte. Langfristig eine entscheidende Voraussetzung auch für wirtschaftlichen Erfolg.



Es gab kürzlich hier eine interessante Diskussion über die Bilanz der Kanzlerin nach einem Jahr. Meine eigene, positive Bewertung fand nicht viel Zustimmung bei den Kommentatoren.

Ich kann das auch nachvollziehen, weil die Kanzlerin eindeutig nicht die Politik macht, die sie im Wahlkampf in Aussicht gestellt hatte.

Die Frage ist nur, warum. Ein kluger Kommentator, Boche, hat die Alternativen in der zitierten Diskussion präzise genannt: "Du glaubst, dass Merkel ganz anders würde, wenn sie könnte. Ich glaube, sie macht prinzipiell sozialdemokratische Politik, weil sie ihre liberalen Vorwahl-Ausflüge nie ernst gemeint oder vielleicht auch nicht verstanden hat."

In der Tat - es ist eine Frage der subjektiven Bewertung, wie man die Diskrepanz zwischen dem, was die Wahlkämpferin Merkel vermittelte und dem, was die Kanzlerin der Großen Koalition tut, interpretiert. Meine Sicht ist, daß die Kanzlerin - als Naturwissenschaftlerin - gelernt hat, Daten nüchtern zu bewerten und aus ihnen die Folgerungen zu ziehen, die sie nahelegen oder vielleicht gar erzwingen.

Sie ist meines Erachtens klug genug, um zu sehen, daß jede Spielart des Sozialismus, auch die sozialdemokratische, nur zu mehr Armut und mehr Unfreiheit führen kann. Aber sie ist - denke ich - eben auch nüchtern genug, aus dem Wahlergebnis 2005 die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen: Selbst bei diesen Wahlen in einer Situation, in der Rotgrün so bankrott gegangen war, wie eine Regierung überhaupt nur bankrott gehen kann, reichte es nicht für eine bürgerlich-liberale Mehrheit.

Das hatte, wahlstatistisch betrachtet, zwei simple Gründe: Erstens wählen nicht nur die Westdeutschen, sondern auch die Bürger der Neuen Länder. Zweitens haben wir das Frauenwahlrecht. Bei den Westdeutschen, bei den Männern hatte Schwarzgelb 2005 die Mehrheit. Bei den Ostdeutschen, bei den Frauen hatte - das muß man auch realistisch sehen - eine Volksfrontregierung aus SPD, Grünen und Kommunisten die Mehrheit.

Politologisch betrachtet, lag ein wesentlicher Grund für das schlechte Abschneiden der CDU darin, daß sie ihren Wahlkampf weitgehend auf dieselben Wählergruppen abstellte wie die FDP.

Das hat - in meiner subjektiven Sicht - der persönlichen politischen Haltung von Angela Merkel entsprochen. Aber es war, wahlstrategisch, eine Eselei. Zwei potentielle Koalitionspartner sollten so wenig, wie das nur irgend geht, um dieselben Wähler konkurrieren.



Auch die jetzigen Umfragen ergeben in der Regel keine absolute Mehrheit für eine Regierung aus CDU und FDP. Eine solche Mehrheit (von der ich überzeugt bin, daß Angela Merkel sie will) ist nur zu bekommen, wenn die CDU ihre soziale Tradition pflegt (die sie ja immer hatte) und dabei in Kauf nimmt, daß liberale Wähler zur FDP abwandern.

Eine sich liberal akzentuierende CDU, die im selben Revier Wählerstimmen jagt wie die FDP - das wäre das sicherste Mittel, die Wahlen 2009 zu verlieren.

Das, denke ich, hat die Kanzlerin kühl analysiert. Und sich dabei nicht nur ihres naturwissenschaftlich geschulten Verstands bedient, sondern auch der Erfahrungen, die sie als Schülerin Helmut Kohls gemacht hat.

Wenn sie jetzt weniger liberal auftritt als im Wahlkampf, dann liegt das also zwar offenkundig und vordergründig daran, daß sie nun einmal einer zur Hälfte sozialdemokratischen Regierung vorsteht. Aber ich denke, es ist auch eine strategische Entscheidung, die traditionelle Bandbreite der CDU nicht zu verengen. Es ist ja wenig erquicklich, das Richtige zu verkünden, wenn man es nicht auch durchsetzen kann.