23. Dezember 2006

Ketzereien zum Irak (2): Die Nachrichtenlage

Es ist im Grunde absurd: Der Irak steht im Mittelpunkt des Medieninteresses, und doch wird aus dem Irak kaum berichtet.

Es wird "kaum berichtet" in dem Sinn, daß die - freilich sehr lebhafte - Berichterstattung sich auf Anschläge von Terroristen beschränkt. Und auf die Schwierigkeiten der US-Regierung und des US-Militärs, diese terroristischen Aktivitäten zusammen mit der irakischen Armee einzudämmen. Der Irak wird uns ganz überwiegend als ein Schlachtfeld vorgeführt; und als ein politisches Chaos.

Wenn ich auf das hinweise, was darüber hinaus im Irak sich abspielt, sich entwickelt, vorangeht - dann hat das also, in Deutschland, in dieser manchmal sehr uniformen Medienlandschaft, wohl etwas Ketzerisches. Deshalb der Titel dieser Serie.



Der Irak hat ein massives, ein leider noch längst nicht beherrschtes Terrorismus-Problem. Nur ist der Irak ja nicht nur ein Land, das ein Terrorismus-Problem hat. So wenig, wie Deutschland nur ein Land mit Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus ist.

Aber die Berichterstattung aus dem Irak in der Mehrheit unserer Medien - sie ist ungefähr so, als würde die weltweite Berichterstattung aus Deutschland sich darauf beschränken, von der Not der Arbeitslosen und der Frechheit der Neonazis zu berichten.

Hier sind ein paar Informationen, die man im Blog Iraq the Model, geschrieben überwiegend von zwei Autoren aus Bagdad, Mohammed und Omar, in den letzten Tagen und Wochen lesen konnte. Leider sind die Beiträge nicht einzeln verlinkbar; man muß also ein wenig scrollen, um sie zu finden (Hervorhebungen von mir):



  • Auf den neuesten Beitrag, den Blog vom 20. Dezember, habe ich gestern hier aufmerksam gemacht: Omar sieht die aktuell anstehende politische Aufgabe darin, die gemäßigte, demokratisch gesonnene Mehrheit bei den Schiiten ebenso wie bei den Sunniten aus ihrer Abhängigkeit von den jeweiligen Extremisten zu lösen. Für mich gestern ein Anlaß, auf das allgemeine Problem einzugehen, wie Demokraten mit den Extremisten "ihrer Richtung" umgehen.



  • Blog vom 15. Dezember: Darin berichtet Mohammed über aktuelle Überlegungen zu einer Regierungsumbildung, die diesem Ziel dienen würde. Er erörtert die Chancen, daß sich bestimmte Gruppen beteiligen würden, und kommt dann zu einem interessanten Punkt:
    Either they insist on their obsolete doctrine and keep falling back in the face of liberal democracy which eventually leads to their defeat as a political power or, the moderate elements of political Islam, such as the two in the front in question, consider redesigning their policy and agenda in such a manner that avoids conflicts with other powers and accepts the concept of power-sharing and stop imposing their vision as the one and only right one to accept being a partner, not a sole leader. The good thing in all of this however is that extremism will be the loser and will keep shrinking on the long term.
    "They", das sind die nicht-terroristischen islamischen Gruppen. Was er von ihnen erwartet, das ist der Verzicht darauf, ihre eigene politische Vision gegen die der anderen vollkommen durchzusetzen. Sie müssen, meint er, sich demokratischen Spielregeln anbequemen. Die Extremisten, glaubt er, werden die Verlierer sein.



  • Blog vom 9. Dezember: Der Irak hatte dieses Jahr Öleinnahmen von 35 Milliarden Dollar, 14,3 Prozent mehr als vergangenes Jahr. (Da sieht man, wie die Ölkonzerne den Irak ausbeuten; Anmerkung von Zettel). Die Regierung hat es, schreibt, Mohammed, kaum geschafft, dieses ganze Geld auszugeben - nicht nur wegen des Terrorismus, sondern auch wegen mangelnder Effizienz der Behörden. Jetzt wird im Parlament diskutiert, die Bezüge der Beamten zu erhöhen und/oder einen Teil der Öl-Einkünfte direkt an die Bürger auszuschütten.

    Damit könnte die Entwicklung des privaten Sektors im Irak weiter angekurbelt werden. Und diese Passage zitiere ich wörtlich und übersetze sie, weil sich vielleicht viele bei der Lektüre die Augen reiben werden:
    The private sector in Iraq had witnessed giant leaps immediately after the fall of Saddam; that could be seen in the form of the thousands of private businesses that were established in the course of the past three years and that had a direct positive effect on the standards of living after long years of deprivation. It's worth mentioning that between 1946 and the beginning of 2003 a total of 8374 businesses were registered while between April 2003 and the end of 2005 more than 20,000 have been registered. During last month alone 286 new businesses were added. Such statistics seem quite extraordinary under the current security situation which sadly continues to overshadow and limits further improvement of this aspect of life in Iraq.

    Der private Sektor im Irak hat nach dem Fall Saddams einen gigantischen Sprung nach vorn erlebt; das zeigte sich in Gestalt tausender von Privatunternehmen, die im Verlauf der letzten drei Jahre gegründet wurden und die nach langen Jahren des Mangels eine unmittelbare Auswirkung auf den Lebensstandard hatten. Es verdient erwähnt zu werden, daß zwischen 1946 und Anfang 2003 insgesamt 8374 Unternehmen eingetragen wurden, während zwischen April 2003 und Ende 2005 mehr als 20 000 eingetragen wurden. Im letzten Monat allein kamen 286 Unternehmen hinzu. Solche Statistiken erscheinen recht außergewöhnlich unter der gegenwärtigen Sicherheitssituation, die leider weitere Verbesserungen dieses Aspekts des Lebens im Irak überschattet und beschränkt.



  • Blog vom 7. Dezember: Hier zitiert Omar diese offizíelle Mitteilung über die Gefangennahme zahlreicher Führer der terroristischen Ansar al-Sunna.

    Wo in den deutschen Medien wurde darüber berichtet? Während jeder Anschlag von Terroristen eine Meldung, oft einen Aufmacher, wert ist. Die Berichterstattung in den deutschen Medien hat insofern große Ähnlichkeit mit der Wehrmachtsberichterstattung: Die Erfolge der einen Seite (der Wehrmacht damals, der irakischen Terroristen heute) werden groß herausgestellt. Die der anderen Seite (der Alliierten damals, der MNF und der Irakischen Armee heute) werden unterschlagen oder heruntergespielt.


  • Warum diese Unvollständigkeit, diese Einseitigkeit der Nachrichten, die uns Deutsche aus dem Irak erreichen? Well, that's another question.

    Ob ich sie beantworten kann, weiß ich noch nicht. Aber mir scheint, daß die Unehrlichkeit, die Einseitigkeit, die Ereiferung in Sachen Irak zu den weniger erfreulichen Episoden linken Denkens in Deutschland, in Europa gehört.

    Es war ja sehr heftig getroffen, das linke Denken, durch das Scheitern des Sozialismus. Und mir scheint, am Irak versucht es sich jetzt wieder aufzurichten.