31. Dezember 2006

Ja, darf man denn da lachen?

Lachen ist etwas Soziales. Ja, gut, man kann auch allein lachen. So, wie man vor sich hinreden kann. Aber das richtige, das herzhafte, das wiehernde, auch das befreiende Lachen - das vollzieht sich im Gleichklang mit anderen.

Über Witze, die man liest, schmunzelt man vielleicht, kichert in sich hinein. Nur der erzählte - am besten der in einer Gruppe erzählte - Witz läßt aber die ganze komplexe Koordination angeborenen Verhaltens ablaufen, die wir "Lachen" nennen. Das rhythmische Ausstoßen der Luft, das Verziehen des Gesichts, das Entblößen der Zähne. Das Vibrieren des ganzen Körpers, wenn wir so richtig schön lachen.

Und natürlich, damit einhergehend, das nicht unerhebliche subjektive Wohlgefühl, das die Evolution mit diesem Verhalten verknüpft hat.

Wenn man allein ist und lachen "muß", dann ist das bei weitem nicht so vergnüglich, aber es kann doch ganz schön sein.



Vorausgesetzt, man ist allein.

Denn es gibt ja auch diese Situation: Ein einsamer Lacher, auf den sich die Blicke von denjenigen richten, die keineswegs lachen "müssen". Nun steht er da, oder bleibt er sitzen, mit seinem Lachen, dem unsozialen.

So befreiend das gemeinsame Lachen ist, so peinlich ist das Lachen desjenigen, der "an der falschen Stelle" lacht. Der Tölpel, der eine Feierstunde durch sein Lachen stört. Der Theaterbesucher, der in die Ergriffenheit der anderen hinein lacht, weil er etwas Todernstes für einen Witz gehalten hat.

Sein Lachen erstirbt abrupt. Er sieht sich um, bemerkt sein Fehlverhalten, errötet und schämt sich. Er hatte und hat nichts zu lachen. Dieser Unangepaßte, dieser Asoziale.



So ist es mir vor ein paar Tagen gegangen. Naja, nicht genau so. Nämlich nicht im Theater, sondern im Kino. Und geschämt habe ich mich auch nicht, nur gewundert. Das aber sehr.

Wir haben Aki Kaurismäkis neuen Film gesehen. "Lichter der Vorstadt" heißt es auf den deutschen Plakaten. Mal wieder eine jener rätselhaften Eindeutschungen - der englische Titel ist Lights in the Dusk, also Lichter in der Dämmerung. Den finnischen kann ich leider nicht übersetzen; aber ich vermute, daß er näher am englischen als am deutschen ist.

Daß der Film in einer "Vorstadt" spielt, ist mir nicht aufgefallen. Mir schien das Helsinki zu sein.

Aber die "Vorstädte", da weiß ja gleich jeder, woran er ist: Da wohnen die Unterprivilegierten, die Prekären, wie man heute sagt.

Also ein sozialkritischer Film, so mag der Titel es signalisieren wollen. Ein ernsthafter Film, der uns belehrt, wie schlecht es den Menschen in dieser Gesellschaft geht.



Ich mag Aki Kaurismäki. Er hat einen Blick für Farben und Einstellungen wie wenige Regisseure. Viele seiner Einstellungen sind wie Gemälde, so künstlich gestaltet. Mit kargen Mitteln; ein Bild wird ja nicht besser, je mehr darauf zu sehen ist.

Kaurismäki ist ein Maler von Szenen, von extrem reduzierten und dadurch ästhetisierten Szenen. Vielleicht so etwas wie der Dennis Hopper des bewegten Bildes.

Das ist aber nicht der Hauptgrund, warum ich Kaurismäki mag. Der Hauptgrund ist sein Humor.

Nein, er macht keine Witze, er inszeniert keine "Komödien", keine "Lustspiele". Sondern er zeigt das Leben, wie es ist: Absurd, also lustig.

Nur übertreibt er natürlich, wie jeder Künstler. Oder "überhöht", wenn man diese Bezeichnung passender findet. Seine Gestalten tappen von Mißgeschick zu Mißgeschick. Sie gucken dabei traurig wie Buster Keaton. Sie verheddern sich in ein unbegreifliches, auch gar nicht beeinflußbares Schicksal. Sie tun das rührend, hilflos, stolpernd. Das ist lustig.

Beckett hat dergleichen auf die Bühne gebracht, Ionesco hat es zu einer überdrehten Perfektion entwickelt. In der Literatur haben es Robert Walser und vor allem Franz Kafka vorgeführt, zwei ganz große Humoristen. Und natürlich ist das große und unerreichte Vorbild dieser Art von traurig- humoristischer Literatur der Don Quijote.

Lachen also, auf seine - vermutliche - evolutionär älteste Form, seine Grundform somit, bezogen: das Lachen über das Mißgeschick, das anderen widerfährt.



Gewiß ist Kaurismäki nicht nur Humorist. Auch Kafka ware das nicht; so wenig, wie Wilhelm Busch und Karl Valentin. Das Mißgeschick, über das wir lachen, ist ja auch traurig. Nichts ist dümmer, als zwischen U und E zu trennen, zwischen den tragischen und den absurd- lustigen Momenten des Lebens.

Also kann man im Lustigen, kann man hinter dem Lustigen, das sich in einem Mißgeschick konkretisiert, immer auch das ganz Andere erkennen: Das Tragische, das entsetzlich Schlimme.

Man kann, wenn man will, neben dem persönlichen Pech derer, die es trifft, auch soziale Dimensionen wahrnehmen. Metaphysische gar, wie man das Kafka zugeschrieben hat. Daß wir über das Schicksal lachen können, liegt ja vielleicht just daran, daß es gemein, absurd, lächerlich ist. Ja, klar.

Diese Vielschichtigkeit uns vorzuführen - das unter anderem macht die Qualität eines Kunstwerks aus. Auch im Hamlet wird nicht nur getrauert und gestorben, sondern es werden auch kräftige Witze gerissen.

Wir haben in Bochum einmal eine Othello- Inszenierung von Peter Zadek gesehen, in der die Ermordungs- Szene laute Lacher provozierte. Othello wurde als eine Art Schattenriß gezeigt, das ganze war ein Bild aus einem Comic.

Ja, warum nicht? Es war erschütternd, lächerlich. Große Kunst also.



Nun gibt es freilich Grenzen dessen, was uns am Unglück anderer noch ein Lachen abnötigt. Das besagt auch die eingangs zitierte evolutionäre Theorie des Lachens: Ein mildes Mißgeschick war es, wie Stolpern, wie Pupsen, das unsere Vorfahren das Lachen als soziale Bewältigungsstrategie entwickeln ließ. Nicht tödliches Unglück.

Ab welcher Stufe fremden Unglücks Lachen "sich verbietet", das ist schwer zu sagen. Kinder sind da naiv. Sie lachen auch noch, wenn Tom von Jerry (oder vielmehr dem, was Jerry an physikalischen Abläufen listigerweise in seinen Dienst stellt) plattgemacht und verunstaltet wird.

Bei uns zivilisierten Erwachsenen ist hingegen Schluß mit Lustig, wenn es wirklich ernst wird. Also vielleicht schon dann, wenn Kaurismäkis Nicht-Held nicht nur verprügelt wird, sondern im Gefängnis landet.



Mit diesem neuen Film "Lichter der Vorstadt", dem Abschluß der Verlierer- Trilogie, hat Kaurismäki das, was er zuvor versucht hatte, auf die Spitze getrieben. Manchmal bis zur Selbstparodie.

Die Gestalten sind vereinsamt, unfähig zur Kommunikation; das kennen wir aus den früheren Filmen. Jetzt gucken sie einander gar nicht mehr an beim Reden, sprechen ihre Unbeholfenheiten sozusagen nur in die Kamera. Wie beim jungen Kroetz, nur noch viel, viel schlimmer.

Der Held ist diesmal nicht nur ein Verlierer, sondern ein buchstäblich Geprügelter. Daß er verhauen wird, das ist sozusagen der Running Gag dieses Films.

Und daß er mit müder Stimme großspurig ankündigt, er werde demnächst das Große Geschaft aufziehen.

Nachdem er hilflos in der Disco herumgestanden hat, bekennt er sich, sozusagen in der Nachbetrachtung, als begabter Rock- Tänzer.

Er flirtet mit seiner falschen Dulcinea ungefähr so geschickt, wie Monsieur Hulot mit der modernen Technik umging.

Wenn es ihn - auch das ein Running Gag -, zwecks Kontaktaufnahme mal wieder an einen Tresen, in eine Kneipe treibt, dann steht da ein überlebensgroßer Barkeeper oder Wirt.

Wenn er sich in eine Ecke zurückzieht, dann geht die Klotür auf und klemmt ihn ein.



Kurz, dieser traurige Held ist einer wie der Tramp von Charlie Chaplin, mit dem ihn Kaurismäki auch verglichen hat. Und der Film logischerweise voller Slapstick- Effekte.

Also habe ich gelacht. Immer, wenn es lustig wurde.

Nein, nicht immer, nur am Anfang, in den vielleicht ersten zehn Minuten des Films

Denn in dem "Filmkunsttheater", dessen kleiner Saal bis fast auf den letzten Platz von einem kulturell interessierten Publikum gefüllt war - mindestens zwei Kollegen von der Uni mit Frau habe ich gesehen -, wurde fast nicht gelacht.

Mein Lachen wurde nicht geteilt, von ganz Wenigen abgesehen, die aber auch bald verstummten.

Wie ich. Denn in eine stumme, vielleicht gerade von ihrer sozialen Verantwortung erschütterte, das Los der armen Finnen bedauernde, tief ernsthafte Zuschauergemeinde hinein zu lachen - nein, das mochte ich nicht.

Also habe ich mich zusammengerissen, bevor das erste Zischen der Seh- Gemeinschaft meine Lustigkeit kommentiert hätte.

Ich sank - hat meine Frau später gesagt - langsam in mich zusammen und bin wohl gelegentlich eingeschlafen.



Mit Dank an RFN. Titelvignette: Der Ha Ha Guy; eine Werbefingur, die in den USA für Forbes Dry Plates warb, in der Frühzeit der Fotografie.