26. Dezember 2006

Ein Road Movie. Und Filme überhaupt

Gleich zweimal lief in diesen Weihnachtstagen im TV das Road Movie aller Road Movies: The Straight Story von David Lynch. Der doppeldeutige Titel ist, wie so oft, in der deutschen Übersetzung hopps gegangen. (Seltsam - die albernsten Titel von US-Filmen werden in Deutschland auf Englisch übernommen. Wenn es aber mal wirklich ein schwer übersetzbares Wortspiel gibt, dann ausgerechnet findet der Verleih einen Titel, der gezielt danebengeht: "Eine wahre Geschichte"; dümmer geht's nümmer).



Ich mag Road Movies sehr. Vielleicht ist das Road Movie ja der schlechthinnige Film.

Film, das heißt, daß man die Realität leugnet. Dazu gehört die Dunkelheit des Filmtheaters. Der Vorhang geht auf. Früher gingen sogar mindestens zwei Vorhänge auf. Erst hob sich der geraffte, dann ging der theatermäßige auseinander. Oder auch in umgekehrter Folge. Dann der Gong. Dann Pause. Dann langsame Verdunklung. Und dann war man eingestimmt. Entrückt. Weg vom richtigen Leben.

Realistischer Film, Cinéma Vérité, gar der sozialkritische Film der Kommunisten, das ist eine große Dummheit. Ungefähr wie eine esoterische Wissenschaft oder wie eine ungerechte Jurisprudenz.

Film ist, natürlich, unrealistisch. Kintopp halt. Die Realität hat man doch außerhalb des Kinos. Die Leute ins Kino einzuladen, damit sie dort etwas über "ihre Probleme", über "die Gesellschaft" lernen - welche unglaubliche Borniertheit. Welche Tristesse, welche Langeweile, diese politischen Filme.

Welche Arroganz auch von denjenigen, die das propagieren und die sich, ganz hochnäsige Volkserzieher, damit darüber erheben, daß "Lieschen Müller" im Kintopp sich an der Bebilderung seiner Träume erfreut. Ja, was denn sonst?



Film ist, trivialerweise, "Flucht aus dem Alltag", wie Theater überhaupt. Das Road Movie zeigt eine "Flucht aus dem Alltag". Insofern ist das Road Movie dasjenige Genre, in dem das Wesen des Mediums und sein Inhalt sich besonders nah kommen; the medium is the message, oder vielmehr: the message fits the medium.

Ausbrechen, abhauen, weg. Das ist ein Urthema, der Jugend zumal. Man schippert los, ob als Argonaut oder als einer der Crew von Ulysses. Oder man zieht in die Welt als Parzifal, als Simplicius Simplicissimus, als der Grüne Heinrich, als Easy Rider.

Oder als Seemann, der dann Heimweh nach Sankt Pauli hat, aber seine Heimat ist das Meer, und nur ihr kann er treu sein.

Nur raus, was Neues sehen. Sicherheit aufgeben, um die Welt, aber natürlich vor allem sich selbst, kennenzulernen.

Notfalls es sich zeigen zu lassen, wenn man es selbst nicht erleben kann, weil immobil. Wie Hans Castorp, der runter-, oder auch hochgekommene Parzifal. Die Karikatur, die dekadente Variante des Parzifal. Aber, eingewickelt in seine Decken auf seinem Balkon, bleibt er ja neugierig. Wie meist bei Thomas Mann die dekadente Variante eines großen Themas.

Ich hatte das sehr heftig. Nur weg. Anderswo als am Heimatort studieren. In den Semesterferien ins Ausland. Mit fast keinem Geld irgendwie durchkommen. Als "Tramper" damals wußte man nie, wo man schlafen würde. In der Jugendherberge, das war gut. Im Abri Municipal, nun ja. Notfalls auf einer Bank oder einfach im Gras, warum nicht. Im Polizeigewahrsam, das war oft erstaunlich komfortabel, jedenfalls in Deutschland, mit einem guten Frühstück.



In der Straight Story ist das alles genauso. Nur ist derjenige, der da loszieht, kein hoffnungsfroher Jüngling, sondern eine alter Mann.

Das Klischee wird also gegen den Strich gebürstet. Er bricht nicht auf ins Leben, sondern er versucht, ein vergehendes Leben noch zu erhaschen. Oder zwei: Seines, das seines Bruders. Und er braust nicht los, sondern er kriecht und krabbelt, lächerlicher geht es ja nicht, auf seinem Rasenmäher über die Landstraßen.

Das ewige Klischee also, nur daß alles anders ist. Das macht einen Film interessant: Er benutzt das Schema, variiert es aber. Reiten, reiten, reiten. But the man who "rides" - sitzt nicht im Sattel, sondern auf einem armseligen Gerät. Es ist alles erbärmlich, also wahr, also anrührend.

Ein schöner Film. Wir haben ihn damals im Kino gesehen. Jetzt noch einmal im TV. Das war nur ein Abklatsch, weil eben ein solcher Kino- Kino- Kinofilm logischerweis nur im Kino richtig genossen werden kann.