14. September 2010

Zettels Meckerecke: Im Politbarometer 56 Prozent Zustimmung für Sarrazin, 28 Prozent Ablehnung. Und was meldet "Spiegel-Online"? Raten Sie mal ...

Für das Politbarometer des ZDF am vergangenen Freitag hat die Forschungsgruppe Wahlen vom 7. bis 9. September 1.221 zufällig ausgewählte Wahlberechtigte telefonisch befragt. Eine der Fragen befaßte sich mit den Thesen von Thilo Sarrazin. Soweit man das den Angaben der Forschungsgruppe Wahlen entnehmen kann, lautete die Frage: "Hat Thilo Sarrazin mit seiner Kritik Recht?" 56 Prozent antworteten mit "ja", 28 Prozent mit "nein". Der Rest äußerte keine Meinung.

Also ein Verhältnis von genau 2:1 zugunsten von Sarrazin.

Bei den Anhängern der FDP lag die Zustimmung sogar bei 80 Prozent, bei den Anhängern der Union bei 61 Prozent und bei denen der Partei "Die Linke" bei 59 Prozent. Die Anhäger der SPD stimmten zu 53 und diejenigen der Grünen zu 45 Prozent zu.

Was nicht heißt, daß der jeweilige Rest Sarrazin Unrecht gab; die Darstellung (Schaubild 11) läßt nicht erkennen, wieviele Prozent bei den einzelnen Parteien mit "Sarrazin hat nicht Recht" oder mit "weiß nicht" antworteten. In der gesamten Stichprobe antworteten 16 Prozent "weiß nicht".



Ein sensationelles Ergebnis, nicht wahr? Sensationell, wenn man bedenkt, daß Sarrazin in den Medien seit Wochen eine fast durchgehende, bis zur Diffamierung reichende Ablehnung erfährt. (Siehe zum Beispiel Pawlow'sche Reflexe; ZR vom 25. 8. 2010).

Eine sensationelle Meldung deshalb, weil die Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen eine tiefe Kluft zwischen der Meinung in der Bevölkerung und der in den Leitmedien vorherrschenden Meinung offenbart.

Daß die Anhänger aller Parteien (mit der denkbaren, aber unwahrscheinlichen Ausnahme der Grünen) sich mehrheitlich gegen das stellen, was quer durch die Parteien alle führenden Politiker vertreten; gegen das, worin sich die Kommentatoren fast aller Leitmedien einig sind - das ist doch eine Nachricht von der Qualität "man bites dog", nicht wahr?

Ein Knüller also. Etwas, das es in dieser Größenordnung sehr wahrscheinlich in der Geschichte politischer Umfragen in Deutschland noch nicht gegeben hat.

Wurde dieses sensationelle Ergebnis angemessen gemeldet?

Ich sehe ziemlich viele Nachrichtensendungen im TV und verfolge die Internetausgaben der großen Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine. Das "Politbarometer" am Freitag hatte ich allerdings nicht gesehen. Und seltsamerweise war mir sein Ergebnis entgangen; trotz meines fleißigen Medienkonsums.



Nun gut, das mag an mir liegen. Vielleicht habe ich immer gerade nicht hingehört, wenn die Sensation in der "Tagesschau", in der Sendung "Heute" gemeldet wurde. Vielleicht habe ich auch just dann die Internetausgaben der großen Medien nicht angeklickt, als das dort groß gemeldet wurde.

Ich habe jetzt einmal herauszufinden versucht, ob "Spiegel-Online" berichtet hat. Die interne Suchfunktion von "Spiegel-Online" liefert für die Suchbegriffe Politbarometer Sarrazin zwei Fundstellen. Die eine stammt vom 6. April 2004, die andere vom 12. Dezember 2009.

Zur Sicherheit habe ich auch noch gegoogelt; nach politbarometer sarrazin site:http://www.spiegel.de/. Auch hier kein Ergebnis für das aktuelle "Politbarometer". Offenbar hat "Spiegel-Online" über diese Umfrage schlicht nicht berichtet.

Und das, obwohl dort sonst sehr oft über das Politbarometer berichtet wird. Überzeugen Sie sich davon, indem sie nach politbarometer site:http://www.spiegel.de/ googeln.

Ignoriert "Spiegel-Online" das Thema also völlig? Keineswegs. Dort steht seit heute um 12.18 Uhr ein Artikel mit dem erstaunlichen Titel "42 Prozent der Deutschen lehnen Sarrazins Thesen ab".

Nur 37 Prozent "sagen, er habe Recht", so der Vorspann zu dem Artikel.

Bemerkenswert, nicht wahr? Die glatte Umkehrung des Ergebnisses der Forschungsgruppe Wahlen. Da lohnt sich das genauere Hinsehen.

Wer hat diese Umfrage gemacht? Emnid, Allensbach, Infratest dimap, Forsa? Nein. Es handelt sich um eine Umfrage, so "Spiegel-Online", "des Berliner Info-Instituts".

Ich gestehe, daß ich den Namen dieses Instituts noch nie gehört oder gelesen habe. Was natürlich nichts besagt; auch die politischen Umfragen, die dieses Institut bisher gemacht hat, können mir ja entgangen sein. Möglicherweise sind sie hervorragend.

Also habe ich mich dafür interessiert, wer denn dieses Institut ist. In seinem Profil gibt dieses Institut mit Sitz in Antalya / Türkei an:
  • Mediaforschung
  • Kundenzufriedenheitsforschung
  • Handelsforschung
  • Konsumgüterforschung
  • Werbeforschung
  • Keine politischen Umfragen.

    Vielleicht macht es diese dennoch und hat das nur nicht angegeben. Der Internet-Auftritt läßt vermuten, daß es sich um ein großes, seriöses Institut handelt.

    Nach den Einzelheiten der Umfrage, über die "Spiegel-Online" berichtet, habe ich dort allerdings vergeblich gesucht.

    Ich hatte Hoffung, sie vielleicht unter Archiv zu finden. Dort steht aber nur eine Pressemitteilung, aus der man erfährt, daß das Institut am 11. April 2008 gegründet wurde.

    Darüber zwei Bilder. Eines zeigt etliche Hochhäuser. Das andere zeigt zwei Männer, die eine große türkische Fahne ausgebreitet tragen, sowie einen weiteren Mann, der sich in eine türkische Fahne gehüllt hat. Im Hintergrund weht klein die deutsche Flagge.

    Nichts gegen dieses Institut, über dessen Qualität ich überhaupt kein Urteil fällen kann, weil ich nichts von seiner Arbeit weiß. Es mag, wie gesagt, exzellent arbeiten.

    Aber hätte "Spiegel-Online", wenn es die Ergebnisse dieses Instituts meldet, nicht vielleicht auch die Ergebnisse derjenigen Einrichtung melden sollen, die sich seit Jahrzehnten ganz auf politische Umfragen spezialisiert hat, der Forschungsgruppe Wahlen?



    Finden Sie, daß "Spiegel-Online" Sie korrekt und objektiv informiert? Sie können wählen zwischen "ja", "nein" und "weiß nicht".



    © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an Lalelu und an C..