22. September 2010

Marginalie: "Das Leben eines Moslems ist nicht viel wert". Ein Publizist wird sarraziniert

"But, frankly, Muslim life is cheap" (Aber offen gesagt ist das Leben eines Moslems nicht viel wert).

Diesen Satz schrieb der amerikanische Publizist Marty Peretz Anfang dieses Monates in einem Editorial (einem die Meinung der Redaktion ausdrückenden Kommentar) des vierzehntäglich erscheinenden Magazins für Politik und Kultur The New Republic.

In welchem Kontext schrieb Peretz das? Er diskutiert die Bombenanschläge, das anhaltende Morden in Ländern wie Pakistan und meint dazu:
This intense epidemic of slaughter has been going on for nearly a decade and a half...without protest, without anything. And it has been going for decades and centuries before that.

Why do not Muslims raise their voices against these at once planned and random killings all over the Islamic world? This world went into hysteria some months ago when the Mossad took out the Hamas head of its own Murder Inc.

But, frankly, Muslim life is cheap, most notably to Muslims. And among those Muslims led by the Imam Rauf there is hardly one who has raised a fuss about the routine and random bloodshed that defines their brotherhood.

Die massive Epidemie des Mordens ist seit fast eineinhalb Jahrzehnten im Gang ... ohne Protest, ohne irgendetwas. Und es gab sie über Jahrzehnte und Jahrhunderte zuvor.

Warum erheben Moslems nicht ihre Stimme gegen diese zugleich planmäßigen und wahllosen Morde überall in der islamischen Welt? Unsere Welt geriet vor einigen Monaten in Hysterie, als der Mossad den Hamas-Führer ihrer eigenen Mörder AG ausschaltete.

Aber offen gesagt ist das Leben eines Moslems nicht viel wert, ganz besonders den Moslems. Und unter denjenigen Moslems, die von dem Imam Rauf angeführt werden, ist kaum einer, der viel Aufhebens um das routinemäßige und wahllose Blutvergießen macht, das ihre Glaubensbrüder kennzeichnet.
Es ist also nicht etwa der Autor, Marty Peretz, für den das Leben eines Moslems nach seiner Aussage wenig wert ist. Ganz im Gegenteil - er kritisiert, daß die Moslems selbst sich nicht betroffener zeigen über das Blutvergießen an ihren Glaubensbrüdern.

Und was widerfuhr Peretz dafür, daß er diese Feststellung getroffen hat, der man zustimmen kann oder auch nicht, die aber doch offenkundig nichts Anstößiges hat?

Man konnte es gestern im Informationsdienst The Slatest lesen, durch den ich auf die Sache aufmerksam geworden bin:
Talk is not cheap. It cost Marty Peretz, the unofficial co-editor (and official financier) of the New Republic a chance to give the keynote address at a Harvard University event honoring him and several other former professors. Peretz was going to be the guest of honor, until he said "Frankly, Muslim life is cheap." (...) On Tuesday, Harvard released a final version of the ceremony's schedule, and Peretz had been replaced as keynote speaker by Robert Wolff, another honoree.

Reden kann man viel? Nein. Es kostete Marty Peretz, den inoffiziellen Mitherausgeber (und offiziellen Finanzier) der New Republic die Chance, einen Festvortrag bei einer Feier an der Universität Harvard zu halten, auf der er und etliche andere frühere Professoren geehrt werden sollten. Peretz sollte der Ehrengast sein, bis er sagte: "Aber offen gesagt ist das Leben eines Moslems nicht viel wert". (...) Am Dienstag gab Harvard die endgültige Fassung des Programms für die Feierlichkeit bekannt. Peretz war als Festredner durch Robert Wolff ersetzt worden, einen anderen Ehrengast.



Es geht Peretz in kleinerem Maßstab so, wie es Thilo Sarrazin bei uns ergeht. Man nimmt nicht zur Kenntnis, was er sagte und was er gemeint hat, sondern reißt eine Äußerung von ihm aus dem Zusammenhang und stellt ihn dafür ins gesellschaftliche Abseits.

Politische Begriffe werden manchmal nach Personen benannt. "Boykottieren" zum Beispiel geht zurück auf Charles Boykott, der Ende des 19. Jahrhunderts Verwalter für einen englischen Gutsbesitzer in Irland war und dem im Rahmen sozialer Unruhen unzufriedene Iren die Belieferung, die Postzustellung und auch die Arbeit verweigerten.

Ich schlage vor, analog künftig von "Sarrazinieren" zu sprechen, wenn man jemanden so behandelt wie Thilo Sarrazin und jetzt den Publizisten Marty Peretz.



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