16. September 2010

Zitate des Tages: "In manchen Stadtteilen gibt es mehr Sozialarbeiter als Bewohner". Über die absurde Integrationsindustrie

"Manche Stadtteile sehen aus wie ein Krankenhaus. Es gibt mehr Sozialarbeiter als Bewohner. Man vermittelt den Leuten das Gefühl: Ihr seid krank. Um euch muss man sich kümmern."

Alireza Mohamadzadeh über seine Erfahrungen als freiwilliger Jugendhelfer in einem Stadtteil in Bremen-Nord mit einem hohen Anteil von Einwanderern.

"Manchmal werde ich zu einer Konferenz gerufen, um über einen einzigen schwierigen Jugendlichen zu sprechen. Da sitzen dann 20 Personen im Konferenzraum, alles, was man sich an professionellem Hilfspersonal vorstellen kann, und alle sagen: Keine Ahnung. Wir wissen auch nicht weiter."

Eine Sozialpädagogin, die im selben Stadtteil tätig ist.

"Die Deutschen müssen aufpassen. Sonst ist Krieg!"

Cemil, Wortführer einer Gruppe türkischer Jugendlicher im selben Stadtteil.

Alle Zitate aus einem Artikel von Franziska Reich und Özlem Gezer in Heft 14/2009 des "Stern".

Doch die Debatte um das Sarrazin-Buch zeigt, dass Untätigkeit keine Lösung ist.

Aus der Titelgeschichte "Bündnis der Weggucker" im aktuellen "Spiegel" (Heft 37, 2010, S. 22).


Kommentar: Von "Untätigkeit" zu sprechen ist nachgerade absurd. Eine riesige Integrationsindustrie kümmert sich seit Jahren um diejenigen, die nicht oder schlecht integriert sind. Noch einmal der "Stern":
Und so stürzt sich also eine Armada an Familienhelfern, Streetworkern, Sozialpädagogen, Bewerbungshelfern, Bewährungshelfern, Sprachlehrern, Jobvermittlern, Psychologen, Konfliktschlichtern, Jugendgerichtshelfern und Kontaktpolizisten auf die Familien, die es über Jahre hinweg nicht schaffen, sich in Deutschland ein eigenständiges Leben aufzubauen.
Mehr Tätigkeit des Staats zwecks Beförderung der Integration zu verlangen ist so, als würde man einen Alkoholiker zu therapieren versuchen, indem man ihm Gutscheine schenkt, mit denen er sich bei Aldi unbegrenzt mit Wodka versorgen kann.

Einwanderer zum Objekt aller dieser gutgemeinten Bemühungen zu machen, hilft ihnen kaum, sondern es schadet ihnen in der Regel. Es macht sie unselbständig. Es erzeugt bei ihnen die Überzeugung, zu bekommen, was man will, auch ohne sich anstrengen zu müssen. Es macht sie damit lebensuntüchtig.

Es degradiert sie vom eigenverantwortlichen Bürger zum Mündel aller dieser Helfer und ihrer Helfershelfer. Es verletzt damit auch ihren Stolz, ihr - bei uns Deutschen nur noch selten anzutreffen, wohl aber bei türkischen Einwanderern - Ehrgefühl.

Das führt dazu, daß sie die Hand beißen, die sie füttert. Nicht mangelnde Fürsorge des Staats macht sie aggressiv, diese türkischen Jugendlichen, sondern das Gefühl, als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden, indem man ihnen nicht zutraut, für sich selbst verantwortlich zu sein.

Ich kann den Ausbruch von Cemil verstehen. Er sagte auch: "Was wollen die von mir! Ich spreche Deutsch, ich esse Deutsch, ich denke Deutsch, und trotzdem behandeln die mich wie Dreck!"

Natürlich wird er nicht in dem Sinn "wie Dreck" behandelt, daß man ihm Nahrung, Wohnung, genug Geld für das neue Handy und das Daddeln verweigern würde. Sondern er fühlt sich so behandelt, weil man ihn, weil dieser Nanny-Staat ihn, den Dreißigjährigen, wie ein unmündiges Kind behandelt; ein Opfer der Integrationsindustrie.

"Fordern und fördern" ruft heute jeder. Richtig wäre: "Mehr fordern, weniger fördern".



© Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken. Mit Dank an C. für den Hinweis auf den "Stern"-Artikel.