Im Gefolge der Sarrazin-Aufregung wird in letzter Zeit eine Studie nach der anderen publiziert, denen zufolge die Integrationsverweigerung gar nicht so schlimm sei wie von Sarrazin angeprangert, die sprachliche Kompetenz von Migranten in Deutschland umgekehrt viel höher als vermutet. Bei Beckmann berichtet Naika Foroutan, dass 84% der hier lebenden Türken und Araber davon überzeugt sind, gute bis sehr gute Deutschkenntnisse zu besitzen (Zettels und meine Einschätzung von Frau Foroutans wissenschaftlicher Arbeit finden Sie in Zettels Kleinem Zimmer). Und nun berichten verschiedene Medien über eine weitere Studie, die zu ähnlichen Ergebnissen kommt:
Nun, dass es vielleicht doch nicht ganz so einfach ist mit der Selbsteinschätzung von Kompetenz, das weiß eigentlich jeder, der selbst einmal die Schule besucht hat (aber nach Frau Foroutan oder Herrn Brücker zu urteilen, scheinen bestimmte Tätigkeiten im Erwachsenenalter diese Erkenntnis wieder auszulöschen). Aber gibt es tatsächlich wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, wie gut Selbsteinschätzung sein kann, um Kompetenzen zu beurteilen?
Es gibt sie.
Schon 1999 publizierten Justin Kruger und David Dunning einen Artikel mit dem Titel Unskilled and unaware of it: How difficulties in recognizing one's own incompetence lead to inflated self-assessments (etwa: "Unwissend und dessen unkundig: wie Schwierigkeiten, die eigene Inkompetenz zu erkennen, zu übersteigerten Selbsteinschätzungen führen") im Journal of Personality and Social Psychology. In diesem Artikel beschreiben sie einen Effekt, der seitdem nach den Autoren "Dunning-Kruger Effect" genannt wird. Worum geht es bei diesem Effekt?
Stellen wir uns hundert Menschen vor, die eine kognitive Aufgabe bewältigen müssen. Vielleicht sollen sie Sätze als grammatikalisch richtig oder falsch erkennen oder Aufgaben zur Logik lösen. Die hundert Versuchspersonen werden in diesen Aufgaben unterschiedlich gut abschneiden. Ordnen wir sie in der Reihenfolge ihrer Leistung an, so dass die erste Versuchsperson am schlechtesten und die hundertste am besten ist - ohne dass wir den Teilnehmern sagen, wie sie selbst abgeschnitten haben.
Und jetzt fragen wir die zehnte Versuchsperson, also die zehntschlechteste, an welcher Stelle sie ihrer eigenen Meinung nach steht. Ebenso fragen wir Nummer 90, also die zehntbeste.
Kruger und Dunning beobachteten, dass die schlechten Versuchspersonen sich über- und die guten sich unterschätzten. In unserem Beispiel ist möglicherweise Nummer 10 der Meinung, sie sei an Stelle 25, und Nummer 90 glaubt, sie sei nur Nummer 75. Bei manchen Aufgabentypen halten sich zumindest noch Niedrigleister für schlechter als Hochleister, aber beispielsweise bei grammatikalischen Aufgaben hielten sich alle Teilnehmer für etwa gleich gut - alle glaubten sich etwa zwischen Platz 65 und 75.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Selbsteinschätzung nur einen sehr geringen Zusammenhang mit objektiv gemessener Kompetenz hatte. In allen Studien, über die Kruger und Dunning berichten, hielten sich die 25% schlechtesten Versuchspersonen (das unterste Quartil) für überdurchschnittlich kompetent! Und man beachte: gerade in den sprachlich relevanten grammatikalischen Aufgaben gab es kaum einen Zusammenhang zwischen selbst eingeschätzten und tatsächlichen Fähigkeiten.
Woher kommt dieses Ergebnis? Kruger und Dunning schlugen verschiedene Erklärungsansätze vor. Einerseits überschätzen inkompetente Zeitgenossen wohl ihre eigenen Fähigkeiten. Andererseits sind sie vielleicht sogar zu inkompetent, um Kompetenz bei anderen zu erkennen oder überhaupt den Abstand zwischen ihren eigenen und fremder Leute Fähigkeiten korrekt einzuschätzen.
Alles in allem sollte der Dunning-Kruger-Effekt (und andere Cognitive Biases, die seit über 30 Jahren von erforscht werden, angefangen bei Kahneman und Tversky) ganz klar zeigen, dass Selbsteinschätzungen sinnlos und die neuen "Ergebnisse" über das selbst eingeschätzte Sprachvermögen von Migranten nicht das Papier wert sind, auf das sie gedruckt werden. Statt dessen sollte man objektive Tests des Sprachverständnisses oder der Ausdrucksfähigkeiten durchführen.
Das hätten übrigens meine alten Lehrer wahrscheinlich genauso gesehen.
"Wir beobachten seit 25 Jahren einen kontinuierlichen Anstieg der Sprachkompetenz", sagte Herbert Brücker, Migrationsexperte des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), am Dienstag in Nürnberg. Bei Befragungen von Einwandererhaushalten habe die Sprachkompetenz 1984 bei einem Wert von 2,3 gelegen. Bis 2008 sei sie auf 3,1 gestiegen - dabei gelte die Sprachkompetenz von 4,0 als "sehr gut" und sei vergleichbar mit der eines Deutschen.Der Knackpunkt kommt allerdings am Anfang des nächsten Absatzes:
Für die Studie mussten Migranten ihr Schreib- und Sprechvermögen selbst einschätzen.Nun könnte man auch einen Schüler bitten, sein Schreibvermögen selbst einzuschätzen. Und schon könnte man auf Diktate und Aufsätze verzichten, die Schüler könnten früher zum Fußballspielen, und die Lehrer könnten ihre Zeit mit einem Glas Rotwein statt mit der Korrektur von Klausuren verbringen. Everybody wins!
Nun, dass es vielleicht doch nicht ganz so einfach ist mit der Selbsteinschätzung von Kompetenz, das weiß eigentlich jeder, der selbst einmal die Schule besucht hat (aber nach Frau Foroutan oder Herrn Brücker zu urteilen, scheinen bestimmte Tätigkeiten im Erwachsenenalter diese Erkenntnis wieder auszulöschen). Aber gibt es tatsächlich wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, wie gut Selbsteinschätzung sein kann, um Kompetenzen zu beurteilen?
Es gibt sie.
Schon 1999 publizierten Justin Kruger und David Dunning einen Artikel mit dem Titel Unskilled and unaware of it: How difficulties in recognizing one's own incompetence lead to inflated self-assessments (etwa: "Unwissend und dessen unkundig: wie Schwierigkeiten, die eigene Inkompetenz zu erkennen, zu übersteigerten Selbsteinschätzungen führen") im Journal of Personality and Social Psychology. In diesem Artikel beschreiben sie einen Effekt, der seitdem nach den Autoren "Dunning-Kruger Effect" genannt wird. Worum geht es bei diesem Effekt?
Stellen wir uns hundert Menschen vor, die eine kognitive Aufgabe bewältigen müssen. Vielleicht sollen sie Sätze als grammatikalisch richtig oder falsch erkennen oder Aufgaben zur Logik lösen. Die hundert Versuchspersonen werden in diesen Aufgaben unterschiedlich gut abschneiden. Ordnen wir sie in der Reihenfolge ihrer Leistung an, so dass die erste Versuchsperson am schlechtesten und die hundertste am besten ist - ohne dass wir den Teilnehmern sagen, wie sie selbst abgeschnitten haben.
Und jetzt fragen wir die zehnte Versuchsperson, also die zehntschlechteste, an welcher Stelle sie ihrer eigenen Meinung nach steht. Ebenso fragen wir Nummer 90, also die zehntbeste.
Kruger und Dunning beobachteten, dass die schlechten Versuchspersonen sich über- und die guten sich unterschätzten. In unserem Beispiel ist möglicherweise Nummer 10 der Meinung, sie sei an Stelle 25, und Nummer 90 glaubt, sie sei nur Nummer 75. Bei manchen Aufgabentypen halten sich zumindest noch Niedrigleister für schlechter als Hochleister, aber beispielsweise bei grammatikalischen Aufgaben hielten sich alle Teilnehmer für etwa gleich gut - alle glaubten sich etwa zwischen Platz 65 und 75.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Selbsteinschätzung nur einen sehr geringen Zusammenhang mit objektiv gemessener Kompetenz hatte. In allen Studien, über die Kruger und Dunning berichten, hielten sich die 25% schlechtesten Versuchspersonen (das unterste Quartil) für überdurchschnittlich kompetent! Und man beachte: gerade in den sprachlich relevanten grammatikalischen Aufgaben gab es kaum einen Zusammenhang zwischen selbst eingeschätzten und tatsächlichen Fähigkeiten.
Woher kommt dieses Ergebnis? Kruger und Dunning schlugen verschiedene Erklärungsansätze vor. Einerseits überschätzen inkompetente Zeitgenossen wohl ihre eigenen Fähigkeiten. Andererseits sind sie vielleicht sogar zu inkompetent, um Kompetenz bei anderen zu erkennen oder überhaupt den Abstand zwischen ihren eigenen und fremder Leute Fähigkeiten korrekt einzuschätzen.
Alles in allem sollte der Dunning-Kruger-Effekt (und andere Cognitive Biases, die seit über 30 Jahren von erforscht werden, angefangen bei Kahneman und Tversky) ganz klar zeigen, dass Selbsteinschätzungen sinnlos und die neuen "Ergebnisse" über das selbst eingeschätzte Sprachvermögen von Migranten nicht das Papier wert sind, auf das sie gedruckt werden. Statt dessen sollte man objektive Tests des Sprachverständnisses oder der Ausdrucksfähigkeiten durchführen.
Das hätten übrigens meine alten Lehrer wahrscheinlich genauso gesehen.
© Gorgasal. Mit Dank an Calimero für den Hinweis auf die neueste "Studie". Für Kommentare bitte hier klicken.