21. September 2010

Zettels Meckerecke: "Bewaffnete Republik Deutschland". Jetzt ziehen sie wieder zu Felde, die Schützer gegen die Schützen

Wenn man jemandem, sofern gesund, auf die Patellarsehne unterhalb des Knies klopft, dann schnellt sein Unterschenkel nach vorn. Das ist der Patellarsehnenreflex.

Wenn irgendwo eine spektakuläre Bluttat mit einer Feuerwaffe begangen wird, dann regen sich die Kämpfer gegen die "Bewaffnete Republik Deutschland" (so der Titel des momentanen Aufmachers von "Spiegel-Online") und fordern eine Verschärfung des Waffenrechts.

Den Patellarsehnenreflex hat einmal ein Physiologe eine "dumme Antwort des Organismus auf eine dumme Frage" genannt. Denn aktiviert wird durch den leichten Schlag ein neuro-muskuläres System, das der Aufrechterhaltung der Muskelspannung trotz unterschiedlicher Belastung dient. Eine plötzlich erhöhte Belastung wird ihm durch den Schlag vorgegaukelt, und deshalb reagiert es mit einer Kontraktion. In diesem Fall ziemlich dumm. Eben reflektorisch, reflexhaft.

So ist das auch mit den reflexhaften Forderungen nach einem verschärften Waffenrecht, sobald etwas passiert ist wie jetzt in Lörrach.

Die Täterin Sabine R. hat, soweit bisher bekannt ist, die folgenden Tatwerkzeuge verwendet:
  • Einen stumpfen Gegenstand, mit dem sie ihren Sohn bewußtlos schlug

  • Eine Plastiktüte, mit der sie ihn erstickte

  • Ein Messer, laut Polizei "eine Art Fahrtenmesser", mit dem sie auf einen Pfleger einstach

  • Eine Kleinkaliberpistole (Kaliber .22), aus der sie auf den Pfleger und andere Personen schoß und mit der sie zuvor ihren Ex-Mann erschossen hatte.
  • Vier Tatwerkzeuge. Vier Arten, wie man einen Menschen umbringen kann - man kann ihn erschlagen, ihn ersticken, ihn erstechen, ihn erschießen.

    Alle von Sabine R. benutzten Tatwerkzeuge dienen primär nicht dem Zweck des Tötens. Bei der Plastiktüte und dem Fahrtenmesser ist das offensichtlich; aber auch bei der Kleinkaliberpistole, die sie als (wohl ehemalige) Sportschützin besaß, ist es der Fall.

    Man kann Menschen mit solchen Werkzeugen töten. Man kann sie mit einem Auto töten, mit Rattengift, ja mit den bloßen Händen.

    Getötet wird nicht, weil es Tatwerkzeuge gibt. Getötet wird, weil jemand ein Motiv dazu hat. Es grenzt an Voodoo, wenn man meint, man könne dem Verbrechen begegnen, indem man die Werkzeuge verbietet, mit denen es begangen wird.

    Das alles ist so trivial, daß man sich fast überwinden muß, es zu schreiben.

    Aber die Pistole, der Revolver beleben nun einmal die Phantasie. Die Schützer fühlen sich dann aufgerufen, wenn sie wieder einmal belebt wird, ihre Phantasie.

    Zum Protest aufgerufen gegen die Schützen fühlen sie sich, die Schützer, die uns gegen alle Unbill des Lebens schützen wollen. Denen Pistolen des Teufels sind, weil ihnen dazu vermutlich Macho und Western und die bösen Amis einfallen, und wer weiß was noch alles.

    Wenn sie konsequent wären, dann müßten sie auch für ein Verbot von Messern eintreten. Und von Plastiktüten. Und von stumpfen Gegenständen. Auch von Autos. Und von menschlichen Händen, diesem Mordwerkzeug, das wir alle an uns tragen und mit dem jeder von uns jeden von uns erwürgen kann.



    Da das Thema mit reflexhafter Sicherheit auftaucht, sobald es einen spektakulären Mord mit Feuerwaffen gibt, habe ich es auch oft in ZR behandelt. Hier die Artikel:
  • Randbemerkung: Der Gesetzgebungsreflex; ZR vom 22. 11. 2006

  • Amoklauf in Virginia: Waffengesetze, die USA, wir Europäer, die wissenschaftliche Wahrheit; ZR vom 21. 4. 2007

  • Marginalie: Anmerkungen zum Schulmassaker in Winnenden; ZR vom 11. 3. 2009

  • Zitat des Tages: "Konsequenzen des Amoklaufs" von Winnenden. Kontrollieren, Verbieten, Verschärfen. Warum aber wurde Tim K. zum Mörder?; ZR vom 13. 11. 2009

  • Zettels Meckerecke: Hurra, wir nehmen uns schulfrei! Der Amoklauf von Winnenden, die deutschen Schützen und ein deutscher Autor; ZR vom 14. 3. 2009

  • Zitat des Tages: Claudia Roth will den Schießsport verbieten. Totalitäres Denken bei den Grünen; ZR vom 9. 4. 2009



  • © Zettel. Für Kommentare bitte hier klicken.