7. April 2010

Zitat des Tages: Die Ostsee-Pipeline und die Machtverhältnisse in Europa. Gerhard Schröders geschäftlicher Erfolg

Nach fünf Jahren intensiver Planung hat der Bau der Ostsee-Pipeline Nord Stream - des größten Energieprojekts Europas - begonnen. (...) Die Gasleitung soll künftig die Abhängigkeit der EU von Transitländern wie der Ukraine verringern. Ziel ist es, eine Wiederholung von Gaskonflikten zwischen Moskau und Kiew zu vermeiden, die Versorgungsengpässe in mehreren europäischen Ländern zur Folge hatten. Das war zuletzt Anfang 2009 der Fall.

tagesschau.de über den Baubeginn für die Gas-Pipeline, die durch die Ostsee von Wyborg bei St. Petersburg nach Lubmin bei Greifswald führen wird. Ähnlich waren gestern zahlreiche Meldungen formuliert.


Kommentar: Das nenne ich Dialektik. Das Ergebnis des Baus wird sein, daß sich unsere Abhängigkeit drastisch erhöht; nämlich die von dem Lieferanten Rußland. Und das wird als die angebliche Verminderung von Abhängigkeiten verkauft, die nie bestanden haben, nämlich von Transitländern wie der Ukraine!

Vielleicht ist "Dialektik" doch ein zu sanfter Begriff, und man sollte von einer unverfrorenen Desinformation sprechen.

Es sei das "Ziel ..., eine Wiederholung von Gaskonflikten zwischen Moskau und Kiew zu vermeiden". Ja, wie denn? Diese Konflikte beruhten bekanntlich darauf, daß sich Rußland und die Ukraine nicht auf die Preise für russische Gaslieferungen einigen konnten und daß Rußland die Abhängigkeit der Ukraine von russischen Lieferungen einsetzte, um sich die Ukraine politisch gefügig zu machen.

Solche Konflikte werden durch den Bau der Ostsee-Pipeline so wenig vermieden werden, wie sie durch, sagen wir, den Bau des Berliner Stadtschlosses vermieden werden.

Ändern werden sich allerdings die Machtverhältnisse zwischen Rußland und den bisherigen Transitländern (neben der Ukraine die Slowakei und Tschechien für die südliche "Druschba"-Pipeline und Weißrußland sowie Polen für die nördlichere "Jamal-Europa"-Trasse).

Denn bisher mußte Rußland mit dem Abdrehen des Energiehahns für die Ukraine und diese anderen Länder vorsichtig sein, weil man es vermeiden wollte, damit auch Deutschland und generell die EU zu treffen. Sobald sie als Transitländer nicht mehr unbedingt benötigt werden, weil man auf die Ostsee-Trasse ausweichen kann, entfällt diese Rücksicht.

Rußland kann sich dann daran machen, die Ukraine wieder endgültig in seinen Machtbereich zurückzuholen; auch Polen, die Slowakei und Tschechien werden Rußlands gewachsene Macht zu spüren bekommen. Eine Orientierung nach Westen hin, gar den Beitritt zur Nato, wird die Ukraine vergessen können.

Diese Pipeline bedeutet also eine entscheidende Stärkung Rußlands bei seinem langfristig angelegten Versuch, das alte Sowjetreich in Form einer Einflußzone wieder herzustellen; siehe "Mit dem Rückzug ist es vorbei" ZR vom 10. 10. 2008 und Rußland auf dem Weg zurück zu einer imperialen Politik; ZR vom 16. 11. 2008.

Für Deutschland bedeutet diese Pipeline eine weiter verstärkte Abhängigkeit von Rußland. Eine Politik gegen die Interessen Rußlands wird nur noch schwer möglich sein, wenn dieses jederzeit mit einer erheblichen Beeinträchtigung der deutschen Energieversorgung drohen kann.

Die Länder des ehemaligen sowjetischen Kolonialreichs - sei es mit dem Status von Sowjetrepubliken wie die Ukraine oder mit dem von Mitgliedern von Comecon und Warschauer Pakt wie Polen - werden also von zwei Seiten in die Zange genommen: Rußland kann sie über die Gasversorgung erpressen; von Deutschland können sie keine Hilfe erwarten, weil dieses seinerseits am Tropf russischer Energielieferungen hängen wird.



Das alles ist wesentlich das Werk eines Mannes: Gerhard Schröder. Er hat die Pläne für diese Pipeline von Anfang an unterstützt und es fertiggebracht, noch unmittelbar vor Ende seiner Kanzlerschaft alles festzuklopfen, indem er am 8. September 2005 überstürzt die entscheidende Absichtserklärung zusammen mit Putin unterzeichnete. In der "Zeit" schrieb damals Michael Thumann:
Gerhard Schröders Überzeugung heißt Russland. Er pflegt die Beziehungen zu diesem Land und zu Wladimir Putin mit einem Eifer, mit dem er schon viele erstaunt hat. Zehn Tage vor der Wahl, an diesem Donnerstag, besucht der Freund aus dem Kreml Gerhard Schröder noch einmal. Offenbar halten beide die Wiederwahl des Kanzlers für so unwahrscheinlich, dass sie einen ursprünglich für Oktober geplanten Gipfel vorziehen. Dessen zentrales Thema ist ihnen zu wichtig, als dass sie es anderen überlassen wollen. (...)

Mit der neuen Pipeline wird Russland in der Lage sein, die Deutschen zu bedienen, während man die Rohrleitung nach Polen oder Lettland auch mal separat zudrehen kann, falls die Lage es erfordert. Weißrussland und Georgien haben diese postsowjetische Spezialbehandlung bereits erlebt. (...)

Gerhard Schröder will Deutschland und Russland strategisch aneinander binden, er ist den Konzernchefs durch Manneswort und langjährige Freundschaften eng verbunden.
Als dieser Artikel am 8. 9. 2005 erschien, wußte man noch nicht, wie weit Schröders Chuzpe gehen würde: Nicht nur hatte dieser Mann mit seinem eigenartig engen Verhältnis zu dem "lupenreinen Demokraten" Putin und zum autoritär regierten Rußland alles getan, um Deutschland in größere Abhängigkeit von Rußland zu bringen, sondern er kassierte auch noch ohne eine Schamfrist unmittelbar nach seiner Abwahl als Kanzler den Lohn für seine treuen Dienste; den Job des Aufsichtsrats-Vorsitzenden bei der Nord Stream AG von Gazprom.

Der Chefredakteur des russischen Radiosenders Echo Moskwy, Alexej Wenediktow sagte damals gegenüber "Spiegel-Online":
Schröder hat Putin immer unterstützt. Nicht umsonst hat er ihn als "lupenreinen Demokraten" bezeichnet. Bei allen Problemen, die der Kreml-Chef in Europa oder in der G8-Gruppe hatte, im Tschetschenien-Krieg oder beim Thema Pressefreiheit hat Schröder zu ihm gehalten oder im besten Falle einfach keine Kritik geäußert. Putin schätzt diese Loyalität. In Russland vergibt er gern privilegierte Posten an Menschen, die ihm gegenüber loyal sind.(...)

Bereits früher war abzusehen, dass Schröder auf diesem Posten nützlich sein könnte, wenn er die Wahl verliert. Aus Sicht von Gazprom ist dieser Deal absolut richtig. Schröder hat gute politische und wirtschaftliche Kontakte. Seitens Russlands spielte natürlich die Dankbarkeit eine Rolle. Schwer zu sagen, was überwiegt: die Dankbarkeit oder die geschäftlichen Perspektiven.
Aus Schröders Sicht dürfte jedenfalls die persönliche geschäftliche Perspektive nicht unerfreulich gewesen sein. Nie in der Geschichte der Bundesrepublik hat ein Kanzler politische, wirtschaftliche und persönliche Interessen so schamlos verquickt wie Gerhard Schröder mit dem Projekt der Ostsee-Pipeline.



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