10. April 2010

Marginalie: Aktuelles zum Flugzeugabsturz in Smolensk. Die Folgen des Tods von Staatspräsident Kaczynski sind noch nicht absehbar

Noch ist das meiste unklar, aber diese Aspekte zeichnen sich im Augenblick ab:
  • Die Tu-154 ist ein Flugzeug, das seit den sechziger Jahren gebaut wird und das noch bis 2016 im Einsatz bleiben soll. Es wurde speziell für ungünstige Start- und Landebedingungen entwickelt; beispielsweise für schlecht befestigte Start- und Landebahnen und für arktische Wetterbedingungen. Daß ein solches Flugzeug wegen schlechten Wetters abgestürzt sein soll, wird zu Spekulationen Anlaß geben.

  • Die Berichterstattung hat sich natürlich zunächst auf den Tod von Staatspräsident Lech Kaczynski konzentriert. Hinzu kommt aber das, was z.B. in CNN als eine "Enthauptung" des polnischen Militärs bezeichnet wird. Unter den Opfern sind der Generalstabschef Franciszek Gagor und die Oberbefehlshaber der Waffengattungen. Hinzu kommen hohe zivile Würdenträger wie der stellvertretende Präsident des Sejm Jerzy Szmajdzinski, der stellvertretende Außenminister Andrzej Kremer, der Militärbischof Tadeusz Ploski und der Präsident der Nationalbank Andrzej Skrzypek.

  • Die Verfassung schreibt die Neuwahl des Präsidenten innerhalb von 60 Tagen vor. Welche Kandidaten antreten werden, ist im Augenblick ungewiß. Kaczynski wollte sich bei den nächsten regulären Wahlen im kommenden Jahr zur Wiederwahl stellen, hätte aber wahrscheinlich schlechte Chancen gehabt.

  • Soeben hat der georgische Präsident Micheil Saakaschwili CNN ein längeres Interview gegeben. Er hat sich sehr bewegt geäußert und Kaczynski einen Freund genannt. Kaczynski hätte im Krieg von 2008 wie kaum ein anderer ausländischer Staatsmann zu Georgien gestanden und auch großen persönlichen Mut gezeigt, als er zu Gesprächen an einen Ort flog, der durch russische Luftangriffe bedroht war.

  • Auf einen Anschlag gibt es keine Hinweise, und er ist vorerst auch sehr unwahrscheinlich. Die Untersuchung von Flugzeugabstürzen ist technisch so weit fortgeschritten, daß eine Manipulation mit großer Wahrscheinlichkeit entdeckt werden würde. In Polen wird aber damit gerechnet, daß eine Verschwörungstheorie Anhänger finden könnte. Viele werden es nicht als einen Zufall ansehen wollen, daß ausgerechnet auf dem Flug zur Gedenkfeier für die Opfer des russischen Massakers von Katyn und noch dazu in der historisch zwischen Polen und Rußland umstrittenen Stadt Smolensk ein Staatspräsident ums Leben kam, der mit seiner Person für die nationale Freiheit Polens gegen Rußland stand.

  • Kurz nach 14 Uhr wandte sich Ministerpräsident Donald Tusk an die polnische Bevölkerung. Er zeigte sich erschüttert und sagte, man werde 24 Stunden am Tag arbeiten, um den Absturz aufzuklären. Eine polnische Untersuchungskommission sei bereits auf dem Weg nach Smolensk. Die Regierung werde die polnische Bevölkerung über alle Ergebnisse informieren. Seine Stellungnahme ließ erkennen, wie ernst er die Sorge nimmt, daß sich in Polen eine Verschwörungstheorie ausbreiten könnte.
  • Vor allem betonte Tusk die Stabilität des polnischen Staats, die durch das Ereignis nicht gefährdet sei. Daß er das ausdrücklich sagte, zeigt freilich gerade, wie groß die Erschütterung in Polen und vielleicht auch die Erschütterung der jungen polnischen Demokratie ist.



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